Die "Legende" vom Einzeltäter wackelt erheblich
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Am Anfang der Machtergreifung der Nazis stand der Reichstagsbrand. Lange war die Annahme eines Alleintäters populär. Journalist Conrad von Meding hält die für eine Schutzbehauptung - und kann seine Zweifel belegen.
In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933: Der Reichtstag brennt. Die Nationalsozialisten richten den niederländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe dafür hin. Und sie ziehen nach ihrer Wahl an die Regierung weitreichende politische Konsequenzen: Den Brand nutzen sie als Vorwand, politische Grundrechte außer Kraft zu setzen. Der Weg in zwölf Jahre Diktatur beginnt.
Ob es nur einen Täter gab, daran gab es immer Zweifel. Und gibt es jetzt nach einer Recherche der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" noch mehr. Der Lokaljournalist Conrad von Meding hat mit Hilfe des Düsseldorfer Geschichtsforschers Hersch Fischler aus dem Archiv eines Amtsgerichts in Hannover eine von nach dem Krieg datierte eidesstattliche Erklärung ausgegraben. Darin sagt der SA-Mann Hans-Martin Lennings: Er habe van der Lubbe zum Reichstag gefahren, und als sie dort angekommen seien, habe es dort schon nach Brand gerochen. Van der Lubbe könnte also nicht der Täter sein.
"Eine Fälschung ist es definitiv nicht. Dieses Dokument ist ein amtliches Dokument. Es ist von einem Notar aus Hannover, den es auch gegeben hat, aufgenommen worden. Es ist in seine Urkundenrolle im Amtsgericht gegeben worden, mit der Urkundenrollennummer 510", sagt von Meding, der nach dem Tipp Fischlers erst "sehr, sehr skeptisch" war. Auch das LKA habe die Echtheit bestätigt.
Was trieb den SA-Mann, sich selbst zu belasten?
Wie vertrauenswürdig ist die Aussage eines früheren SA-Manns? Es habe natürlich viele Schilderungen gegeben, "wo Deutsche nach dem Krieg ihre Geschichte verarbeitet haben und sie in einem anderen Licht dargestellt haben, als sie sich wirklich zugetragen hat - zum Teil um sich selbst zu schützen, zum Teil auch einfach um ihr Gewissen zu entlasten", sagt von Meding. Das Besondere an dieser Erklärung sei jedoch: Lennings habe sie nicht vom Notar aufsetzen lassen, um sich reinzuwaschen. Er habe sich damit belastet.
Von Meding erklärt die Motivation damit, dass es in den 1950er-Jahren den Versuch gab, den Prozess gegen den Hingerichteten wieder aufzurollen, ihn gegebenenfalls freizusprechen oder das Todesurteil zumindest posthum aufzuheben. Der frühere SA-Mann Lennings sei sehr gläubiger Christ gewesen und "hatte das Gefühl: Ich muss dazu beitragen. Selbst wenn ich sterbe, muss mein Wissen, dass ich daran teilgehabt habe, für die Nachwelt erhalten bleiben. Und muss eben, das steht auch in dem Dokument so drin, wenn es zu einem Wiederaufnahmeprozess kommt, dafür verwendet werden können."
Der Fall müsse jetzt neu bewertet werden, sagt von Meding: "Ich glaube, dass wir neu über die Fragestellung diskutieren müssen, von wem der Reichstag angezündet wurde, warum er angezündet wurde." Dass van der Lubbbe als geh- und sehbehinderter Mann "alleine mit ein paar Streichhölzern und Kohleanzündern den gesamten Reichstag entflammt haben soll", halte die Forschung ohnehin für unmöglich.
"Ich glaube, dass es jetzt in der Forschung neu losgeht"
Wesentlich zur Popularisierung der Auffassung vom Alleintäter beigetragen hat der frühere Verfassungsschutz-Mitarbeiter Fritz Tobias - mit einer elfteiligen Serie 1959/60 im "Spiegel". Laut von Meding habe diese "Legende" dazu gedient, "Staatsbedienstete zu schützen, die schon unter den Nazis im Staatsdienst tätig waren und dann nach Gründung der Bundesrepublik auch wieder im Staatsdienst teilweise sehr aufgestiegen sind".
Fritz Tobias habe die jetzt im Original gefundene Erklärung des SA-Manns offenbar in Abschrift gekannt, habe sie aber "verschleiert". Bleibt die Frage, wenn das alles so war, wer den Reichstag damals in Brand gesteckt hat. "ob es Kommunisten waren, die ein Fanal setzen wollten gegen die Nazis, ob es die Nazis selber waren, ob es möglicherweise auch Kaisertreue waren. Ich glaube, dass es jetzt in der Forschung neu losgeht."
(fmay)