Neuheit 2021: NFTs

Teure Wette auf eine digitale Utopie

37:11 Minuten
Ein Besucher läuft an einem Ausstellungstück in New York vorbei, das auf einem Bildschirm gezeigt wird. Es handelt sich um eine Ausstellung des Auktionshauses Sotheby's.
Alle wollen etwas vom Kuchen ab: eine NFT-Ausstellung von Sotheby's in New York. © picture alliance / dpa / newscom / John Angelillo
Kolja Reichert im Gespräch mit Boussa Thiam |
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Viel Geld wurde im Kunstjahr 2021 für digitale Eigentumsrechte, kurz NFT, ausgegeben. Dahinter steht die Utopie eines Web 3.0, in dem neue soziale Verträge die Macht der Konzerne ablösen, erläutert Kolja Reichelt.
Das Kunstjahr 2021 hat eine kleine Revolution erlebt. Non-Fungible Token (NFT) wurden für teilweise hohe Summen gekauft. NFT bedeutet auf Deutsch: nicht ersetzbares, digital geschütztes Objekt. Das bezieht sich auf Eigentumsrechte, die in sogenannten Blockchains gespeichert werden. Ähnliches ist bereits von Kryptowährungen wie dem Bitcoin bekannt.
Für Aufsehen sorgt unter anderem eine Auktion bei Christie’s im Februar. Für 69,3 Millionen US-Dollar wurde eine Collage von Beeple versteigert. Es ist damit das drittteuerste Werk – wohlgemerkt eine Bilddatei – eines noch lebenden Künstlers.

Ohne Banken und Zwischenhändler

Kolja Reichert ist Kunsthistoriker und Autor. Zudem arbeitet er als Kurator unter anderem für die Bundeskunsthalle in Bonn. Für Reichert sind NTFs der Ausdruck „einer anarchistischen Zeit, in der ganz viel gewettet wird“. 
Dabei gehe es darum, wie die Zukunft aussehen werde, also ob sich die Utopie des Web 3.0 durchsetzt. In diesem Web 3.0 vernetzen sich die Menschen ohne die großen Techkonzerne wie Google, Meta oder Amazon untereinander und schließen selbst Verträge, ohne von Banken, Notaren oder Zwischenhändlern abhängig zu sein.
Setzt sich das Gesellschaftsmodell des Web 3.0 mit NFTs und den dazu benötigten Blockchains durch? Die derzeitige Realität sei eher eine Plutokratie, also eine Herrschaft des Geldes, so Reichert.

Veränderung des Kunstmarkts

Vor allem in der Corona-Pandemie hätten Künstler von NFTs profitiert, etwa Musiker, die nicht auftreten konnten. Mittelfristig könnten die Token nicht nur zu einer Ersatzökonomie werden, sondern auch für den Kunstmarkt zum nachhaltigen Modell, wie abgerechnet wird, unterstreicht Reichert. 
So sei bei bestimmten NFT-Formen denkbar, „dass im Fall von Weiterverkauf Tantiemen fließen und dass jeder, der je in dieses Werk mitinvestiert hat, auch mitverdient“, erläutert Reichert. Davon könnten unter anderem kleine Galerien profitieren, die in junge Künstlerinnen und Künstler Geld gesteckt haben.
Wie „fiktional und willkürlich“ diese neue Art des Eigentums sei, habe Hito Steyerl in diesem Jahr gezeigt, so Reichert. Die Künstlerin und Filmemacherin habe das NFT der Adresse der Bundeskunsthalle reserviert, um so laut ihrer Aussage die Bundeskunsthalle für die Bevölkerung zu besetzen. Im kommenden März will Steyerl dann das Publikum darüber abstimmen lassen, wie zukünftig die Bundeskunsthalle verwaltet wird.

Handlungsmacht versus Kontrolle

„Letztlich bedeutet es nicht viel“, sagt Kunsthistoriker Reichert. „Wenn das aber nicht viel bedeutet, kann man fragen, was bedeuten denn sonst eigentlich NFTs. Da kann man sagen, man hat sich sozial darauf geeinigt, dass dieses Eigentum einen Wert hat. Aber es ist letztlich eigentlich bodenlos.“
Er habe beobachtet, so Reichert, dass „jetzt der Moment ist, wo sich wirklich alle Unternehmen und Institutionen damit beschäftigen und auch versuchen, möglichst schnell Geschäftsmodelle in diesem Bereich aufzubauen“. Sie versuchten so, „ihre Anteile in dieser neuen Ökonomie zu sichern“. 
Im besten Falle führe dies dazu, dass das Web 3.0 etwas „mit Bedeutung“ werde, "wo Nutzer ihre Handlungsmacht zurückgewinnen". Im schlimmsten Fall gebe es eine „noch größere Konzentration von Kontrolle“ durch wenige Plattformen.
(rzr)

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