Neuinterpretation von Schuberts "Winterreise"

Ungewohnt, aber sehr reizvoll

Winterlandschaft in Deutschland
Durch die Oboe wird Schuberts klirrende Kälte noch eisiger, findet unsere Autorin. © dpa / picture alliance / Daniel Friedrichs
Von Ulrike Klobes |
Dirk Beiße, Cellist beim Deutschen Kammerorchester Berlin, hat Schuberts Winterreise umarrangiert. Vier Gesangssolisten, Streicher und eine Oboistin wagen sich gemeinsam an den vielschichtigen Stoff. Und es gelingt ihnen, die einzelnen Facetten noch besser zur Geltung zu bringen.
Von Einsamkeit, einem der Grundmotive in Schuberts Winterreise, kann an diesem Abend im Probenraum des Deutschen Kammerorchesters Berlin keine Rede sein. Die vier Gesangssolisten, die Sopranistin Bianca Reim, Mezzosopranistin Christine Lichtenberg, Tenor Joo-Hoon Shin und Bariton Wolfram Teßmer, stehen in einer Reihe und warten auf ihren Einsatz. Zusammen mit den 15 Streichern des Kammerorchesters und einer Oboistin wird bei ihnen die Winterreise zu einem wahren Gruppenausflug.
"Die grundmelancholische Stimmung, die sich durch das ganze Stück zieht, ist, glaube ich, so ein Grundgefühl. In der Jahreszeit ganz besonders, das ist einfach das Standardwerk in dieser Richtung, wenn man Gesang, Melancholie, Einsamkeit, alles Mögliche, was so quasi natürliche Empfindungen, gerade unserer mitteleuropäischen Kultur, da ist das tief verwurzelt. Einsamkeit, Entfremdung, Angst ist auch dabei, würde ich sagen, von der Schönheit mal gar nicht zu reden, DAS schöne Gesangsstück schlechthin..."
Sänger wechseln ständig zwischen Melodieführung und Begleitung
Dirk Beiße, Cellist beim Deutschen Kammerorchester Berlin, hat die Winterreise für diese nicht gerade gewöhnliche Besetzung bearbeitet. Schon als er die 24 Lieder zum ersten Mal gehört hat, kam ihm der Gedanke, dass die Klavierbegleitung so vielschichtig ist, dass die einzelnen Facetten doch viel besser mit einem Orchester zur Geltung kämen. Er befasst sich mit den unterschiedlichsten Bearbeitungen, und macht sich schließlich selbst daran, die Winterreise umzuarrangieren – und das ganz nach Schubertscher Tradition.
"Von seinen 600 Liedern sind, glaub ich, hundert Duette, Trios, Quartette, da hab ich mir gewissermaßen zum Vorbild genommen, was Schubert da technisch macht, dass nämlich die Klavierbegleitung, eigentlich die begleitenden Chorstimmen, im Klavier zu finden sind und dann die Solostimme drüberliegt, das hab ich im Grunde auch weitestgehend so gehandhabt."
Das, was im Original eine Singstimme stemmt, wird in dieser Winterreise sorgfältig unter den Sängern aufgeteilt. Keiner der Solisten hat durchweg die Melodie. Sie singen nur einzelne Phrasen, die dann von einer anderen Stimme aufgenommen, beantwortet oder weitergeführt werden. So entsteht für die Sänger ein ständiges Wechselspiel zwischen Melodieführung und Begleitung.
"Die normale Stimme ist der Tenor, der das normalerweise singt, mittlere Lage, der muss sehr tief und sehr hoch, das hab ich hier versucht, ein bisschen auszugleichen, dadurch, dass wir mehr Stimmen haben. Die singen ja nicht immer alle gleichzeitig, also die sehr tiefen Stimmen sind dann tatsächlich im Bariton, sehr hohe im Sopran, das macht's ein klein bisschen einfacher vielleicht, nichts desto trotz ist es eine technisch anspruchsvolle Gesangspartie, auf jeden Fall."
Akribisch an Schuberts Original gehalten
Mezzosoprantistin Christine Lichtenberg ist sehr angetan von diesem Arrangement, auch wenn es nicht immer ganz einfach ist, sich mit den Kollegen abzustimmen.
"Eigentlich sind es ja nun Solo-Lieder, man ist ja sonst mit dem Pianisten alleine und der Pianist folgt einem, und man hat sehr viele Freiheiten, kann sehr viel Agogik machen und auch retardieren wo man jetzt möchte, um dem Text mehr Ausdruck zu geben, klar, das ist natürlich erst mal zu viert – vier Sänger – schon schwieriger, wir müssen uns dann abstimmen, kann nicht jeder machen, was er möchte, und dann noch mit einem Orchester – sicher, das ist natürlich ganz anders, da muss man sich erst mal einstellen, als jetzt ein Schubert-Lied zu singen."
Auch in der Begleitung hat sich Dirk Beiße akribisch an Schuberts Original gehalten und nur an ganz wenigen Stellen noch etwas Eigenes hinzugefügt. So bleibt der kammermusikalisch-intime Rahmen der Winterreise trotz der großen Besetzung erhalten. Die Oboe bzw. das tiefere Englischhorn sollen den Naturbetrachtungen der Liedern mehr Ausdruck zu verleihen, und tatsächlich bekommen manche Textzeilen dadurch noch mehr Tiefenschärfe: Die klirrende Kälte wird noch eisiger, die Erstarrung noch aussichtsloser. Und so entsteht durchaus eine neue Variante der Winterreise, die einem mit dem breitgefächerten Klang der Streicher ungewohnte, aber durchaus reizvolle Höreindrücke vermittelt.
"Das ist eigentlich die zentrale Überlegung, aus diesem gewohnten Klang von Klavier und einer Gesangsstimme, ein paar andere Klangfarben heraus zu extrahieren, gerade auch, was die Gesangsstimmen betrifft, die mal alleine, a capella, singen, mal mit den jeweiligen Instrumenten zusammen, da so mal ein bisschen mit den Klangfarben herumzuspielen und sehen, was da möglich ist, und gerade jetzt in der ersten Probe sind wir da heftig am Arbeiten, dass wir die Solisten nicht übertönen mit unseren Klangfarben, ja, ist ein spannender Weg."
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