Neurobiologe: Bauklötze brauchen keine Updates
Nach Ansicht des Ärztlichen Direktors der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm, Professor Manfred Spitzer, kommen Kinder durch die frühe Nutzung von Computern zu Schaden. Es gebe keine einzige Untersuchung, die zeige, dass Computer für die intellektuelle und soziale Entwicklung der Kinder Vorteile habe, viele Studien hätten aber Nachteile gefunden.
Liane von Billerbeck: Seit gestern ist in Nürnberg die weltgrößte Ausstellung für Spielzeug, die Spielwarenmesse, eröffnet. Bisher war es ja so, dass der Umsatz beim elektronischen Spielzeug gewachsen ist und den Herstellern von Puppen, Spielen oder Modelleisenbahnen Konkurrenz machte. 2009 war das anders, da kauften viele Eltern mehr das, was mit bauen, konstruieren und basteln zu tun hat. Nicht ganz uneigennützig, hat die deutsche Spielwarenindustrie in 300 vornehmlich süddeutschen Schulen kostenlos Spielzimmer eingerichtet. Einige Schulen hätten dafür sogar ihre Computerräume hergegeben, schrieb die "Berliner Zeitung". Solche Entwicklungen dürften meinen Gesprächspartner freuen, den Neurobiologen und Ärztlichen Direktor der psychiatrischen Universitätsklinik Ulm, Professor Manfred Spitzer, der sagt, kleine Kinder sollten ohne PC lernen, Computer verderben den Geist. Professor Spitzer, ich grüße Sie!
Manfred Spitzer: Ja, guten Tag!
von Billerbeck: Sind Bauklötze noch immer das ideale Kinderspielzeug?
Spitzer: Ja, natürlich. Man muss mit denen aktiv umgehen, man kann alles Mögliche frei gestalten, das ist ein super Spielzeug. Das braucht keinen Strom und ist aufwärts- und abwärtskompatibel, man muss keine Updates dafür anfertigen, also ist super.
von Billerbeck: Sie haben in einem Interview mit der "Berliner Zeitung" gesagt, man solle Kinder auf keinen Fall vor der Pubertät an den Computer lassen. Also sagen wir mal, nicht vor dem zwölften Lebensjahr, wie soll das gehen?
Spitzer: Nun, ich habe das deswegen gesagt, weil heute viele das Gegenteil vertreten, nach dem Motto: Wir müssen im Kindergarten schon anfangen, den Kindern irgendwie den Kontakt zum Computer beizubringen und dann in der Grundschule auf jeden Fall. Das halte ich wirklich für verfrüht, ich sage Ihnen auch warum. Weil es keine einzige Untersuchung gibt, die zeigt, dass das für die intellektuelle Entwicklung der Kinder, oder auch für die psychosoziale Entwicklung der Kinder, Vorteile hat. Es gibt aber eine ganze Reihe von sehr guten Untersuchungen, die zeigen, dass es Nachteile hat. Und solange ganz einfach nicht nachgewiesen ist, dass der frühe Einsatz von Computern, also im Kindergarten und in der Grundschule, irgendeinen Vorteil bringt, solange halte ich es schlichtweg für unverantwortlich, diesen Einsatz zu propagieren. Und noch mal, wer das propagiert, der muss erst mal eine gute Studie dafür bringen, nicht nur eine Meinung, sondern eine Studie, die zeigt, da kommt was raus. Und bislang gibt es diese Studie nicht.
von Billerbeck: Der Medienpädagoge Professor Stefan Aufenanger von der Universität Mainz, der sagt das Gegenteil, der sagt, der Einsatz von Computern im Kindergarten sei sinnvoll, wenn der Computer in ein pädagogisches Konzept eingebunden sei. Hängt es also mehr vom Umfeld, als von der prinzipiellen PC-Nutzung ab?
Spitzer: Der Herr Aufenanger hat auch keine Studie dazu, und wenn er sagt, das sei sinnvoll, dann muss man ganz klar sagen, behauptet er das. Er kann sich dabei nicht auf Daten stützen. Das muss man erst mal sagen. Das Zweite ist, was soll das für ein pädagogisches Gesamtkonzept sein? Es gibt Studien, die ganz klar zeigen, dass Kinder durch Bildschirmmedienkonsum im Kindergarten eine Aufmerksamkeitsstörung mit größter Wahrscheinlichkeit in der Schule entwickeln, Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben bekommen, auch mit größter Wahrscheinlichkeit. Soziale Fertigkeiten eher nicht so gut entwickeln können und - und da haben wir zum Teil auch Studien gemacht - Denkvorgänge - Pestalozzi hat gesagt, man lernt mit Herz, Hirn und Hand - die Hand ist oft übersehen, das Hirn ist klar, das Herz, also die Emotionen beim Lernen sind auch ganz wichtig, die Hand aber auch. Man spricht nicht umsonst davon, dass man Dinge be-greift. Und ein Mausklick ersetzt das Anfassen der Dinge nicht und das Anfassen der Dinge, das Bewegen der Dinge, das mit den Dingen Umgehen, ist ein ganz wichtiger Bestandteil des Lernens. Dadurch werden sie im Gehirn eben auch mit den Nervenbereichen, die für Bewegungen verantwortlich sind, verankert, und wenn ich dann mit dem Gelernten denken soll, dann - das konnten wir nachweisen - bin ich deutlich schneller und effektiver und genauer, wenn ich eben sozusagen mehr Hirnschmalz beim Denken einsetze, als wenn ich immer nur die gleichen Nervenzellen, die eben für den Mausklick verantwortlich waren, hier noch zur Verfügung habe. Also man kann wirklich zeigen, dass die Art, wie wir lernen, und zwar durch Begreifen, dass die das Denken hinterher, mit den gleichen Dingen, die man dann gelernt hat, verbessert. Deswegen, noch mal, die Neurowissenschaft und die entsprechende Studienlage auf der Anwendungsseite, sagen das gleiche, nämlich dass die frühe Computernutzung nichts bringt. Und alles andere sind Behauptungen, die sind nicht bewiesen.
von Billerbeck: Ein Stichwort für den Computereinsatz bei der Bildung von Kindern ist ja immer wieder das der sonst mangelnden Medienkompetenz. Also Tenor: Wer Ahnung vom Computer hat, und das frühzeitig, der sei ihm nicht machtlos ausgeliefert und auch kritischer eingestellt. Wir reden natürlich nicht davon, dass ein Kind ausschließlich am Computer lernt, das mal ganz klargestellt. Dennoch, ist diese These, frühe Medienkompetenz zu erwerben, richtig oder falsch?
Spitzer: Man hat früher in der achten Klasse einen Drogenkoffer in Gemeinschaftskunde in die Schule gebracht und hat den Kindern Drogenkompetenz vermitteln wollen. Was dabei passiert ist, ist letztlich, dass sie neugierig wurden und es dann ausprobiert haben. Das wollte man nicht und deswegen gibt es diese Drogenkoffer nicht mehr für die Schule. Ich halte das für ein interessantes, ich sage mal, Beispiel, was klarmachen kann, worum es geht. Kinder oder Jugendliche nutzen heute vielfach den Computer und auch vielfach sehr früh und vielfach auch für Dinge, die wir vielleicht gar nicht wollen. Die Mediennutzung ist jetzt schon mit fünfeinhalb Stunden täglich so groß, dass sie die Schulzeit, die gesamte Schulzeit, übertrifft. Und ich glaube nicht, dass wir dafür noch ein extra Training brauchen. Die Meinung, man könnte den sinnvollen Umgang durch frühzeitiges Üben, flächendeckend sozusagen implementieren, die halte ich für gefährlich. Denn zunächst mal wird nur die flächendeckende Nutzung implementiert und nicht die sinnvolle Nutzung. Ich will mal dafür noch ein anderes Beispiel verwenden: Wenn wir drei-jährigen Kindern, denen verbieten wir auch das süße Essen und wir sagen nicht, hört mal her, ihr müsst Süßigkeitskompetenz erwerben, indem ihr euch dauernd mit Zucker umgebt und dann selber das reguliert. Das können die nicht, dafür fehlt ihnen entsprechend die Hardware, nämlich das Frontalhirn. Ob elfjährige Jugendliche oder zwölfjährige, ob die immer die Kritikfähigkeit schon mitbringen, die sie bräuchten, um beurteilen zu können, was da im Netz alles auf sie einstürmt, das bezweifle ich. Letzter Gedanke: Wenn Sie mit Medien umgehen wollen, wenn ich zum Beispiel in Google suche oder irgendwas tue - warum kann ich das vielleicht gar nicht so schlecht? Ganz einfach, weil ich Vorwissen habe und was Sie brauchen, um mit Bildschirmmedien, gerade mit dem Internet heute umzugehen, das ist nicht Medienkompetenz, sondern Vorwissen. Und dieses Vorwissen müssen Sie schon haben, denn das ist Ihr Filter, mit dem Sie dann die Spreu vom Weizen trennen. Und Sie kriegen es nicht ...
von Billerbeck: Und dieses Vorwissen darf ich nicht aus dem Computer haben?
Spitzer: Was heißt dürfen Sie nicht, Sie können es nicht aus dem Computer haben, Sie müssen es schon haben, um mit dem Computer sinnvoll umgehen zu können. Deswegen brauchen wir in der Schule kein Medientraining und keine Medienkompetenz, sondern wir brauchen gute Lehrer und gute Bücher, und das Geld für Computer können wir für was Besseres ausgeben.
von Billerbeck: Frage ist natürlich, ob Sie mit der, ich sage es jetzt mal zugespitzt, Verteufelung des Computers in der Kindererziehung oder Kinderbildung nicht versuchen eine Entwicklung zurückzudrehen, die sich gar nicht mehr zurückzudrehen lässt.
Spitzer: Ich glaube nicht, dass ich Computer verteufle. Ich bin einfach nur der Ansicht ...
von Billerbeck: In der Kinderbildung, sage ich jetzt ...
Spitzer: Ja, ich bin einfach nur der Ansicht, dass man sich marktschreierischen Leuten nicht ausliefern sollte - und da gibt es einfach sehr viele - und dass man einfach Fakten gelten lassen sollte. Und die Fakten sind so, dass wir bislang, noch mal, keine Untersuchung haben, die positive Effekte zeigt, aber jede Menge Untersuchungen haben, die negative Effekte zeigt. Nehmen Sie doch mal noch ein ganz drastisches Beispiel: Seit 2003 hat der Disney-Konzern "Baby Einstein"-DVDs verkauft, mit sehr viel Gewinn und da steht drauf, Ihr Kind wird zum Sprachgenie und Sie müssen es davorsetzen und die sind produziert für Kinder, die für die Teletubbies noch zu jung sind. Kinderärzte haben in den USA gefunden, dass Zweijährige schon im Durchschnitt 90 Minuten täglich Bildschirmmedien konsumieren, Einjährige können oft schon die Fernbedienung bedienen und die DVD einlegen. Mittlerweile haben aber Wissenschaftler herausgefunden, dass "Baby Einstein"-DVDs für die Sprachentwicklung von Babys ganz schlecht ist und zwar doppelt so schlecht, wie tägliches Vorlesen einen positiven Effekt hat. Und wir wissen, dass tägliches Vorlesen einen positiven Effekt hat. Noch mal: "Baby Einstein"-DVDs haben einen doppelt so negativen Effekt, wie tägliches Vorlesen einen positiven Effekt hat. Mittlerweile nimmt der Disney-Konzern die "Baby Einstein"-DVDs zurück, bezahlt Ihnen den vollen Kaufpreis und Sie brauchen nicht mal den Kassenbon mit einreichen. Sie kriegen es trotzdem. Warum? Die haben Angst, dass sie verklagt werden, weil man nämlich den Kindern flächendeckend massiv geschädigt hat. Die haben erst versucht, die Wissenschaft zu unterdrücken. Jetzt können sie es nicht und jetzt geben sie ganz kleinlaut zu, nehmen die Sachen zurück. Und man muss sich einfach fragen, warum hat das nicht früher funktioniert? Warum hat nicht früher jemand gesagt, Moment mal, bevor ihr was marktschreierisch verkaufen dürft, zeigt doch erst mal, dass es funktioniert. Und in diesem Fall war der Effekt sogar deutlich negativ. Aber trotzdem haben Millionen von Eltern, Millionen von Dollar ausgegeben und in Deutschland auch, um ihre Kinder zu schädigen. Und genau davor warne ich und deswegen frage ich immer nach, Moment mal, wenn du was Positives über Bildschirmmedien sagst, woher hast du es? Bitte beweise es erst mal!
von Billerbeck: Computer verderben den Geist, sagt der Ulmer Neurobiologe Manfred Spitzer und rät, Kinder nicht vor der Pubertät an den Computer zu lassen. Herr Professor Spitzer, selbst wenn Eltern das zu Hause schaffen, den Computerkonsum zu verhindern, der Gruppendruck durch andere Kinder dürfte ziemlich groß sein. Wie können sich denn Kinder dem entziehen?
Spitzer: Nun, der Gruppendruck ist auch bei anderen Dingen groß. Der ist auch bei Drogen groß, der ist bei Pornografie groß, der ist bei vielen Dingen groß. Ich glaube, was heute so gern gesagt wird: Wenn es alle machen, dann musst du es auch machen, damit du nur konform gehst. Das halte ich schlichtweg für falsch, mit dem Argument können Sie ja jeden Blödsinn rechtfertigen, den Ihre Kinder mitmachen sollen. Ich finde, es zeichnet doch gerade mündige Bürger aus, die auch mal sagen, hör mal zu, auch wenn es alle machen, ich mache es nicht und du machst es bitte auch nicht und ich sage dir auch, warum nicht. Und das Argument, das kriegst du doch an jeder Ecke, das zählt einfach nicht. Wir verbieten auch harte Drogen, obwohl man die auch an jeder Ecke bekommt. Aber wir haben bestimmte Standards und wir wollen bestimmte Dinge nicht. Und dass wir ganz schreckliche Spiele, die einfach unmenschlich brutal sind, dass wir die nicht verbieten, das zeigt einfach nur, dass wir selber da eine ganz große Abstumpfung haben. Und das müsste nicht sein und wir könnten uns alle fragen, sollten uns alle fragen, was wollen wir eigentlich in der Zukunft? Welche Gedanken sollen unsere Kinder haben, womit sollen sie sich beschäftigen und soll das wirklich der ganze Schrott sein, den eine ganze Industrie über die Köpfe unserer Kinder ausleert und sie damit zumüllt, wollen wir das wirklich? Nur, weil man es jetzt macht und weil es der Nachbar auch macht? Nein wir wollen es - aus meiner Sicht - nicht!
Manfred Spitzer: Ja, guten Tag!
von Billerbeck: Sind Bauklötze noch immer das ideale Kinderspielzeug?
Spitzer: Ja, natürlich. Man muss mit denen aktiv umgehen, man kann alles Mögliche frei gestalten, das ist ein super Spielzeug. Das braucht keinen Strom und ist aufwärts- und abwärtskompatibel, man muss keine Updates dafür anfertigen, also ist super.
von Billerbeck: Sie haben in einem Interview mit der "Berliner Zeitung" gesagt, man solle Kinder auf keinen Fall vor der Pubertät an den Computer lassen. Also sagen wir mal, nicht vor dem zwölften Lebensjahr, wie soll das gehen?
Spitzer: Nun, ich habe das deswegen gesagt, weil heute viele das Gegenteil vertreten, nach dem Motto: Wir müssen im Kindergarten schon anfangen, den Kindern irgendwie den Kontakt zum Computer beizubringen und dann in der Grundschule auf jeden Fall. Das halte ich wirklich für verfrüht, ich sage Ihnen auch warum. Weil es keine einzige Untersuchung gibt, die zeigt, dass das für die intellektuelle Entwicklung der Kinder, oder auch für die psychosoziale Entwicklung der Kinder, Vorteile hat. Es gibt aber eine ganze Reihe von sehr guten Untersuchungen, die zeigen, dass es Nachteile hat. Und solange ganz einfach nicht nachgewiesen ist, dass der frühe Einsatz von Computern, also im Kindergarten und in der Grundschule, irgendeinen Vorteil bringt, solange halte ich es schlichtweg für unverantwortlich, diesen Einsatz zu propagieren. Und noch mal, wer das propagiert, der muss erst mal eine gute Studie dafür bringen, nicht nur eine Meinung, sondern eine Studie, die zeigt, da kommt was raus. Und bislang gibt es diese Studie nicht.
von Billerbeck: Der Medienpädagoge Professor Stefan Aufenanger von der Universität Mainz, der sagt das Gegenteil, der sagt, der Einsatz von Computern im Kindergarten sei sinnvoll, wenn der Computer in ein pädagogisches Konzept eingebunden sei. Hängt es also mehr vom Umfeld, als von der prinzipiellen PC-Nutzung ab?
Spitzer: Der Herr Aufenanger hat auch keine Studie dazu, und wenn er sagt, das sei sinnvoll, dann muss man ganz klar sagen, behauptet er das. Er kann sich dabei nicht auf Daten stützen. Das muss man erst mal sagen. Das Zweite ist, was soll das für ein pädagogisches Gesamtkonzept sein? Es gibt Studien, die ganz klar zeigen, dass Kinder durch Bildschirmmedienkonsum im Kindergarten eine Aufmerksamkeitsstörung mit größter Wahrscheinlichkeit in der Schule entwickeln, Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben bekommen, auch mit größter Wahrscheinlichkeit. Soziale Fertigkeiten eher nicht so gut entwickeln können und - und da haben wir zum Teil auch Studien gemacht - Denkvorgänge - Pestalozzi hat gesagt, man lernt mit Herz, Hirn und Hand - die Hand ist oft übersehen, das Hirn ist klar, das Herz, also die Emotionen beim Lernen sind auch ganz wichtig, die Hand aber auch. Man spricht nicht umsonst davon, dass man Dinge be-greift. Und ein Mausklick ersetzt das Anfassen der Dinge nicht und das Anfassen der Dinge, das Bewegen der Dinge, das mit den Dingen Umgehen, ist ein ganz wichtiger Bestandteil des Lernens. Dadurch werden sie im Gehirn eben auch mit den Nervenbereichen, die für Bewegungen verantwortlich sind, verankert, und wenn ich dann mit dem Gelernten denken soll, dann - das konnten wir nachweisen - bin ich deutlich schneller und effektiver und genauer, wenn ich eben sozusagen mehr Hirnschmalz beim Denken einsetze, als wenn ich immer nur die gleichen Nervenzellen, die eben für den Mausklick verantwortlich waren, hier noch zur Verfügung habe. Also man kann wirklich zeigen, dass die Art, wie wir lernen, und zwar durch Begreifen, dass die das Denken hinterher, mit den gleichen Dingen, die man dann gelernt hat, verbessert. Deswegen, noch mal, die Neurowissenschaft und die entsprechende Studienlage auf der Anwendungsseite, sagen das gleiche, nämlich dass die frühe Computernutzung nichts bringt. Und alles andere sind Behauptungen, die sind nicht bewiesen.
von Billerbeck: Ein Stichwort für den Computereinsatz bei der Bildung von Kindern ist ja immer wieder das der sonst mangelnden Medienkompetenz. Also Tenor: Wer Ahnung vom Computer hat, und das frühzeitig, der sei ihm nicht machtlos ausgeliefert und auch kritischer eingestellt. Wir reden natürlich nicht davon, dass ein Kind ausschließlich am Computer lernt, das mal ganz klargestellt. Dennoch, ist diese These, frühe Medienkompetenz zu erwerben, richtig oder falsch?
Spitzer: Man hat früher in der achten Klasse einen Drogenkoffer in Gemeinschaftskunde in die Schule gebracht und hat den Kindern Drogenkompetenz vermitteln wollen. Was dabei passiert ist, ist letztlich, dass sie neugierig wurden und es dann ausprobiert haben. Das wollte man nicht und deswegen gibt es diese Drogenkoffer nicht mehr für die Schule. Ich halte das für ein interessantes, ich sage mal, Beispiel, was klarmachen kann, worum es geht. Kinder oder Jugendliche nutzen heute vielfach den Computer und auch vielfach sehr früh und vielfach auch für Dinge, die wir vielleicht gar nicht wollen. Die Mediennutzung ist jetzt schon mit fünfeinhalb Stunden täglich so groß, dass sie die Schulzeit, die gesamte Schulzeit, übertrifft. Und ich glaube nicht, dass wir dafür noch ein extra Training brauchen. Die Meinung, man könnte den sinnvollen Umgang durch frühzeitiges Üben, flächendeckend sozusagen implementieren, die halte ich für gefährlich. Denn zunächst mal wird nur die flächendeckende Nutzung implementiert und nicht die sinnvolle Nutzung. Ich will mal dafür noch ein anderes Beispiel verwenden: Wenn wir drei-jährigen Kindern, denen verbieten wir auch das süße Essen und wir sagen nicht, hört mal her, ihr müsst Süßigkeitskompetenz erwerben, indem ihr euch dauernd mit Zucker umgebt und dann selber das reguliert. Das können die nicht, dafür fehlt ihnen entsprechend die Hardware, nämlich das Frontalhirn. Ob elfjährige Jugendliche oder zwölfjährige, ob die immer die Kritikfähigkeit schon mitbringen, die sie bräuchten, um beurteilen zu können, was da im Netz alles auf sie einstürmt, das bezweifle ich. Letzter Gedanke: Wenn Sie mit Medien umgehen wollen, wenn ich zum Beispiel in Google suche oder irgendwas tue - warum kann ich das vielleicht gar nicht so schlecht? Ganz einfach, weil ich Vorwissen habe und was Sie brauchen, um mit Bildschirmmedien, gerade mit dem Internet heute umzugehen, das ist nicht Medienkompetenz, sondern Vorwissen. Und dieses Vorwissen müssen Sie schon haben, denn das ist Ihr Filter, mit dem Sie dann die Spreu vom Weizen trennen. Und Sie kriegen es nicht ...
von Billerbeck: Und dieses Vorwissen darf ich nicht aus dem Computer haben?
Spitzer: Was heißt dürfen Sie nicht, Sie können es nicht aus dem Computer haben, Sie müssen es schon haben, um mit dem Computer sinnvoll umgehen zu können. Deswegen brauchen wir in der Schule kein Medientraining und keine Medienkompetenz, sondern wir brauchen gute Lehrer und gute Bücher, und das Geld für Computer können wir für was Besseres ausgeben.
von Billerbeck: Frage ist natürlich, ob Sie mit der, ich sage es jetzt mal zugespitzt, Verteufelung des Computers in der Kindererziehung oder Kinderbildung nicht versuchen eine Entwicklung zurückzudrehen, die sich gar nicht mehr zurückzudrehen lässt.
Spitzer: Ich glaube nicht, dass ich Computer verteufle. Ich bin einfach nur der Ansicht ...
von Billerbeck: In der Kinderbildung, sage ich jetzt ...
Spitzer: Ja, ich bin einfach nur der Ansicht, dass man sich marktschreierischen Leuten nicht ausliefern sollte - und da gibt es einfach sehr viele - und dass man einfach Fakten gelten lassen sollte. Und die Fakten sind so, dass wir bislang, noch mal, keine Untersuchung haben, die positive Effekte zeigt, aber jede Menge Untersuchungen haben, die negative Effekte zeigt. Nehmen Sie doch mal noch ein ganz drastisches Beispiel: Seit 2003 hat der Disney-Konzern "Baby Einstein"-DVDs verkauft, mit sehr viel Gewinn und da steht drauf, Ihr Kind wird zum Sprachgenie und Sie müssen es davorsetzen und die sind produziert für Kinder, die für die Teletubbies noch zu jung sind. Kinderärzte haben in den USA gefunden, dass Zweijährige schon im Durchschnitt 90 Minuten täglich Bildschirmmedien konsumieren, Einjährige können oft schon die Fernbedienung bedienen und die DVD einlegen. Mittlerweile haben aber Wissenschaftler herausgefunden, dass "Baby Einstein"-DVDs für die Sprachentwicklung von Babys ganz schlecht ist und zwar doppelt so schlecht, wie tägliches Vorlesen einen positiven Effekt hat. Und wir wissen, dass tägliches Vorlesen einen positiven Effekt hat. Noch mal: "Baby Einstein"-DVDs haben einen doppelt so negativen Effekt, wie tägliches Vorlesen einen positiven Effekt hat. Mittlerweile nimmt der Disney-Konzern die "Baby Einstein"-DVDs zurück, bezahlt Ihnen den vollen Kaufpreis und Sie brauchen nicht mal den Kassenbon mit einreichen. Sie kriegen es trotzdem. Warum? Die haben Angst, dass sie verklagt werden, weil man nämlich den Kindern flächendeckend massiv geschädigt hat. Die haben erst versucht, die Wissenschaft zu unterdrücken. Jetzt können sie es nicht und jetzt geben sie ganz kleinlaut zu, nehmen die Sachen zurück. Und man muss sich einfach fragen, warum hat das nicht früher funktioniert? Warum hat nicht früher jemand gesagt, Moment mal, bevor ihr was marktschreierisch verkaufen dürft, zeigt doch erst mal, dass es funktioniert. Und in diesem Fall war der Effekt sogar deutlich negativ. Aber trotzdem haben Millionen von Eltern, Millionen von Dollar ausgegeben und in Deutschland auch, um ihre Kinder zu schädigen. Und genau davor warne ich und deswegen frage ich immer nach, Moment mal, wenn du was Positives über Bildschirmmedien sagst, woher hast du es? Bitte beweise es erst mal!
von Billerbeck: Computer verderben den Geist, sagt der Ulmer Neurobiologe Manfred Spitzer und rät, Kinder nicht vor der Pubertät an den Computer zu lassen. Herr Professor Spitzer, selbst wenn Eltern das zu Hause schaffen, den Computerkonsum zu verhindern, der Gruppendruck durch andere Kinder dürfte ziemlich groß sein. Wie können sich denn Kinder dem entziehen?
Spitzer: Nun, der Gruppendruck ist auch bei anderen Dingen groß. Der ist auch bei Drogen groß, der ist bei Pornografie groß, der ist bei vielen Dingen groß. Ich glaube, was heute so gern gesagt wird: Wenn es alle machen, dann musst du es auch machen, damit du nur konform gehst. Das halte ich schlichtweg für falsch, mit dem Argument können Sie ja jeden Blödsinn rechtfertigen, den Ihre Kinder mitmachen sollen. Ich finde, es zeichnet doch gerade mündige Bürger aus, die auch mal sagen, hör mal zu, auch wenn es alle machen, ich mache es nicht und du machst es bitte auch nicht und ich sage dir auch, warum nicht. Und das Argument, das kriegst du doch an jeder Ecke, das zählt einfach nicht. Wir verbieten auch harte Drogen, obwohl man die auch an jeder Ecke bekommt. Aber wir haben bestimmte Standards und wir wollen bestimmte Dinge nicht. Und dass wir ganz schreckliche Spiele, die einfach unmenschlich brutal sind, dass wir die nicht verbieten, das zeigt einfach nur, dass wir selber da eine ganz große Abstumpfung haben. Und das müsste nicht sein und wir könnten uns alle fragen, sollten uns alle fragen, was wollen wir eigentlich in der Zukunft? Welche Gedanken sollen unsere Kinder haben, womit sollen sie sich beschäftigen und soll das wirklich der ganze Schrott sein, den eine ganze Industrie über die Köpfe unserer Kinder ausleert und sie damit zumüllt, wollen wir das wirklich? Nur, weil man es jetzt macht und weil es der Nachbar auch macht? Nein wir wollen es - aus meiner Sicht - nicht!