Was bleibt von der Gründungsidee?
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Wie jüdisch muss ein Jüdisches Museum sein? Und wie verbunden mit Israel? Darüber wird in der Jüdischen Gemeinde Berlin und im Museum selbst seit einiger Zeit heftig gestritten. Die Hoffnungen auf eine kluge Lösung ruhen auf der neuen Direktorin Hetty Berg.
Der Job ist vielleicht der schwierigste, den der deutsche Kulturbetrieb derzeit zu vergeben hat. Doch die neue Direktorin Hetty Berg bringt zwei wichtige Eigenschaften mit, die ihr in ihrer neuen Rolle helfen könnten: Sie kommt nicht aus Deutschland – und sie entstammt einer jüdischen Familie. Beides unterscheidet sie von ihrem Vorgänger Peter Schäfer, der im Juni letzten Jahres aufgeben musste – zerrieben zwischen den Fronten einer heftigen politischen Auseinandersetzung, die letztlich um die Frage kreiste: Wie jüdisch muss ein jüdisches Museum sein? Und vor allem: Wie hält es das Jüdische Museum mit dem Staat Israel? Das Museum und seine Akademie standen zuletzt gar unter dem Verdacht, ein Hort für Antisemiten zu sein – weil es sich, so seine Kritiker, nicht ausreichend von der palästinensischen Boykottbewegung BDS distanziert habe. Einer von ihnen war Volker Beck von den Grünen:
"Bei der Akademie vermisst man oft bei Veranstaltungen die spezifisch jüdische Perspektive, findet dagegen Rednerinnen und Redner eingeladen, die BDS unterstützen, eine antisemitische Kampagne gegen Israel", so der Politiker.
Ein Vorwurf, den Akademieleiterin Yasemin Shooman als absurd zurückwies. Niemals habe ein Referent auf der Bühne BDS erwähnt oder dafür geworben, erklärte sie gegenüber der Wochenzeitung "Die ZEIT". Allerdings habe man, so Mitarbeiter des Hauses, die Referenten auch keiner Gesinnungsprüfung unterzogen.
Wird das Jüdische durch Universalisierung "enteignet"?
Spätestens mit der Ausstellung "Welcome to Jerusalem" vor zwei Jahren sei der Berliner Institution die jüdische Perspektive abhanden gekommen, sagen Kritiker wie Sergej Lagodinski, Mitglied der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde in Berlin. Die Ausstellung sei zu einseitig, zu israelkritisch gewesen und habe der Sichtweise der Palästinenser zu viel Raum gegeben.
"Dadurch entsteht so ein Durcheinander, wo es überhaupt nicht klar ist, wo fangen jüdische Perspektiven an, wo hören sie auf", kritisiert Lagodinski. "Ich glaube, dass wir in Deutschland eben versuchen, das Jüdische oder das Deutsch-Jüdische zu universalisieren, und dadurch enteignen wir aber vielen jüdischen Menschen diesen Ort gewissermaßen, diesen Ort des Jüdischen."
Ein Ort des Jüdischen zu sein, wie es sich die Jüdische Gemeinde wünscht – ist das die Aufgabe des Jüdischen Museums? Sich aus der Politik heraushalten und sich auf die Darstellung der Geschichte des Judentums in Deutschland mit besonderem Augenmerk auf die Shoah beschränken? Eine solche Verengung des Blicks war jedenfalls nicht die Absicht des Gründungsdirektors Michael Blumenthal.
Was genau ist eine jüdische Perspektive?
Nach dem Gründungsgesetz von 2001 soll sich das Museum mit der Geschichte des Judentums befassen, aber auch mit dessen wechselvollem Verhältnis zur nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft. Die 2013 gegründete Akademie des Museums erweiterte in ihrem Programm das Spektrum noch einmal auf die Themen Migration, Menschenrechte und Minderheiten. Für die langjährige Programmdirektorin Cilly Kugelmann, selber Tochter von Holocaust-Überlebenden, ist genau das eine genuin jüdische Perspektive:
"Weil alles, was sich in einer Gesellschaft gegen Minoritäten formiert – ob das Schwule sind, ob das Muslime sind, ob das Flüchtlinge sind –, immer tendenziell eine Gefahr für alle Minderheiten ist. Und da Juden eine historische Minderheit in der deutschen Geschichte sind, ist das eine genuin jüdische Perspektive."
Auch wenn die Jerusalem-Ausstellung, die in großen Teilen auf Kugelmann zurückgeht, mit ihrem multiperspektivischen Blick auf die Stadt der drei Weltreligionen zu den erfolgreichsten in der Geschichte des Museums gehörte und auch viel öffentliche Zustimmung erfuhr – seither ist das Jüdische Museum aus der Kritik kaum noch herausgekommen. Vor allem die Publizisten Alan Posener und Michael Wolffsohn, aber auch der Grünen-Politiker Volker Beck schossen sich auf die Institution ein – bis hin zum israelischen Botschafter und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der in einem Schreiben das Kanzleramt nach der Jerusalem-Ausstellung aufforderte, dem Museum wegen antiisraelischer Tendenzen die Förderung zu entziehen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters wies zwar jede Einmischung von außen als unzulässig zurück:
"Entscheidend gilt hier, die Autonomie und Unabhängigkeit des Jüdischen Museums waren und sind für mich nicht verhandelbar. Das ist ein eherner Grundsatz in der deutschen Kulturpolitik. Wer versucht, auf das Museum inhaltlichen Einfluss auszuüben, ob das die inländische oder die ausländische Politik oder andere Interessengruppen sind, würde es dadurch echt in Misskredit bringen."
Säkulares Selbstverständnis: die Gründungsidee
Dennoch führte eine Beschwerde des israelischen Botschafters dazu, dass Schäfer den palästinensische Friedensforscher Sa’ed Atshan, der in der Akademie des Museums einen Vortrag halten sollte, wegen angeblicher BDS-Kontakte wieder auslud. Was ihm wiederum Kritik im eigenen Haus einbrachte. Er hätte Rückgrat zeigen müssen, fanden viele.
Wird sich die Gründungsidee, das säkulare, auf gesellschaftlichen Dialog gerichtete Selbstverständnis des Museums, halten können? Mit Hetty Berg als neuer Direktorin spricht vieles dafür. Doch auch ohne die Unterstützung der Jüdischen Gemeinde, die sich im Jüdischen Museum wiederfinden will, geht es kaum. Wer aber bestimmt, was jüdisch ist – und was antisemitisch? Benjamin Netanjahu? Viele junge Israelis leben heute in Berlin, die eine sehr kritische Position zur israelischen Politik haben. Die jüdische Identität in Deutschland ist selbst längst viel heterogener, als es viele wahrhaben wollen.