Rückkehr zum Vertrauten der Castorf-Ära
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An der Berliner Volksbühne beginnt die Intendanz von René Pollesch mit seinem neuen Stück "Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen". Das Signal ist einfach: Wir sind wieder da und wir haben uns nicht groß verändert.
Man kann durchaus erwarten, dass viel los ist, wenn an einer großen deutschsprachigen Bühne eine neue Intendanz beginnt. Insbesondere, wenn es sich um die Berliner Volksbühne handelt und diese mit René Pollesch nun den Leiter bekommt, der für viele Fans des Hauses die Rettung bedeutet – nach den unglücklichen Jahren unter Chris Dercon und der mit Metoo-Vorwürfen beendeten Übergangszeit unter Intendant Klaus Dörr. Nun also Pollesch auf dem Chefsessel – und die Rückkehr zu den heiß geliebten Protagonistinnen und Protagonisten, die das Haus unter Frank Castorf repräsentiert haben.
Massenhysterie und Widerstand
Man hat viel erwartet von diesem Neustart, aber vielleicht nicht unbedingt einen Polizeieinsatz: Es sind die Impfgegner, die das erste große Theaterspektakel der neuen Ära einleiten – und die erste große Irritation bescheren: Geben Sie sich doch als Stimme der Volksbühne aus, die über Lautsprecher die Premierengäste in wenig subtiler Ironie zur Impfleugner-Testung auffordern und schließlich ein "Impft euch ins Knie"-Plakat entrollen.
Es kommt zu handgreiflichen Reibereien und einer Verfolgungsjagd durch die Polizei über den Vorplatz des Theaters und den Rosa-Luxemburg-Platz, der ja schon früh in der Pandemie Zentrum der Querdenker-Proteste war.
So ist es schon ein erstaunlicher Zufall, dass auch im Premierenstück immer mal wieder von der "Massenhysterie da draußen" die Rede ist, von denen, die den Widerstand darstellen, weil sie "gegen das Gendern" sind zum Beispiel.
Die Welt bleibt nicht ganz draußen in Polleschs erster Premiere: "Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen" heißt das neue Stück, das – der Titel verrät es – natürlich auch das Theater selbst zum Thema macht.
Der Vorhang, Wuttke und drei fabelhafte Frauen
Und wirklich hängt da so ein riesiger lachsfarbener Vorhang, hebt und senkt und bauscht sich, schwebt scheinbar frei in der Luft, wird zur Grenze und zur Projektionsfläche. Und darum herum: Martin Wuttke, der sich eine Skelettmarionette auf den Rücken schnallt, die ihm beständig auf die Schulter tippt, der sich selbst spielt oder einen Schauspieler, der Tolstoi spielt.
An seiner Seite ein fabelhaftes weibliches Trio: Margarita Breitkreiz, Susanne Bredehöft und Kathrin Angerer, die in der ihr eigenen, nölenden Anmut vom Altern spricht und von den jungen Leuten, die heute die großen Werke vollbringen müssen und so alt aussehen mit ihren Augenringen und den grau gefärbten Haaren.
Man spricht, man sitzt in Campingstühlen, man schreitet zu lauter Musik über die Bühne. Mehr scheint nicht nötig für einige zauberhafte und einige dröge Momente.
Anschluss an die Castorf-Jahre
Was hier wichtig zu sein scheint, ist vor allem der nahtlose Anschluss an die Castorf-Jahre, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass mit Leonard Neumann der Sohn von Volksbühnen-Bühnenbild-Legende Bert Neumann hier in die Fußstapfen seines Vaters tritt und für Kostüme und Bühne verantwortlich zeichnet.
Es ist eine Rückkehr zum Vertrauten, und Polleschs entspanntes Bühnen-Diskutieren zeigt sich tiefsinnig und verschmitzt, mit Volten gegen die Political Correctness und einer traurigen Zirkussehnsucht. Kein ganz großer Wurf wird hier angestrebt, keine Fanfaren ertönen, kein Sich-in-die-Brust-Schlagen findet hier statt.
Das Signal ist einfach: Wir sind wieder da und wir haben uns nicht groß verändert.
Arbeiten im Offenen
Dazu passt, dass die neue alte Volksbühne keine große Programmvorschau herausgebracht und auch bislang kaum neue Inszenierungen auf ihr Programm gesetzt hat. Offenbar will man sich ganz langsam hineinarbeiten in die anstehenden Aufgaben und vertraut auf die Beglückung der alten Fans.
Die beklatschen ihre Heldinnen und Helden dann auch mit großer, gerührter Hingabe. Die Anbindung an die Vergangenheit steht, nun muss nur noch der Weg in die Zukunft gefunden werden.