Harsche Kritik an Corona-Programm für Kultur
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Mit der „Kulturmilliarde“ sollten Künstler und Einrichtungen während der Pandemie unterstützt werden. Nun hat der Bundesrechnungshof das Programm begutachtet. Der unveröffentlichte Bericht kritisiert es - zu komplex und unzureichend umgesetzt.
„Neustart Kultur“ ist Geschichte, die Debatte darum dürfte aber noch andauern: Konzipiert im Frühjahr 2020 von der damaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters als Corona-Hilfsprogramm für die Kultur, ist es Ende Juni 2023 ausgelaufen.
Im September liegt nun eine erste Bewertung des Programms vor. Der Bericht, der Deutschlandfunk Kultur vorliegt, ist bisher nicht öffentlich und wurde vom Bundesrechnungshof für den Haushaltsausschuss des Bundestags verfasst. Darin wirft der Rechnungshof der Kulturstaatsministerin gravierende Mängel bei Konzeption und Durchführung des „Rettungs- und Zukunftsprogramms“ vor.
"Kulturmilliarde" oder "Neustart Kultur"?
Die Kritik entzündet sich bereits am ersten, inoffiziellen Namen des Programms. Denn bevor es zu "Neustart Kultur" wurde, nannte Staatsministerin Grütters die Coronahilfen kurz und knackig "Kulturmilliarde". Und genau darum ging es ja: Die Kultur- und Kreativwirtschaft mit einer (und später noch einer zweiten) Milliarde Euro dabei zu unterstützen, die Folgen der Pandemie abzumildern.
Der Rechnungshof schreibt nun: „Die BKM fasste die beiden Kulturmilliarden als 'politische Zahlen' auf.“ Gemeint ist damit, dass die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und ihre Beamten im Vorfeld nicht ermittelt haben, wie viel Geld Künstlerinnen, Plattenfirmen, Zirkusse und Buchhandlungen wegen Corona eigentlich brauchen; sondern, dass stattdessen zunächst eine Zahl im Raum stand und dann überlegt wurde, wer wie viel bekommen soll.
Vielleicht liegt es auch an dem nur grob geschätzten Bedarf, dass das Geld dann auch nicht vollständig abgerufen wurde: So kritisiert der Rechnungshof, dass bis Ende April 2022 – zu diesem Datum waren die meisten bundesweiten Coronamaßnahmen ausgelaufen – weniger als die Hälfte des verfügbaren Geldes abgeflossen ist: 926 Millionen von 2 Milliarden Euro. Das sei problematisch, weil die Hilfen somit die Empfänger zu spät erreicht haben könnten. „Zugleich steigt die Gefahr von Mitnahmeeffekten, je zeitversetzter die Mittel zum Ereignis ausgereicht werden.“
Auswirkungen der Pandemie waren länger spürbar
Eine Sprecherin der heutigen Kulturstaatsministerin Claudia Roth sieht das ganz anders: Die Auswirkungen der Pandemie auf die Kultur seien viel länger spürbar gewesen als bis zum 3. April 2022. „Auch brauchten Konzertbetreiber, Kinos und Theater Zeit, sich in einer immer noch von Unsicherheit geprägten Phase auf Öffnungen vorzubereiten. Und: Neustart Kultur war gerade darauf angelegt, das Publikum wieder an Kultur vor Ort heranzuführen.“
"Neustart Kultur", so hat es die Behörde stets verstanden und so klingt es ja auch schon im Namen an, war vor allem auf die nachpandemische Zukunft ausgerichtet. Aber auch das kritisiert der Rechnungshof, denn schließlich sollte es auch ein Rettungsprogramm sein. Dieser Aspekt sei aber zu kurz gekommen, so sei nur ein geringer Teil des Geldes in Form sogenannter Billigkeitsleistungen ausgegeben worden. Das sind finanzielle Leistungen, die ein Staat zum Ausgleich oder zur Milderung von Schäden gewähren kann.
Die BKM aber hat stattdessen ganz überwiegend auf sogenannte Zuwendungen gesetzt: Kulturschaffende und -unternehmen bewarben sich mit Ideen für neue Projekte um eine Förderung. Das verzögerte die Auszahlung des Geldes – und hat noch einen weiteren Effekt: Billigkeitsleistungen hätten die freie Schriftstellerin, den Bildhauer oder das Klassik-Quartett direkt erreichen können. Stattdessen aber haben Individuen im Vergleich zu Institutionen wie Plattenlabels, Verlagen, Galerien viel weniger Geld erhalten, wie Deutschlandfunk Kultur bereits am Beispiel der Bildenden Kunst und der Literatur zeigen konnte.
Zu hoher Verwaltungsaufwand?
Weiterhin kritisiert der Bundesrechnungshof, das Programm sei sehr kleinteilig angelegt worden. Nahezu 40 kulturelle Dach- und Branchenverbände legten insgesamt 88 Programmbausteine auf. Zwar habe das der BKM ermöglicht, die Besonderheiten verschiedener Kultursparten zu berücksichtigen. Aber: „Gemessen an ihrem Effekt auf die Pandemieauswirkungen erfordern kleine Programmbausteine aufgrund unvermeidbarer administrativer 'Fixkosten' einen überproportionalen Verwaltungsaufwand“, so der Bundesrechnungshof. Die BKM-Sprecherin hält dagegen: Die Komplexität des Programms und die Vielzahl der Projektlinien seien der hohen Komplexität des Kultursektors geschuldet.
Und tatsächlich scheint die Komplexität hoch zu sein. So hoch, dass bei der BKM laut Rechnungshof zumindest zeitweise die Zahlen durcheinandergeraten sind: Die Fördersummen wichen in verschiedenen Listen und Zwischenbilanzen voneinander ab. Hilfe hätte es in Form einer Software gegeben, die das Controlling und Management von Projektförderungen erleichtern soll – aber die nutzt die BKM nicht. Da im Hause Grütters zudem erst im Juni 2021 eine eigene Projektgruppe für die Coronahilfen gegründet worden sei, kommt der Rechnungshof zum Schluss: „Das interne Monitoring der BKM für das Programm 'Neustart Kultur' ist unzureichend.“
Zu all dem gibt die BKM-Sprecherin zu bedenken: „Für alle, auch die Behörde, war das nicht nur eine Riesenanstrengung, sondern auch eine Lernerfahrung. Deshalb nehmen wir die Kritik des Bundesrechnungshofs ernst, auch wenn wir in einigen Punkten widersprechen.“ Man sei zudem gerade dabei, das Programm inhaltlich mit Blick auf seine Wirksamkeit evaluieren zu lassen.
Strohfeuer oder Erfolgsmeldung?
Die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch ist eine derjenigen, für die der Bundesrechnungshof den Bericht verfasst hat. Sie ist Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestags. Lötzsch sieht sich in ihrer Kritik bestätigt: „Dieser Bericht sagt sehr deutlich, dass mit dem Programm 'Neustart Kultur' ein kleines Strohfeuer entfacht wurde, aber die Kulturwirtschaft nicht auf die nächsten Krisen vorbereitet wurde. Und das ist eigentlich die Herausforderung. Mit einmaliger Unterstützung ist vielen dauerhaft überhaupt nicht geholfen.“ Zudem sei das Programm mit 88 Programmbausteinen ineffizient und überkomplex angelegt gewesen. „Und darum ist leider von dem Geld viel zu wenig abgeflossen. Die Kultur hätte es verdient gehabt.“
Die vielschichtige Kritik des Bundesrechnungshofs wirkt noch stärker, wenn man sich vor Augen führt, wie im Haus der BKM selbst auf das Programm geblickt wurde. Darüber Aufschluss gibt ein ebenfalls bisher unveröffentlichtes Dokument. Es ist datiert auf den 11. Oktober 2021, der Zeit des Regierungswechsels von der GroKo zur Ampel.
Das Dokument ist so etwas wie eine Amtsübergabe auf Papier, Kulturstaatsministerin Grütters (CDU) fasst darin für ihre Nachfolgerin Claudia Roth (B‘90/Die Grünen) den Stand der Dinge zusammen: Im Kapitel „Bewältigung Corona-Krise im Kulturbereich“ geht es dabei auch um „Lehren für die Zeit nach der Pandemie“. Der erste Punkt ist dann allerdings keine Lehre, sondern eine Erfolgsmeldung: „'Neustart Kultur' als 'best practice' für neue Formen der Zusammenarbeit mit Verbänden und Fonds bei der Konzeption und Vergabe von künftigen Förderungen (auch in anderen inhaltlichen Bereichen)“. Der Bundesrechnungshof, so viel lässt sich nach Lektüre des Berichts sagen, sieht das anders.