- So haben wir recherchiert
- Zahlreiche Regelverstöße
- Staatliche (In-)Transparenz
- Musik, Theater, Film - Die Förderung nach Sparten
- Das meiste Geld ging nach Berlin
- Die höchsten Förderungen
- Der Fall "Eventim"
- Mehrere Anträge = mehrere Förderungen
- Pandemiebedingte Investitionen
- Intransparente Förderentscheidungen bei Stiftung Preußischer Kulturbesitz**
- Resümee
Kulturmilliarde
Was bleibt von "Neustart Kultur", dem “größten Konjunkturprogramm für Kultur und Medien in der Geschichte der Bundesrepublik”, wie es von der Kulturstaatsministerin hieß? Dlf Kultur hat recherchiert. © Getty Images / Eoneren
Rettungsanker und Geldsegen
13:20 Minuten
Das Coronaprogramm "Neustart Kultur" hat in der Pandemie vielen Kultureinrichtungen und Künstlern geholfen. Unsere Recherche zeigt aber auch: Einiges hätte besser laufen können.
Zwei Milliarden für die Kultur
Als im Frühjahr 2020 das gesamte öffentliche Leben wegen der Coronapandemie stillsteht, legt die damalige Kulturstaatsministerin (BKM) Monika Grütters ein “Rettungs- und Zukunftsprogramm” für die Kulturbranche auf. Der Name ist groß: "Neustart Kultur" (NK), stets in Versalien geschrieben. Die Zahlen sind auch groß: Eine Milliarde Euro – später werden es sogar zwei – sollen den kulturellen Institutionen sowie den Künstlerinnen und Künstlern durch die Pandemie helfen. Es ist laut der Staatsministerin “das größte Konjunkturprogramm für Kultur und Medien in der Geschichte der Bundesrepublik”.
Aber wer genau wurde mit dem Geld unterstützt? Und wie transparent wurde mit dieser Milliardensumme umgegangen? Das hat ein Team von Deutschlandfunk Kultur recherchiert.
Übersicht
So haben wir recherchiert
Unsere Recherche beginnt im Sommer 2022 mit einer einfachen Frage: “Was ist eigentlich aus der Kulturmilliarde geworden?” Doch schnell müssen wir feststellen: Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht. Denn "Neustart Kultur" wird zwar von der Kulturstaatsministerin ins Leben gerufen; die Verteilung der Fördermittel übernehmen allerdings mehr als 40 Verbände, Fonds, Stiftungen und andere Organisationen. Diese haben im Auftrag der Bundesregierung über Anträge entschieden und Gelder ausgezahlt.
Aus einer Anfrage werden somit Dutzende. Und jede Antwort stellt uns vor neue Herausforderungen: Wir erhalten übersichtliche Tabellen, aber auch schwer lesbare PDFs oder Links zu Websites, die mal mehr, mal weniger konsistente Informationen über die Fördernehmer, -beträge und -zwecke zeigen. Später bekommen wir aktualisierte Daten auch direkt von der BKM.
Wir fügen all diese Informationen zusammen und erstellen einen durchsuchbaren Datensatz mit 53.722 Fördervorgängen. So können wir erstmals Mehrfachförderungen auf den Grund gehen, die höchstgeförderten Institutionen der Kulturmilliarde ausfindig machen und die unterschiedlichen Förderprogramme vergleichen.
Weitere Informationen stammen etwa aus Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz, Dokumenten des Bundestags und des Bundesrechnungshofs sowie öffentlich einsehbaren Geschäftsberichten. Flankiert haben wir die Analyse der Zahlen und Daten durch Interviews mit Künstlerinnen und Künstlern, Vertretern der Kulturwirtschaft sowie Expertinnen und Experten.
Weitere Informationen stammen etwa aus Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz, Dokumenten des Bundestags und des Bundesrechnungshofs sowie öffentlich einsehbaren Geschäftsberichten. Flankiert haben wir die Analyse der Zahlen und Daten durch Interviews mit Künstlerinnen und Künstlern, Vertretern der Kulturwirtschaft sowie Expertinnen und Experten.
Inzwischen ist klar: Zwar standen bis zum Auslaufen des Programms Mitte 2023 zwei Milliarden Euro zur Verfügung, tatsächlich bewilligt wurden allerdings nur etwa 83 Prozent des Geldes; exakt waren es 1.662.385.530 Euro. Das lässt zwei Schlüsse zu: Entweder war der Bedarf niedriger als die vorhandenen Mittel oder die Programme waren nicht passgenau auf den jeweiligen Bedarf zugeschnitten.
Der Bundesrechnungshof kommt zu einem ähnlichen Schluss: Im September 2023 hat er die BKM wegen der nicht erfolgten Bedarfsermittlung und der “politischen Zahl” von zwei Milliarden Euro kritisiert. Eine Sprecherin der BKM sagt dazu: “Die Kritik des Bundesrechnungshofs nehmen wir ernst, haben aber auch in unseren Stellungnahmen stets auf die extremen Bedingungen verwiesen, unter denen Entscheidungen getroffen werden mussten.”
Dennoch hat "Neustart Kultur" seinen Zweck erfüllt. Viele der Geförderten sind voll des Lobes für das Programm und seine Wirkung: Bei unseren Recherchen hören wir immer wieder, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihren oftmals prekären Arbeits- und Produktionsbedingungen dank "Neustart Kultur" endlich mal ausreichend gefördert wurde – und das ausgerechnet während der pandemischen Großkrise.
Zahlreiche Regelverstöße
Viel Licht also. Aber wenn man genauer hinsieht, dann gibt es auch viel Schatten. Unsere Daten zeigen nämlich auch problematische Aspekte des Programms.
- So erhielten Geförderte mehr als eine Zuwendung in einem Programm, in dem das eigentlich ausgeschlossen war.
- Unternehmen konnten Anträge bei mehreren Organisationen aus verschiedenen Sparten stellen, ihnen wurden Fördermittel in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro gewährt. Einige machten somit gute Gewinne, standen durch „Neustart Kultur“ während der Pandemie besser da als zuvor.
- Bedarf und Fördergelder in den einzelnen Kunstsparten passten zum Teil nicht zusammen: So hatten bildende Künstlerinnen und Künstler deutlich niedrigere Chancen auf Förderungen als Vertreter anderer Sparten.
- Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat in mehreren Fällen über ihre eigenen Anträge entschieden: Die Stiftung war sowohl Geldgeber als auch Zahlungsempfänger.
- Der Live-Entertainment- und Ticketing-Konzern CTS Eventim AG bekam mehr als 10 Millionen Euro "Neustart"-Förderung bewilligt. Parallel flossen über 260 Millionen Euro staatliche Hilfszahlungen zum Kompensieren von Umsatzeinbußen aus Deutschland, der EU und der Schweiz. Das wirft die Frage auf, ob die zusätzlichen "Neustart"-Gelder zur Rettung des Konzerns wirklich nötig gewesen sind.
Einige dieser Punkte lassen sich damit erklären, dass die Programme zu Beginn der Pandemie im Sommer 2020 in großer Eile aufgelegt wurden, um der Kultur schnell zu helfen. Aber im Laufe der Coronazeit hätte es reichlich Gelegenheit gegeben, die Regeln nachzuschärfen – das wurde oft nicht gemacht.
Dennoch sind es Einzelfälle, die bei der Bearbeitung der vielen tausend Anträge durchgerutscht sind oder durchgewunken wurden. Daneben gab es aber auch systemische Probleme. Diese kamen zustande durch den fehlenden Austausch von Daten und damit zu wenig Transparenz. Sie lassen sich erst durch den Abgleich verschiedener Datensätze erkennen.
Staatliche (In-)Transparenz
Als wir im Sommer 2022 beginnen, die Zahlen und Daten mittels Fragebögen zu erheben, wird schnell klar: Alle Organisationen, Stiftungen und Firmen verwalten ihre jeweiligen Förderprogramme auf ihre eigene Art. Zentrale Vorgaben, welche Daten wie zu erheben sind, gibt es nicht.
Mal erhalten wir vollständige Excel-Tabellen aller Fördervorgänge inklusive Projektbeschreibungen, Namen, Postleitzahlen, Summen; mal werden uns Listen im PDF-Format geschickt; mal sind Tabellen in Word-Dokumenten versteckt; und mal wird auf Websites verlinkt, auf denen Namen, Zahlen und statistische Angaben zu finden sind.
Neben der Form ist auch die Qualität der Daten sehr unterschiedlich. Während einige Fördergeber uns alle erfragten Daten zur Verfügung stellen (wenn sie nicht eh schon im Netz zu finden sind), machen viele andere dicht. Der Grund: Datenschutz.
Dennoch ist es uns am Ende gelungen, Daten zu zig Programmen und Tausenden Fördernehmer weitgehend zusammenzutragen. Wobei: Nicht ganz. Vom Förderprogramm der “Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkuspädagogik” kennen wir bis zum Redaktionsschluss der Recherche kaum Details.
Selbst bei der BKM liegen die Daten nicht vollständig vor. Zwar gebe es einen Abschlussbericht, aber der enthalte weder die geförderten Projekte noch die Namen der Letztempfänger. Die Erklärung: Nach dem Auslaufen des Förderprogramms sei das zuständige Büro aufgelöst und alle Akten eingelagert worden. Um da heranzukommen, müsste nun einer der früheren Mitarbeiter extra nach Hannover fahren. Und so lagern die Details über die Verwendung von knapp 7,9 Millionen Euro Steuergeld in einem Depot in Hannover.
An Fällen wie diesen lässt sich absehen, warum im Fall von „Neustart Kultur“ ein einheitliches Datenmanagement sowie Transparenz nach innen und außen so wichtig gewesen wären: Intern hätte die BKM problematische Entwicklungen und Regelverstöße viel leichter erkennen und womöglich ahnden können. Und nach außen ermöglicht die konsequente Publikation aller Eckdaten den Kulturschaffenden sowie der Öffentlichkeit, selbst festzustellen, ob die Regeln eingehalten werden.
Musik, Theater, Film - Die Förderung nach Sparten
Im Programmteil “Mehrbedarfe pandemiebedingter Investitionen” wurden erstmals auch Zirkusse als Teil der Kulturlandschaft gefördert. Das Geld war dafür da, um Masken, Tests und Laptops anzuschaffen oder Kultureinrichtungen pandemiegerecht umzubauen.
Der Programmteil “BKM-Einrichtungen und Projekte” war zur Unterstützung der Kultureinrichtungen gedacht, die überwiegend staatlich finanziert werden – von der Akademie der Künste bis zur Wartburg in Eisenach.
Der Großteil des Geldes floss in den Teil “Erhalt und Stärkung von Kulturproduktion und -vermittlung”. Hier gab es verschiedene Förderungsmöglichkeiten für die Sparten Bildende Kunst und Literatur, Musik und Tanz, Theater und Film; zusätzlich gab es übergreifende Programme zur Digitalisierung. Die Hilfen für die Musik machten hier den größten Anteil aus, gefolgt vom Theater.
Aufgrund der pandemischen Ausnahmesituation unterstützte die Bundesregierung die einzelnen Sparten großzügiger als je zuvor. Allerdings hätte in allen Bereichen noch mehr Geld zur Verfügung gestanden - zum Teil deutlich mehr. Im Bereich Musik etwa lag das “vorgesehene Volumen” bei 436,5 Millionen Euro, davon wurden rund 413,5 Millionen Euro auch für Projekte bewilligt – das ergibt eine Quote von 95 Prozent.
Anders beim Film: Hier lagen Mittel in Höhe von rund 137,5 Millionen Euro bereit, von denen aber nur 82,7 Millionen Euro auch bewilligt wurden. Die Quote von nur 60 Prozent hat auch damit zu tun, dass die Gelder hier zum Teil als eine Art Versicherung vorgehalten wurden, um die Dreharbeiten von Filmen und Serien gegen Ausfälle abzusichern. Die zuständige Filmförderungsanstalt FFA teilt dazu mit: “Die tatsächlich eingetretenen Schäden waren erfreulicherweise geringer, sodass weniger Mittel ausgezahlt werden mussten, als insgesamt zur Verfügung standen.”
Ein weiteres Indiz für die ungenaue Verteilung der Gelder auf die einzelnen Sparten liefert ein Blick auf die Entwicklung der Umsätze im Verlauf der Pandemie: So machte etwa der Bereich Buch laut “Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2022” ein Umsatzplus – und trotzdem wurden Anträge in einer Höhe von rund 114 Millionen Euro bewilligt.
Zwar war die Entwicklung der Umsätze am Beginn der Pandemie nicht vorauszusehen – aber bei der Aufstockung von "Neustart" um eine zweite “Kulturmilliarde” oder bei der Verlängerung der einzelnen Programme hätte die BKM darauf reagieren können.
Noch eindeutiger wird dieser Befund, wenn man zusätzlich die Zahl der Förderanträge in den Blick nimmt. Während in der Sparte Film fast jeder gestellte Antrag – nämlich rund 94 Prozent– auch bewilligt wurde, waren es bei der Musik nur rund 48 Prozent und bei der Bildenden Kunst gar nur rund 24 Prozent. Bei Malerinnen, Bildhauern oder Kunstvereinen gab es also riesiges Interesse und Bedarf an Förderung, der bei weitem nicht gedeckt werden konnte – und das, obwohl das verfügbare Geld fast vollständig bewilligt wurde.
Gewaltige Unterschiede zeigen sich auch beim Blick auf die Zahl der Anträge. Während im Bereich Film nur 569 Anträge gestellt wurden, waren es in der Musik fast 43.000. Diese große Spanne deutet schon darauf hin: Die Programme in einigen Sparten haben sich mehrheitlich an kulturelle Institutionen und Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft gerichtet– hier gab es tendenziell weniger Anträge. In anderen Sparten gab es auch Förderung für einzelne Künstlerinnen und Künstler bzw. Künstlergruppen – daher die hohe Antragszahl.
Unsere Daten zeigen: Institutionen und Unternehmen haben mit mehr als zwei Drittel einen deutlich größeren Teil des Geldes erhalten. Und das, obwohl es für Firmen im Vergleich zu Soloselbstständigen viel mehr Unterstützungsleistungen aus dem Bundeswirtschaftsministerium zum Kompensieren von Umsatzeinbußen gab, etwa November- und Dezemberhilfe.
Das meiste Geld ging nach Berlin
Mit Blick auf die regionale Verteilung der Fördergelder ist auffällig, dass laut Daten des Bundesrechnungshofes überdurchschnittlich viel Geld ins Land Berlin geflossen ist: Zum Stichtag 31. Dezember 2022 waren 321 Millionen der bis dahin bewilligten 1,421 Milliarden Euro in die Hauptstadt gegangen; das entspricht 22,6 Prozent. Gemäß dem gängigen “Königsteiner Schlüssel” hätten dem Land Berlin nur 5,1 Prozent des Geldes “zugestanden”.
Ebenfalls über ihrem Anteil nach Königsteiner Schlüssel lagen sonst nur Hamburg, Sachsen (mit Kulturmetropolen wie Dresden und Leipzig) sowie Bremen. Eine Erklärung könnte sein, dass in diesen Regionen – im Vergleich zur Bevölkerungszahl – überdurchschnittlich viele Künstlerinnen und Künstler ansässig sind.
Man kann die regionale Verteilung aber auch noch auf eine andere Weise betrachten, nämlich heruntergebrochen auf die Einwohnerzahl des jeweiligen Bundeslandes. Demnach wurden jeder Berlinerin und jedem Berliner rechnerisch 85 Euro aus "Neustart"-Mitteln bewilligt, gefolgt auch hier von Hamburg, Bremen und Sachsen. Beim Schlusslicht Rheinland-Pfalz sind es pro Kopf gerade mal acht Euro – und damit weniger als ein Zehntel von Berlin.
Die höchsten Förderungen
Die allermeisten Fördernehmer wurden mit Beträgen unter 100.000 Euro unterstützt – das gilt vor allem für die Einzelpersonen und Künstlergruppen. Einige große Kulturinstitutionen und Unternehmen erhielten aber auch deutlich höhere Summen:
Sechs der zehn größten Fördernehmer gehören zu den “regelmäßig durch den Bund geförderten Kultureinrichtungen”. Dazu zählen etwa die “Kulturveranstaltungen des Bundes” mit Institutionen wie der Berlinale, den Berliner Festspielen und dem Martin-Gropius-Bau; aber auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Deutsche Welle, das Deutsche Meeresmuseum oder die Barenboim-Said-Akademie.
Mit der Frankfurter Buchmesse und den Kunstmessen Art Düsseldorf und Art Karlsruhe gehören auch Branchenmessen zu den Top-Geförderten. Und dann ist da der Konzertveranstalter und Ticketvermarkter Eventim, der eine Sonderstellung einnimmt.
Der Fall "Eventim"
In den uns vorliegenden Daten finden sich 30 bewilligte „Neustart“-Förderungen in Höhe von knapp 10,4 Millionen Euro. Eventim selbst gibt an, dass von 2020 bis 2022 aus "Neustart"-Mitteln 9,3 Millionen Euro an Unternehmen der Gruppe geflossen sind.
Die CTS Eventim AG ist nach eigener Aussage sowohl im Bereich Live-Entertainment als auch im Bereich Ticketing Marktführer in Europa. Sie hat in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Veranstalter und Agenturen wie FKP Scorpio oder Semmel Concerts mehrheitlich übernommen, inklusive großer Festivals wie Rock am Ring und Rock im Park. Zudem betreibt Eventim Spielstätten wie die Waldbühne Berlin oder die Kölner Lanxess Arena.
Eventim ist auf dem deutschen Live-Musikmarkt mittlerweile so mächtig, dass das Unternehmen vom Kartellamt überwacht wird und ihm weitere Zukäufe von Veranstaltern verwehrt wurden.
Entsprechend hart wurde das Unternehmen samt Tochterfirmen von der Pandemie und dem Ausfall nahezu sämtlicher Veranstaltungen getroffen. Allerdings erhielt CTS Eventim auch große Unterstützung: Der Konzern hat nach eigener Aussage in den Jahren 2020 bis 2022 – inklusive der "Neustart"-Gelder – Hilfen von mehr als 270 Millionen Euro aus Deutschland, der EU und der Schweiz erhalten.
Das Geld scheint der Firma tatsächlich geholfen zu haben: 2022 konnte Eventim einen Rekordgewinn von 384 Millionen Euro verzeichnen. Vor dem Hintergrund der hohen Hilfszahlungen und Gewinne ist es erstaunlich, dass die CTS Eventim AG und ihre Tochterfirmen nicht von einer Förderung durch „Neustart Kultur“ ausgeschlossen wurden.
Die Möglichkeit dazu hätte es gegeben: In der Buchbranche etwa blieb den großen Buchhandelsketten Hugendubel und Thalia durch eine Klausel zur Umsatzhöhe eine Förderung verwehrt.
Eventim selbst weist darauf hin, dass sich der Gewinn nicht nur auf Deutschland bezieht. Vielmehr werde der größere Teil “inzwischen im inner- und außereuropäischen Ausland erwirtschaftet”. Und was den Ausschluss der großen Buchhandelsketten angeht, so gebe es einen großen Unterschied zum Live-Entertainment: Bücher seien werthaltige Wirtschaftsgüter, “wohingegen ein ausgefallenes Event oft einen unwiederbringlichen wirtschaftlichen Schaden verursacht.”
Ähnlich argumentiert die BKM. Eine Sprecherin teilt mit: “Bei den 'Neustart Kultur'-Förderprogrammen im Bereich der Livekultur konnte es keinen Konzernvorbehalt geben, denn große wie kleine Veranstalter waren gleichermaßen von den Lockdowns betroffen.”
Der Konzertveranstalter Berthold Seliger, ein Konkurrent und Kritiker von Eventim, sieht die Hilfen für den Konzern in der Pandemie dennoch äußerst kritisch. Vermutlich sei CTS Eventim “der mit Abstand größte Corona-Profiteur in Deutschland”. Es sei ein Fehler gewesen, die Hilfen allein am Umsatz auszurichten; zudem hätte man sie deckeln müssen.
“Vor allem aber wäre es sinnvoll gewesen, die Maximalprofiteure zumindest zu verpflichten, einen nennenswerten Teil ihrer Fördersummen an diejenigen weiterzuleiten, die tatsächlich in größte Not geraten waren, nämlich die Musiker, die Gewerke und all die vielen meist soloselbständigen, im Hintergrund tätigen Kulturarbeiter, ohne die Veranstaltungen nicht durchgeführt werden können.”
Mehrere Anträge = mehrere Förderungen
Zu den Gewinnern von „Neustart Kultur“ gehörten auch kleinere, teils gemeinnützige Kulturorte. Weil sie Veranstaltungen aus verschiedenen Kultursparten anbieten, konnten sie Fördermittel in verschiedenen Programmen beantragen. Ein Beispiel ist der Kupfersaal, ein Veranstaltungshaus im Zentrum von Leipzig, wo laut Website Poetry Slams, Comedy Shows, Podcasts und Singer-Songwriter-Veranstaltungen stattfinden.
Der Kupfersaal hat mindestens zwölf Förderungen mit gut 830.000 Euro von fünf verschiedenen Institutionen bewilligt bekommen.* Beispiele dieser Art gab es einige:
- Kulturzentrum Loch aus Wuppertal: 13 Förderungen, mehr als 600.000 Euro
- Schaubühne Lindenfels in Leipzig: 13 Förderungen, fast 590.000 Euro
- Waschhaus in Potsdam: Neun Förderungen, knapp 590.000 Euro
Und auch die BKM findet solche Fälle wenig problematisch. Eine Sprecherin sagt zu den Mehrfachförderungen: “Selbst wenn es zu einzelnen Konzentrationen von Fördermitteln gekommen sein sollte, lässt sich daraus nicht ohne Weiteres ableiten, 'Neustart Kultur' habe insgesamt nicht ausreichend in die Breite gewirkt.”
Bilanzen, die Deutschlandfunk Kultur ausgewertet hat, legen nahe, dass diese und ähnliche Orte “überfördert” wurden: Sie haben während der Pandemie so viel staatliches Geld erhalten, dass sie trotz fehlendem Publikum teils deutlich höhere Gewinne als in den Vorjahren verzeichneten.
So konnte etwa der Kupfersaal in 2020 seinen Gewinn im Vergleich zum Vorjahr um stattliche 242 Prozent auf 153.000 Euro steigern. Im folgenden Jahr stieg der Gewinn erneut um 156 Prozent, auf über 390.000 Euro.
Der Kupfersaal findet diese Zahlen nicht aussagekräftig: “Die Corona-Zeit stellte für Kulturbetriebe keine normalen Geschäftsjahre dar. Schwankende Gewinne sind beispielhaft darauf zurückzuführen, dass Fördermittel für sehr lange Förderperioden zeitgleich ausgeschüttet wurden und wir gerade zu Beginn der Zeit massiv Kosten eingespart haben.”
Pandemiebedingte Investitionen
Fördermittel in verschiedenen Programmen zu beantragen, war in der Regel zulässig. In einem Bereich aber war es problematisch: bei den sogenannten “Pandemiebedingten Investitionen”. Das war ein Programm für Baumaßnahmen und Anschaffungen, um Kultureinrichtungen pandemiefest zu machen. Die Höhe: 230 Millionen Euro. Hier sollte jede Kultureinrichtung laut Fördergrundsätzen “maximal eine Zuwendung” erhalten.
Pro Kultureinrichtung wird maximal eine Zuwendung aus dem Programmteil „Pandemiebedingte Investitionen in Kultureinrichtungen zur Erhaltung und Stärkung der bundesweit bedeutenden Kulturlandschaft 2022“ gewährt. Aufstockungsanträge sind grundsätzlich ausgeschlossen.
Diese klare Bestimmung wurde allerdings nach unseren Recherchen nicht eingehalten. In Hunderten Fällen wurde nach unseren Recherchen gegen diese Fördergrundsätze verstoßen und Kulturinstitutionen aus diesem Programmteil zwei- oder sogar dreimal gefördert. Manche haben Anträge auf Investitionsmittel bei verschiedenen Organisationen eingereicht, andere wurden mehrfach von ein und derselben Organisation gefördert.
Grund dafür war das besondere Design dieses Programmteils: Gleich fünf Organisationen waren gemeinsam dafür zuständig, haben die Daten zu Antragstellern und Projekten aber nicht regelmäßig ausgetauscht.
Konfrontiert mit unseren Recherchen, gibt es verschiedene Begründungen für diese Mehrfachförderungen. Von einer Organisation heißt es dazu, man sei zum Abgleich der Daten nicht verpflichtet gewesen. Und eine andere schreibt: Aus Datenschutzgründen sei das auch gar nicht möglich gewesen.
Insgesamt wurden die Regeln offenbar eher informell gehandhabt. Die Musikverwertungsgesellschaft GEMA als eine der zuständigen Organisationen verweist darauf, dass die Daten bei der BKM zusammengeführt wurden. Die Behörde hätte die Einhaltung also kontrollieren müssen.
Die aber interpretiert den – eigentlich eindeutigen – Passus zur Mehrfachförderung auf einmal ganz anders. Eine Sprecherin schreibt: “Grundsätzlich galten für die Programme aus den Bereichen pandemiebedingte Investitionen zwar gleichlautende Förderbedingungen, dennoch waren es unterschiedliche Programme.”
Fakt ist: Bis zum Ende von "Neustart" im Sommer 2023 blieben die offiziellen Regeln unverändert, Mehrfachförderungen waren bei den "pandemiebedingten Investitionen" ausgeschlossen.
Intransparente Förderentscheidungen bei Stiftung Preußischer Kulturbesitz**
Auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), eines der Dickschiffe der deutschen Kulturlandschaft mit einem Jahresetat von 395 Millionen Euro (2021), hat fleißig Anträge geschrieben. Für 16 bewilligte Anträge flossen insgesamt knapp sechs Millionen Euro an die Stiftung und ihre angeschlossenen Institutionen. Dazu kamen 20,1 Millionen Euro, um die durch die Pandemie verminderten Einnahmen und die zusätzlichen Ausgaben aufzufangen.
Nun ist nichts dagegen zu sagen, wenn die SPK Projektanträge bei anderen Institutionen einreicht. Hier war es allerdings so: Geldgeber war in den meisten Fällen die Stiftung Preußischer Kulturbesitz selbst. Von den 16 Anträgen der Stiftung wurden 13 von Stellen bewilligt, die mit der Stiftung in Verbindung stehen: Neunmal war es die Stiftung selbst; viermal die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB), die mit der Stiftung organisatorisch und personell eng verflochten ist. Daher kann man bezweifeln, dass über die SPK-Anträge unvoreingenommen entschieden wurde.
Die SPK selbst weist das zurück: Bei den neun Anträgen seien Antragsteller und Entscheider an unterschiedlichen Stellen der Stiftung angesiedelt gewesen, “sodass hier eine inhaltliche, organisatorische und personelle Trennung vorlag”.
Und bei den vier DDB-Projekten habe es eine Jury gegeben, der auch SPK-Angehörige angehörten, aber: “Die Anträge der SPK-Einrichtungen wurden unter Ausschluss von Beschäftigten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz geprüft und bewertet.”
Resümee
Die Coronapandemie ist Geschichte, „Neustart Kultur“ ist es auch. Was bleibt nun vom “größten Konjunkturprogramm für Kultur und Medien in der Geschichte der Bundesrepublik”?
Die BKM verweist zunächst auf das “unmittelbar existenzbedrohende Szenario” im März 2020 und auf den “enormen Handlungs- und Zeitdruck”, unter dem das sogenannte Rettungs- und Zukunftsprogramm entstand. Ziel sei gewesen, die unterschiedlichen Sparten und Gegebenheiten im Kulturbereich möglichst schnell, möglichst differenziert und möglichst zielgenau zu unterstützen.
Das sei auch gelungen: „'Neustart Kultur' hat bundesweit großflächige Wirkung gezeigt und mit seiner breiten, spartenspezifischen Ausgestaltung wesentlich dazu beigetragen, die kulturelle Infrastruktur und das Kulturleben in Deutschland während und unmittelbar nach der Pandemie nachhaltig zu stabilisieren und zukunftsfähig zu machen.”
Zudem habe die dezentrale Struktur – also die Vergabe der Gelder durch die Kulturverbände – dabei geholfen, die unterschiedlichen Bereiche im Kultursektor effizient zu erreichen. Ähnlich sieht es der Deutsche Kulturrat als Spitzenverband der Branche: “Aufgrund des Erfolgs” schlägt der Kulturrat vor, weiterhin auf die “staatsferne Vergabe von Fördermitteln” zu setzen.
Wichtig war im Sommer 2020 vor allem das Signal, dass der Staat die Not in der Kultur- und Kreativbranche erkennt und schnell handelt. Dass in der Eile, der Ungewissheit und angesichts fehlender Erfahrungswerte Fehler passieren, ist kaum zu verhindern. Darüber hinaus hatte "Neustart" viel Positives:
- Die Beamtinnen und Beamten bei der BKM haben das Programm trotz der großen zusätzlichen Belastung auflegen und durchführen können
- Die Programme wurden von über 40 Organisationen durchgeführt. Das hat dafür gesorgt, dass die Hilfen schnell verteilt werden konnten und viele Betroffene erreicht haben
- Die Programme waren tendenziell niedrigschwellig und vergleichsweise unbürokratisch: Antragstellung, Auszahlung und Abrechnung gingen schnell
- Mit dem Geld wurden viele kleine Kulturorte und einzelne Künstlerinnen und Künstler unterstützt – auch jenseits der großen Kulturmetropolen
- Nicht zuletzt waren die allermeisten Künstlerinnen und Künstler, Kulturorte und Institutionen, mit denen wir gesprochen haben, glücklich über und dankbar für die staatliche Unterstützung
Wie unsere Recherchen gezeigt haben, gab es aber auch negative Seiten:
- Die BKM als auftraggebende Behörde hatte wenig Übersicht über die Verteilung der Mittel, eine effektive Kontrolle war kaum möglich
- Die Programme wurden von über 40 Organisationen durchgeführt. Das hat zu unklaren Abgrenzungen, Auslegungsspielräumen und Doppelstrukturen geführt
- Die Verteilung der Mittel auf die einzelnen Kunstbereiche war nicht passgenau, auch weil die Branchen von der Pandemie unterschiedlich hart getroffen wurden
- Die Künstlerinnen und Künstler erhielten viel weniger direkte Unterstützung als die Unternehmen der Kulturwirtschaft
- Durch schlechtes Datenmanagement und wenig Transparenz ist es nicht gelungen, Mehrfachförderungen zu unterbinden. Es wurde versäumt, Obergrenzen einzuziehen
- Einige Kulturinstitutionen, Unternehmen und Einzelpersonen wurden somit “überfördert”, während viele andere leer ausgingen
Wenn Sie Fragen zu dieser Recherche oder weitere Hinweise zu „Neustart Kultur“ für uns haben, schreiben Sie bitte an kulturmilliarde@deutschlandradio.de.
Die Diagramme wurden mit Datawrapper erstellt. Für Leser mit Sehbehinderung wurde bei jeder Visualisierung ein Alternativtext hinterlegt. Dieser kann mithilfe sogenannter Screenreader vorgelesen werden. Die Alternativtexte wurden mit GPT-4 generiert und danach redaktionell bearbeitet.
Disclaimer: Auch eine Deutschlandradio-Produktion wurde durch „Neustart Kultur“ gefördert. Das Hörspiel “Der innere Bergbau” wurde im Rahmen des Tanz-Programms “Nationales Performance Netz - Stepping out" mit 20.576 Euro unterstützt.
* Anm. der Redaktion: An dieser Stelle haben wir die Formulierung allein auf die Bewilligung von Fördermaßnahmen präzisiert, da tatsächlich abgerufene Summen niedriger sein können.
** Anm. der Redaktion: Aus redaktionellen Gründen haben wir an dieser Stelle eine Zwischenüberschrift angepasst.
** Anm. der Redaktion: Aus redaktionellen Gründen haben wir an dieser Stelle eine Zwischenüberschrift angepasst.