Neutrino-Suche am Südpol

Auf der Jagd nach Geisterteilchen

Am Südpol ist es jetzt stockfinster und dort glüht das Polarlicht am Himmel (IceCube)
Am Südpol ist es jetzt stockfinster und dort glüht das Polarlicht am Himmel (IceCube) © IceCube / NSF
Christian Krüger im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Die Neutrinos sind ein Phänomen: Die Elementarteilchen hinterlassen so gut wie keine Spuren und geben der Forschung Rätsel auf. Am Südpol wollen Wissenschaftler sie mit dem Detektor IceCube finden. Ingenieur Christian Krüger überwacht das empfindliche Gerät.
Der Ingenieur Christian Krüger ist so etwas wie ein Geisterjäger. Seit knapp einem Jahr hält der deutsche Wissenschaftler sich in einer Forschungsstation am Südpol auf, um im ewigen Eis mittels des Detektors IceCube gemeinsam mit anderen Forschern nach den geheimnisvollen Neutrinos aus dem Weltall zu fahnden. Diese elektrisch neutralen Elementarteilchen sind winzig-klein und hinterlassen keine eigenen Spuren.
The IceCube Laboratory at the Amundsen-Scott South Pole Station, in Antarctica, hosts the computers collecting raw data. Due to satellite bandwidth allocations, the first level of reconstruction and event filtering happens in near real time in this lab. Only events selected as interesting for physics studies are sent to UW–Madison, where they are prepared for used by any member of the IceCube Collaboration.
Arbeiten auf engem Raum: Das IceCube-Labor an der Amundsen-Scott Station.© IceCube / NSF / Ian Rees
Krügers Job ist es, jederzeit zur Verfügung zu stehen, um Hardware-Probleme zu beseitigen oder die Software upzudaten. Ein Leben im Ausnahmezustand und größtenteils in der ewigen Finsternis, bei derzeit minus 58 Grad: Geschlafen, gegessen, gearbeitet wird nicht zu festgelegten Zeiten, sondern nach Bedarf. Und eine heiße Dusche ist nur alle paar Tage für zwei Minuten möglich. Doch das nehmen die Forscher gerne auf sich, denn das Südpolar-Eis ist so sauber und transparent, dass es sich perfekt für den Detektor eignet, sagt Krüger.
Eine Computergrafik zeigt die kugelförmigen Detektoren unter dem Eis. Diese befinden sich in 86 Bohrlöchern in einer Tiefe zwischen 1,5 und 2,5 Kilometern, wobei jedes Bohrloch 60 Detektoren beherbergt.
Eine Computergrafik zeigt die kugelförmigen Detektoren unter dem Eis. Diese befinden sich in 86 Bohrlöchern in einer Tiefe zwischen 1,5 und 2,5 Kilometern, wobei jedes Bohrloch 60 Detektoren beherbergt.© Jamie Yang / IceCube Collaboration

Das Unsichtbare sichtbar machen

Rund 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus zwölf Ländern, die gemeinsam am Südpol nach Neutrinos aus dem Weltall suchen, treffen sich derzeit an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zentrales Thema ist die geplante Vergrößerung des Neutrino-Observatoriums IceCube im antarktischen Eis. Mit IceCubes Hilfe können die Unsichtbaren sichtbar gemacht werden, wie Christian Krüger erläutert, dessen offizielle Bezeichnung "IceCube Winterover Experiment Operator" ist:
"Trifft dieses Neutrino dann ein Proton im Eis der Antarktis, verwandelt es sich in ein Myon. Dieses Myon bewegt sich sehr schnell durchs Eis und hinterlässt dabei eine feine blaue Spur, ein blaues Schimmern. Und das ist das was der Detektor mit seinen 5500 Sensoren im Eis sieht."

Und dann ging die Sonne auf

Das wohl schönste Erlebnis war für ihn, als nach einem halben Jahr Dunkelheit, am Südpol die Sonne wieder aufging:
"Dieser Sonnenaufgang hat ungefähr vier Wochen gedauert - vom ersten Leuchten am Horizont, bis die Sonne dann ganz zu sehen war. Es war großartig zu sehen, wie der Himmel immer heller und heller wurde und der anfangs kleine orange-farbene Halbkreis immer größer. An manchen Tagen spielte der Himmel mit allen Schattierungen zwischen orange, pink und violett. Und als die Sonne das erste Mal ganz zu sehen war, das war einfach ein magischer Moment."
Worauf Krüger sich am meisten freut, wenn er im November in die Zivilisation und an seine Heimat-Universität in Madison im US-Bundesstaat Wisconsin zurückkehrt? " Auf eine lange, heiße Dusche."


Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Wir wollen jetzt über etwas reden, von dem wir uns relativ sicher sind, dass es das gibt, nämlich ein neutrales Teilchen, das Neutrino. Und wir machen das natürlich nicht einfach so, sondern weil sich dieser Tage in Mainz an der Johannes Gutenberg-Universität 200 Wissenschaftler_innen aus 12 Ländern treffen, die gemeinsam eben nach den Neutrinos aus dem Weltall fahnden. Und zentrales Thema ist die geplante Vergrößerung des Neutrino-Observatoriums IceCube im antarktischen Eis. Und genau dort, am Südpol, spreche ich jetzt mit Christian Krüger. Er trägt den schönen Titel IceCube Winter-over Experiment Operator. Schönen guten Tag, Herr Krüger!
Christian Krüger: Ja, guten Tag!
von Billerbeck: Und, liebe Hörer, wundern Sie sich nicht, Herr Krüger spricht ausschließlich Englisch, wenn er dort ist, und das Deutsche ist in dieser Zeit, in diesem Jahr, in der Antarktis ein bisschen eingerostet. Und deshalb werde ich die Fragen auf Deutsch stellen und er wird auf Englisch antworten! Bevor wir übers Technische reden, Herr Krüger, will ich natürlich erst mal wissen, in welcher Arbeitsumgebung Sie da so sind. Wie kalt ist es gerade bei Ihnen?

Forschung bei minus 58 Grad

Krüger: Currently it is minus 58 degrees outside and the sun is shining.
von Billerbeck: 58 Grad minus und die Sonne scheint also. Wie sieht denn so ein typischer Arbeitstag in der Amundsen-Scott-Station aus?
Krüger: So etwas wie einen regulären Arbeitstag habe ich nicht. Meine Aufgabe ist es, dass ich mich um den Detektor kümmere, der die Neutrinos finden soll. Ich muss also Hardware-Probleme beseitigen, die jederzeit auftreten können. Ich muss Probeläufe der Software durchführen oder die Programme updaten. All das ist an keine Tag- oder Nachtzeit gebunden. Es kann gut passieren, dass ich eine dieser Aufgaben zu einer Zeit erledige, zu der ich normalerweise schlafen würde. Also stehe ich irgendwann auf, esse und fange an. Wenn ich frei habe, mache ich Sport, lese oder fotografiere. Aber wann immer es ein Detektorproblem gibt, werde ich angepagt und muss ran.
von Billerbeck: Wie funktioniert denn einfach erklärt und für nicht Astrophysiker dieser Detektor?
Krüger: Da kann ich Ihnen eine kleine Portion Physik nicht ersparen. Wir sind ja auf der Suche nach Neutrinos, den neutralen Teilchen, die von irgendwo herkommen. Hoffentlich von außerhalb unserer Galaxie. Trifft dieses Neutrino dann ein Proton im Eis der Antarktis, verwandelt es sich in ein Myon. Dieses Myon bewegt sich sehr schnell durchs Eis und hinterlässt dabei eine feine, blaue Spur, ein blaues Schimmern. Und das ist das, was der Detektor mit seinen 5.500 Sensoren im Eis sieht, weil diese Sensoren über einen Kubikkilometer Eis verteilt sind, haben wir eine gute Chance, Myonen als Spuren von Neutrinos zu entdecken.
von Billerbeck: Nun könnten Sie es ja auch ein bisschen netter und ein bisschen wärmer haben. Geht das nur am Südpol, nach den Neutrinos zu suchen?

Ausgezeichnete Bedingungen

Krüger: Der Südpol bietet eine ausgezeichnete Umgebung für dieses Experiment, denn wir brauchen ein sehr transparentes Medium, das dieses feine, blaue Schimmern der Myonen nicht absorbiert. Das würde passieren, wenn das Medium durch Partikel oder Luftbläschen verschmutzt ist. Das Eis am Südpol ist sehr klar, denn die Dicke des Eises beträgt etwa 3000 Meter. Dadurch werden die unteren Schichten stark komprimiert. Alle Luft muss entweichen. Luft ist auch der Grund, warum der Eiswürfel aus dem Kühlschrank eher milchig ist. Das Eis der Antarktis ist dagegen glasklar.
von Billerbeck: Was nutzt uns dieses Experiment, Ihre Forschung?
Krüger: Wir betreiben hier Grundlagenforschung. Wir wollen wissen, wie das Universum im Großen und im Kleinen zusammenhängt. Mithilfe von IceCube erhoffen wir, ein Modell zu erarbeiten, wie Materie miteinander reagiert.
von Billerbeck: Gerade war ja bei Ihnen der Wechsel von der Polarnacht zum Polartag. Wie ist das denn, wenn man nach einem halben Jahr Dunkelheit plötzlich die Sonne wieder zu Gesicht bekommt?
Krüger: Das war eine unglaubliche Erfahrung. Dieser Sonnenaufgang hat ungefähr vier Wochen gedauert, vom ersten Leuchten am Horizont, bis die Sonne dann ganz zu sehen war. Es war großartig zu sehen, wie der Himmel immer heller und heller wurde und der anfangs kleine, orangefarbene Halbkreis immer größer. An manchen Tagen spielte der Himmel mit allen Schattierungen zwischen Orange, Pink und Violett. Und als die Sonne das erste Mal ganz zu sehen war, das war einfach ein magischer Moment.
von Billerbeck: Nach den ganz großen Fragen und der nach der Frage, wie unser Universum funktioniert, zum Schluss die Frage, Herr Krüger: Ihr Experiment, das Ende Ihres Jahres in der Antarktis – Anfang November ist es vorbei, da kommt eine neue Crew –, worauf freuen Sie sich am meisten?
Krüger: Ich freue mich vor allem auf eine lange, heiße Dusche. Wir haben zwar jede Menge Wasser hier am Südpol, aber das ist alles gefroren. Und es ist sehr teuer, dieses gefrorene Wasser zu erwärmen und zu schmelzen. Also dürfen wir nur zweimal die Woche für jeweils zwei Minuten duschen. Außerdem freue ich mich auf Regen und aufs Wandern.
von Billerbeck: Christian Krüger war das, IceCube Winter-over Experiment Operator, auf der Suche nach den Geisterteilchen, nach den Neutrinos, aus der Antarktis war er das. Und weil er die ganze Zeit kein Deutsch spricht, hat er auf Englisch geantwortet. Herr Krüger, ganz herzlichen Dank und halten Sie durch bis November!
Krüger: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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