Nevisense-Verfahren

Eine elektronische Biopsie zur Hautkrebs-Früherkennung

Im Labor des Instituts für Experimentelle Gentherapie und Tumorforschung (IEGT) der Universitätsmedizin Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) schaut eine Doktorandin am 22.10.2013 auf ein Monitorbild von Melanom-Zellen (schwarzer Hautkrebs).
Hautkrebsdiagnostik am Computer: Das neue Nevisense-Verfahren ist so etwas wie eine elektronische Biopsie. © dpa / picture alliance / Bernd Wüstneck
Von Lutz Reidt · 26.07.2018
Schwarzer Hautkrebs ist die gefährlichste der "bösen" Veränderungen der Haut: Frühzeitig erkannt, ist auch dieser klassische Fall des Melanoms sehr gut heilbar. Nun gibt es ein raffiniertes elektronisches Verfahren, um Gut von Böse zu unterscheiden.
Ein Hauttumor in 30-facher Vergrößerung kann sehr ungewöhnlich aussehen. Wie ein Schmetterling zum Beispiel, mit ausgefransten Rändern und markanten Farbmustern: Der rechte Flügel dunkelbraun, mit pechschwarzen, kleinen Flecken mittendrin. Der linke Flügel dagegen leuchtendrot.
Der Dermatologe Peter Mohr schaut sich am Computer-Monitor diese Vergrößerung genauer an. Offenbar hat das Immunsystem den Tumor bereits erkannt:
"Das könnte so sein. Also, wenn wir eine hellere Situation haben, dann ist die Möglichkeit da, dass in diesem Bereich der Tumor schon abgeräumt wird; dazu brauchen wir T-Zellen oder Fresszellen, die den Tumor erkennen; und das ist ein Zeichen, dass Tumorimmunologie aktiv ist; und dass wir auch in der Lage sind, einen bösartigen Tumor durch unser Immunsystem selber zu erkennen. Meistens funktioniert es aber nicht, sonst würde er nicht erst entstehen."
Peter Mohr leitet das Hautkrebszentrum an den Elbekliniken in Buxtehude bei Hamburg. Der Chefarzt dokumentiert mit diesem Bild den klassischen Fall eines Melanoms - Schwarzer Hautkrebs.

Die unregelmäßige Form ist charakteristisch

Charakteristisch ist - neben den unterschiedlichen Farben - auch die Form. Nicht rundlich, wie ein Leberfleck, sondern unregelmäßig, also asymmetrisch:
"Ähnlich wie Bleigießen zu Silvester. So viele verschiedene Formen kann so ein Melanom auch annehmen; das ist aber auch ein typischer Punkt: Diese Formenvielfalt von Melanomen, die werden Sie nicht bei Muttermalen finden. Die sind relativ regelmäßig in dem Gegensatz dazu."
Hautärztin untersucht mit dem Dermatoskop die Haut eines Patienten.
Das Nevisense-Verfahren ist treffgenauer als die Untersuchung mit einem Dermatoskop.© imago stock & people
Gutartiges Muttermal oder Schwarzer Hautkrebs - für Patienten ist die korrekte Diagnose überlebenswichtig. Hausärzte erkennen mit dem bloßen Auge 50 Prozent der Melanome, Dermatologen bereits 70 Prozent, mit den inzwischen in Hautarztpraxen üblichen Auflichtmikroskopen sind es sogar 90 Prozent.
Noch höhere Trefferquoten sind mit dem in Schweden entwickelten Nevisense-Verfahren möglich. Dermatologen wie Axel Hauschild von der Universitätshautklinik in Kiel feuchten dabei die Haut des Patienten mit einer Kochsalzlösung an und setzen nach einer kurzen Zeit des Einwirkens eine Messe-Elektrode auf den Fleck Über Kabel ist dieser Fühler mit dem Notebook-großen Computer verbunden:
"Wo wir also einen Strom durchschicken, durch eine Hautveränderung, das vergleichen mit der Normalhaut in der Umgebung; und wo eine exzellente Separierung stattfindet zwischen gutartigen Pigmentmalen - das, was wir als Leberfleck bezeichnen - und Schwarzem Hautkrebs. Die Trefferquote liegt bei rund 96 Prozent für Schwarzen Hautkrebs."

Elektronisches Verfahren mit hoher Trefferquote

Das Nevisense-Verfahren ist so etwas wie eine elektronische Biopsie. Sie ist schmerzfrei und beruht auf der Elektroimpedanz-Spektroskopie: Die Methode nutzt die elektrischen Eigenschaften von menschlichem Gewebe. Über Wechselströme mit unterschiedlichen Frequenzen misst das Spektroskop den Gesamtwiderstand in der Haut. Gut von Böse kann es unterscheiden, weil es lernfähig ist, betont Peter Mohr:
"Es gab damals in der Entwicklung - wir waren daran beteiligt - einen Trainingsalgorithmus. Da hat man also alles, was man herausschneiden wollte, vorher damit gemessen und dann hat man natürlich die feingewebliche Untersuchung irgendwann bekommen. Und dann hat man den Algorithmus trainiert und gesagt: Das sind die elektrischen Ströme von einem Melanom und das von einem gutartigen Muttermal. Und je mehr Läsionen man dort hineinprogrammiert, desto sicherer wird das System in der Auswahl der Gutartigkeit und Bösartigkeit, wobei das Prinzip des Geräts eher ist, kein Melanom zu übersehen."
Das Verfahren ist vergleichsweise teuer. Die Analyse von bis zu fünf Läsionen kostet rund hundert Euro. Deswegen eignet sich die Methode nach Ansicht von Axel Hauschild nicht für die klassische Hautkrebs-Vorsorgeuntersuchung. Vor allem dann nicht, wenn Patienten mit Dutzenden von Leberflecken und Muttermalen in die Praxis kommen.

Gezielt für Zweifelsfälle einsetzen

Der Kieler Dermatologe plädiert vielmehr für einen gezielten Einsatz in Zweifelsfällen:
"Ich setze es vor allem dort ein, wenn Patienten zu mir kommen, wo schon viel zu viel herausgeschnitten worden ist. Und ich sage: Ich habe aber zwei Veränderungen, wo ich mir nicht sicher bin. Dann setze ich das ein. Und bei uns in der Praxis haben wir eine Evaluierung gemacht, dass dadurch 40 Prozent aller vorgesehenen Operationen für Leberflecken, wo ich nicht sicher war ob es ein Melanom ist, rausfallen. Und keine dieser Veränderungen ist bei weiteren Nachsorgeuntersuchungen jemals ein Melanom gewesen. Das heißt, wir waren auf der sicheren Seite."
Das Nevisense-Verfahren kann also auch gutartige Hautveränderungen als solche besser erkennen und damit unnötige Operationen vermeiden. Das nütze vor allem den Patienten, aber sicher auch den gesetzlichen Krankenkassen, die den Einsatz dieser Methode bislang nicht bezahlen wollen:
Axel Hauschild: "Das ist genau der Punkt dabei. Und ich sage wirklich: Es ist kostendeckend. Bei uns könnte ich einen leichten Vergleich aufmachen, bei dem was ich herausschneiden will - mit oder ohne; und ich bin überzeugt davon: Es ist immer noch kostendeckend, auch für die gesetzlichen Krankenkassen; insofern ist das manchmal etwas paradox."

Rechtzeitig zur Früherkennung

Chefarzt Peter Mohr von den Elbekliniken in Buxtehude schaut sich auf dem Monitor noch einmal das Melanom an - dieser ausgefranste Schmetterling mit dem hellroten Flügel. Zum Glück kam der Patient gerade noch rechtzeitig in die Praxis:
"Den haben wir operiert und haben die Lymphknoten noch mit herausgenommen - der war in diesem Falle nicht befallen. Und nach fünf oder zehn Jahren haben wir den aus der Nachsorge entlassen. Also, das ist gut gegangen. Rechtzeitig erkannt - wobei man es der Läsion erst einmal per se nicht ansehen kann. Aber mit zunehmender Dicke wird die Situation schwieriger und je früher jemand kommt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit - statistisch - einer Heilung."
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