"New Adventures in Hi-Fi" von R.E.M.
Seit zehn Jahren gibt es die Band R.E.M. nicht mehr. Nun hat Frontmann Michael Stipe eine neue Auflage des erfolgreichsten Albums der Band kuratiert. © picture-alliance / Tagesspiegel / Mike Wolff
Letzte Großtat einer Band neu aufgelegt
06:20 Minuten

"New Adventures in Hi-Fi" von R.E.M. erschien auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs. Auf dem Album finden sich einige ihrer besten Songs, doch es steht auch für grundlegende Missverständnisse. 25 Jahre später räumt Sänger Michael Stipe mit ihnen auf.
"Ich bin komplett raus aus der Musikindustrie: Ich habe keinen Plattenvertrag und kein Management mehr, arbeite aber gerade an neuen Songs, veröffentliche Bücher und habe im nächsten Herbst eine Ausstellung in Mailand", sagt Michael Stipe zehn Jahre nach dem Ende von R.E.M. Er ist wieder im Kreativmodus: "Von daher habe ich nicht vor, in Rente zu gehen – auch, wenn ich mir eine längere Auszeit von der Musik gegönnt habe. Ich war einfach müde und brauchte Abstand."
In seinem New Yorker Studio bastelt der 61-Jährige an einem ersten Soloalbum und kuratiert eine Neuauflage von "New Adventures in Hi-Fi" – klangtechnisch überholt sowie mit 13 Bonusstücken, die sich aus Liveversionen, Single-B-Seiten und Demos zusammensetzen.
Das zehnte Werk von R.E.M. datiert vom Herbst 1996 – als Stipe Galionsfigur der Generation X und des Alternative-Rock ist, sein bisexuelles Coming-out hat und seine Band sich auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs befindet. "New Adventures in Hi-Fi", das er heute sein Lieblingsalbum von R.E.M. nennt, entsteht während der Welttournee zum Vorgänger "Monster" und versucht, gegensätzliche Seiten der Band zu vereinen.
"Punkrock – von Anfang bis Ende"
Es sei ein Hybrid aus der Melancholie von "Automatic For The People" und dem druckvollen Rock von "Monster", sagt er. "Dabei habe ich mich nie als Rock´n´Roller verstanden – und war darin auch nie besonders gut. Was wir als Band gemacht haben, war eher Punkrock – von Anfang bis Ende." Sie seien nie wirklich im Einklang gewesen mit dem, was in den Charts passierte oder im Radio lief. "Wir sind immer unseren Weg gegangen. Doch 'New Adventures in Hi-Fi' kam dem Mainstream ziemlich nahe."
So massentauglich die Musik, so komplex die Texte. Da wähnt sich Stipe auf einer Stufe mit seinem Idol Patti Smith, mit der er in "E-Bow The Letter" im Duett zu hören ist. Inhaltlich geht es um die Eroberung des Wilden Westens und um den amerikanischen Traum. Aber auch um Verkehrsunfälle, gesellschaftliche Fußabtreter und das nächtliche Lichtermeer von Los Angeles. Philosophisch-surrealer Stoff, der als "Reiseimpressionen tourender Musiker" interpretiert wird. Ein Missverständnis, so Stipe.
Bemerkenswerter Grenzgang
"Ich habe von Anfang an hart daran gearbeitet, bloß nicht über das Leben auf Tour oder aus der Sicht des reisenden Musikers zu schreiben." Das sei ihm zu langweilig, erklärt Stipe. Er sei kein autobiografischer Schreiber. "Hier geht es eher um Bewegung: Viele meiner Charaktere fühlen sich an einem Ort gefangen und versuchen, ihr Leben irgendwie zu verbessern. Nur: Es geht nicht um mich oder die Band."
"New Adventures in Hi-Fi" ist ein bemerkenswerter Grenzgang zwischen Kunst und Kommerz, Rock, Pop und Americana. Es ist die letzte Großtat einer Band, die kurz nach der Veröffentlichung Schlagzeuger Bill Berry, den berühmten roten Faden und ihre zeitgeistliche Relevanz verliert. Diese 14 Stücke in epischen 65 Minuten verdeutlichen jedoch, warum R.E.M. so wichtig für die 80er und 90er sind: Sie schreiben anspruchsvolle, unkonventionelle Songs, deren hymnische Melodien bis heute nachhallen. Nur: Das reicht Stipe nicht, um rückfällig zu werden. R.E.M. seien schließlich nicht Abba.
"R.E.M. werden sich nicht reformieren. Ich freue mich zwar für Abba, aber für uns war es definitiv das Klügste, das Vermächtnis unserer 32-jährigen Karriere zu sichern und vor zehn Jahren aufzuhören. Ich bin froh, dass wir das getan haben. Und da spreche ich für Peter, Mike und mich", so Michael Stipe.