New Orleans

Eine Stadt zelebriert den Tod

Ein durch den Hurricane Katrina überfluteter Friedhof in New Orleans im August 2005.
Ein durch den Hurricane Katrina überfluteter Friedhof in New Orleans im August 2005. © AFP PHOTO/POOL/Vincent Laforet
Von Samuel Jackisch |
Tragödien gehören für New Orleans zum Alltag. Die Stadt ist mehrmals abgebrannt, Epidemien befielen die Bevölkerung, der Hurricane Katrina verwüstete einige Viertel. Trotzdem löst der Tod bei den Bewohnern eher Faszination als Resignation aus.
Aus einer leidvollen Geschichte ist in New Orleans eine regelrechte Faszination für den Tod entstanden, sagt Kelila, wie sonst hätten die Einwohner der Stadt hier überleben sollen?
"Wir hatten hier über 300 Jahre lang Tragödie und Trauma, und wieder Tragödie oben drauf. Zweimal ist die Stadt komplett abgebrannt, dazu mehrere Hungersnöte, eine 200 Jahre andauernde Gelbfieber-und Cholera-Epidemie, und dazwischen immer wieder Kriege. Nenn' mir irgendeine Tragödie, wir haben sie durchgemacht – Tod über Tod über Tod. Diese leidvolle Geschichte konzentriert sich außerdem auf ein sehr kleines Stadtviertel, den ältesten Teil der Stadt, das French Quarter, das nur acht mal zwölf Blocks groß ist."
Kelila zeigt mir zwei der ältesten Friedhöfe von New Orleans, 31 hat die Stadt insgesamt. Manche sind so groß wie mehrere Blocks, komplett mit Straßennamen und Hausnummern. Denn statt ihre Toten hinter blickgeschützten Hecken zu vergraben wird hier im Süden überirdisch beerdigt, für jeden sichtbar, in großen Gruften aus hellem Stein.
"Übrig bleiben nur Staub und Knochen"
Das habe mit dem Grundwasserspiegel zu tun, erklärt Kelila. Weil früher nach jedem stärkeren Regen immer wieder auch Leichen an die Oberfläche gespült wurden, hätten die Spanier in den 1860er-Jahren das Konzept des oberirdischen Begräbnis' eingeführt – eine Art "natürliche Kremation".
"Im Sarg wird die Leiche durch die Hitze und die austretenden Verwesungsgase schnell zersetzt. Übrig bleiben nur Staub und Knochen, also eine komprimierbare Masse. Nach einem Jahr und einem Tag öffnen wir die Särge, begraben die Überreste und verwenden die Gruft wieder neu – ein sehr effizientes System. Später kam dann die Mode auf, dass die wohlhabenden Familien der Stadt ihren Reichtum auch mit einer besonders prächtigen Gruft zur Schau stellen wollten."
Vom St. Louis Friedhof laufe ich zurück zur gleichnamigen Kathedrale am Ufer des Mississippi. Auf der Promenade am Jackson Square treffe ich auf Leonard Johnson, der hauptberuflich übrigens "Comedy-Hypnotiseur" ist – meinen ungläubigen Blick ignoriert er höflich.
Freitags stelle er sich aber am liebsten hier an die Kirche in seiner schwarzen Kluft, um angetrunkenen Passanten gegen ein Trinkgeld Gruselgeschichten zu erzählen. Zum Beispiel von damals, als die Kolonie New Orleans nicht so recht wachsen wollte, weil sie streng genommen nur aus Strafgefangenen und Nonnen bestand. Die Stadtoberen, erzählt Leonard, hätten daraufhin einen in einem Brief an den König von Frankreich um Hilfe gebeten.
"Der König ging auf die Straßen von Paris und ließ jede Frau verhaften, der im Entferntesten der Prostitution verdächtig war. Doch statt die armen Dinger einzusperren kettete er sie alle aneinander und verschiffte sie nach Amerika, um die Kolonie zu bevölkern. Und so geschah es, dass die Prostituierten und die Verrückten und die Eingesperrten hier glücklich miteinander lebten und viele Kinder machten. Und aus denen wurden dann: Politiker!"
Außenseiter werden mit offenen Armen empfangen
Später in der Nacht, wenn die Luft selbst im Spätherbst immer noch angenehm warm ist, zieht es die Untoten und Feierwütigen in die Rotlicht-Bars und Strip Clubs auf der Bourbon Street. Es riecht nicht gerade angenehm, nach verschüttetem Bier und etwas zu viel Marihuana. Zwischen all den Mumien, Zombies und Skeletten treffe ich zwei Schlümpfe, die eng umschlungen die Straße entlang laufen. Natürlich oben ohne und ziemlich blau. Eigentlich kommen die beiden aus Texas, doch hier wollen sie am liebsten nie wieder weg.
"Die vielen Feste, die Kostüme, die Kultur – New Orleans ist einmalig. Die Stadt hat einfach etwas, das dich immer wieder zurückkommen lässt, egal woher du kommst. Etwas, das man nirgendwo sonst findet!"
"... nur unsere Schlumpfine, die suchen wir noch."
Selbst nach Hurricane Katrina vor knapp zehn Jahren wurde hier im French Quarter zuerst wieder aufgeräumt – und weitergefeiert, trotz der 1800 Toten die die Stadt zu beklagen hatte, oder vielmehr: gerade deswegen. Weil es gute Tradition ist. Für Brian Kern, den Halloween- und Karnevals-Organisator ist es gerade dieser Widerspruch, der die "Stadt der Toten und der Feste" so einzigartig macht.
"New Orleans ist eine sehr offene Stadt. All die Verrückten, die Seltsamen, die Außenseiter, die empfangen wir hier mit offenen Armen. Gleichzeitig sind wir aber auch konservativ, weil uns unsere Traditionen sehr wichtig sind. So vermischt sich hier das Traditionelle mit dem Bekloppten. Dieselbe Medaille, zwei Seiten."
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