Sudhir Venkatesh: Floating City. Gangster, Dealer, Callgirls und andere unglaubliche Unternehmer in New Yorks Untergrundökonomie
Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer
Murmann Verlag Hamburg, 10. Februar 2015
310 Seiten, 22,00 Euro, auch als ebook
Der Drogendealer als Unternehmer
Der Soziologe Sudhir Venkatesh hat New York porträtiert – aber nicht etwa das New York der Touristen. Er hat die Subkulturen der Metropole und ihre Ökonomie untersucht. Eine soziologische Abhandlung ist sein Buch "Floating City" dennoch nicht.
Der amerikanische Soziologe Sudhir Venkatesh unternimmt den Versuch, die Subkulturen New Yorks zu beschreiben. In seinem Buch geht es um das Sexgewerbe, um Drogenhandel, um die Frage nach den Regeln der Untergrund-Ökonomie und um Grenzüberschreitungen zwischen den Armen der Unterschicht sowie den Reichen und Schönen etwa der New Yorker Künstlerszene.
Mit empirischen Fragebogen kommt man hier nicht weit, daher hat sich der Professor an der Columbia University für ein dezidiert unakademisches Vorgehen entschieden: Er recherchiert wie ein Reporter, führt Interviews, beobachtet Konflikte und er lernt die Menschen kennen, die er über mehrere Jahre hinweg erforscht.
Sein Buch ist keine soziologische Abhandlung, sondern das, was man im Englischen "memoir" nennt: ein Erlebnisbericht aus der Ich-Perspektive. Dabei spielt auch sein eigener Hintergrund als Sohn indischer Immigranten eine Rolle:
Auf einer Party in der noblen Upper East Side etwa nimmt niemand richtig von ihm Notiz, als wäre er nur eine Küchenhilfe. Für seine Recherchen allerdings ist die dunkle Hautfarbe ein entscheidender Vorteil: Als Weißer könnte er sich in der New Yorker Subkultur keineswegs unauffällig bewegen.
Der Wissenschaftler interessiere sich für das Leben "unterhalb der Gürtellinie der Stadt", so formuliert es eine der Prostituierten, die Sudhir Venkatesh in ihren komplexen und oft von Gewalt bestimmten Alltag einweihen.
Edelprostitution als Nervenkitzel
Wir lernen Angela kennen, die mit anderen Frauen eine Wohnung in Brooklyn mietet, um ihrem illegalen Gewerbe auf eigene Rechnung nachzugehen. Ein Pornoladen in Manhattan erweist sich als informeller Knotenpunkt für "schwebende Gemeinschaften": Das Hinterzimmer fungiert als Absteige für Straßenmädchen, die damit die Einkünfte des leutseligen Porno-Händlers Manjun aufbessern.
Doch das Sex-Business leidet unter der Säuberung der Stadt während der Giuliani-Ära. Auf einmal ist Manjun verschwunden, offenbar war er in Zwangsprostitution verwickelt. Ein schwarzer Crack-Dealer namens Shine aus Harlem wiederum möchte umsteigen auf Koks, die Droge der Weißen.
Venkatesh beschreibt den Dealer wie einen Unternehmer, der eine Umstrukturierung plant: Shine muss sich eine neue Klientel und ein neues "Team" aufbauen. Dies bedeutet für ihn auch eine kulturelle Grenzüberschreitung: Wie geht man mit Weißen um? So sieht sich das Thema Rasse als Subtext durch das ganze Buch.
Der Soziologe ist ein beteiligter Beobachter: Er nimmt Shine in eine Galerie nach Downtown mit. Doch auch die weiße Künstlerszene, die er dort kennenlernt, hat einen Fuß in der Illegalität: Analise – reich, jung und schön – ist „Managerin" eines Begleitservice. Für sie ist der Ausflug in die Edelprostitution keine Frage der Not, sondern ein bloßes Spiel, ein Nervenkitzel.
Ob arm oder reich: Alle glauben an die Selbsterneuerung, so eine der wenigen Schlussfolgerungen des Buchs. Denn an der Analyse scheitert Venkatesh, wie er selbst eingesteht. Es bleibt bei eng begrenzten Schlaglichtern in den urbanen Untergrund, auch das Regelwerk der Schattenwirtschaft bleibt nebulös.
Letztlich hat er ohnehin ein anderes Anliegen. Ihm geht es um den Abbau von Vorurteilen: Die Armen, die er porträtiert, arbeiten so fleißig und ausdauernd wie der Mittelstand, sie sind risikobereit und kreativ, und sie setzen alles daran, der Armut zu entkommen – nur haben sie dabei ungleich größere Hindernisse zu überwinden.