New Yorker Bronx

Schüsse waren gestern

Von Claudia Sarre |
Graffitis an U-Bahnen, brennende Häuser, Gangs im Clinch - so das bisher gängige Bild des New Yorker Stadtteils Bronx. Doch mittlerweile zieren Parks das Viertel und die Straßen sind sicherer geworden. Die South Bronx aber - der Geburtsort des Hip Hop - ist noch immer die Armenküche der Stadt.
Menschenmassen schieben sich die Treppen hoch am U-Bahn Ausgang 161. Straße in der New Yorker Bronx. Ein kleiner Junge in blau-weißem Fan-Trikot und mit Baseballmütze hüpft aufgeregt an der Hand seines Vaters auf und ab. Es ist Spieltag der New York Yankees, einem der besten Baseball-Teams der Vereinigten Staaten. Heute spielen die "Bronx Bombers" - wie die Yankees auch genannt werden - gegen ihren erbitterten Erzfeind: die Boston Red Sox.
Die Begeisterung für die Yankees haben die New Yorker quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Besonders groß ist der Enthusiasmus in der Bronx, dem nördlichsten Stadtbezirk der Millionenmetropole. Die Bewohner - vorwiegend Schwarze und Hispanics - sind stolz auf die "Kathedrale des Baseballs", wie das imposante, granitgraue Wahrzeichen der Bronx auch genannt wird. Zu recht - denn die erst fünf Jahre alte Arena ist hochmodern und mit Baukosten von 1,5 Milliarden Dollar angeblich die teuerste Sportstätte der Welt.
Der "Chef der Bronx", Ruben Diaz, ist selbstverständlich auch Yankees- Fan. Von seinem Bürgermeisterbüro im County Courthouse kann er das Baseballstadion sogar sehen. Der smarte Latino mit dem dünnen Oberlippenbärtchen sitzt hinter einem riesigen Eichenschreibtisch. Von hier aus regiert er den Bezirk mit dem immer noch schlechten Image. Viele Menschen assoziieren die Bronx nach wie vor mit brennenden Häusern, gefährlichen Straßengangs und nächtlichen Schießereien. Aber das gehöre der Vergangenheit an, sagt der sympathische 40-jährige.
"Es gibt keine brachliegenden Grundstücke mehr, keine abgebrannten Gebäude und keine mit Graffiti beschmierten Züge. Wir haben riesige Parkflächen angelegt und tausende neue Wohnungen geschaffen. Die Kriminalität ist auf ein Rekordtief gefallen. Die Bronx ist so sicher wie seit 1963 nicht mehr."
Die Blüte in den 1920ern
In Ruben Diaz’ Büro hängen alte Stiche des County Courthouse, dem Rathaus der Bronx. Der gewaltige, quadratische Art-Deco-Bau ist einer von vielen Prunkbauten entlang des Grand Concourse. Der über hundert Jahre alte, von Bäumen gesäumte Boulevard gilt als die "Champs Elysees" der Bronx. Dort stehen neben Sozialwohnungsbauten aus den 60ern viele eindrucksvolle Häuser mit marmornen Eingangshallen und Kristall-Lüstern aus der Zeit um die Jahrhundertwende.
Die New York Yankees vor dem Spielstart gegen die Boston Red Sox im Yankees Stadion in der New Yorker Bronx.
Die New York Yankees vor dem Spielstart gegen die Boston Red Sox im Yankees Stadion in der New Yorker Bronx.© picture alliance / dpa / Jason Szenes
Ihre Blütezeit hatte die Bronx Anfang des vergangenen Jahrhunderts. In den "Roaring Twenties" wohnten hier vor allem reiche jüdische Familien. Ein hochherrschaftliches Gebäude nach dem anderen entstand. Knapp drei Jahrhunderte früher, 1639, stieß als einer der ersten Siedler der Schwede Jonas Bronck in das unberührte Gebiet jenseits des Harlem River vor. Von Indianerstämmen kaufte der Europäer Land. Fortan hieß die Gegend zwischen dem Hudson River im Westen und dem Long Island Sound im Osten das Land "der Broncks". Daraus entwickelte sich "die Bronx". 1898 wurde sie in die Stadt New York eingemeindet.
Das Festland nördlich der Insel Manhattan galt jahrzehntelang als gute Wohngegend, bis in den 50er-Jahren der Verfall einsetzte. Noch 20 Jahre später seien viele Häuser heruntergekommen und unbewohnt gewesen, erinnert sich Ruben Diaz stirnrunzelnd. Der Sohn puertoricanischer Einwanderer ist in der berühmt-berüchtigten South Bronx aufgewachsen.
Die Gegend verkam. - Und die weiße Mittelschicht ergriff die Flucht.
"Sie nannten das damals 'weiße Flucht' Das bedeutete, dass die Weißen ihre Häuser verließen, weil sie infolge der Rassenunruhen nicht Seite an Seite mit Latinos und Schwarzen wohnen wollten. Viele Hauseigentümer zündeten ihre Häuser an, damit sie Geld von der Versicherung kassieren konnten. Danach haben sie die Häuser einfach verfallen lassen."
Die South Bronx - Wiege des Hip Hop
Heute donnern in der South Bronx LKW den achtspurigen Bruckner Expressway entlang. Die Geschäfte an der Hunts Point U-Bahnstation sind vergittert. Viele junge Männer haben ihre Kapuzen über die Baseballkappe gezogen. Die South Bronx ist immer noch die Armenküche New Yorks. Sie gehört vielleicht nicht zu den glanzvollsten Stadtteilen, ganz sicher aber zu den spannendsten.
Hier in den "Projects", in den Sozialwohnungsbauten an der Sedgewick Avenue, ist vor rund 40 Jahren der Hip Hop entstanden. Der Musiker Grandmaster Melle Mel war von Anfang an dabei. Er zeigt auf den düsteren Wohnblock, wo er als Kind aufgewachsen ist.
"Wir waren unterprivilegiert, es gab oft nichts zu essen. Mein Vater war ein schwerer Trinker, er hat meine Mutter geschlagen. Dieses harte Leben hat dazu geführt, dass ich etwas Besonderes werden wollte. Als ich mich dann mit der Musik beschäftigt habe, änderte sich alles."
Ein paar schwarze Jugendliche fingen an, Blockpartys zu feiern. Beim Plattenauflegen experimentierten sie mit sogenannten Break Beats. Dazu machten sie ihre Ansagen mit dem Mikrofon. Es waren die Anfänge des Raps.
Vater des Rap plant Hip-Hop-Akademie
Melvin Glover, wie Grandmaster Melle Mel mit bürgerlichem Namen heißt, war damals, Ende der Siebziger, 18. Er gründete zusammen mit Kumpels die Hip Hop- Band Grandmaster Flash and the Furious Five.
"Als wir anfingen, arbeitete mein Kumpel Flash als DJ in unserem Viertel. Ich fing als Tänzer an. Damals war es hier echt deprimierend. Die Musik hat irgendwie unser Viertel gerettet."
Heute ist Melle Mel 52, hat ein eisgraues Ziegenbärtchen und lange Dreadlocks unter der Baseballkappe. Der Alt-Rapper hat neun Kinder mit drei Frauen und wohnt jetzt in einem großen Haus in Wakefield, einem nobleren Viertel der Bronx. Um der Hip Hop-Vergangenheit der Bronx ein Denkmal zu setzen, will er nun eine Hip Hop-Akademie gründen. Irgendwann solle auch ein Museum entstehen, erklärt er stolz.
"Jede Stadt hat ihren kleinen Mythos. Die Bronx ist vielleicht nicht so angesagt wie Brooklyn, aber wir haben mehr Talente hier, eine größere Vielfalt, was Kunst angeht - und mehr Geschichte. Was hier musikalisch entstanden ist, hat die Welt revolutioniert. Hier ist mehr passiert als in jedem anderen Stadtteil New Yorks, mehr als in jeder anderen Stadt der USA."
Rap, Breakdance und auch Graffiti sind feste Bestandteile der amerikanischen Pop-Kultur. Noch immer begeistern junge Schwarze aus der Bronx mit ihren akrobatischen Dance-Moves die Passanten im Central Park. Auch Graffiti hat sich weiterentwickelt. Was früher als illegale Schmiererei an Hauswänden wahrgenommen wurde, gilt heute oft als "Street Art". Einige Mauerflächen in der Bronx dürfen von Graffiti-Künstlern gestaltet werden.
Noch vor zehn, 15 Jahren zogen die Sprayer nachts mit Spraydosen, Mützen und Masken bewaffnet los, um auf und in den New Yorker U-Bahnzügen ihre rebellische Signatur zu hinterlassen.
Blick über eine weitläufige Fläche mit Bauschutt und Müll auf verfallene, ehemals mehrstöckige Wohnhäuser im New Yorker Stadtteil Bronx. (Undatierte Aufnahme).
Verfallene Häuser in der Bronx© dpa / Rolf Ruppenthal
Wenn das Wilde vergeht
Zen2 ist einer von ihnen. Sein Atelier in einer alten Fabrikhalle in der South Bronx ist vollgestellt mit grellbunten, psychedelischen Gemälden. Täglich arbeitet der Puerto Ricaner mit der Wollmütze an seinen Graffiti-Werken. Die Leute reißen ihm seine Bilder nur so aus den Händen, erzählt er stolz. Aber ein bisschen bedaure er es, dass die wilden Zeiten von damals vorbei seien.
"Überall sieht man jetzt legale Wandgemälde, es gibt mehr Cafés und Biergärten. Die Leute kommen zum Ausgehen in die Bronx. Wie es künftig sein wird, sieht man am besten an der Baustelle an der 125th Straße. Wenn die U-Bahn fertig ist, werden eine Menge Leute hierher ziehen. Das finde ich einerseits gut, andererseits schlecht."
Noch gibt es allerdings keine hippen Coffee Shops an der Huntington Avenue. Auch Sushi-Bars, Yoga-Studios und Bio-Supermärkte sucht man hier bisher vergebens. Womöglich sei das nur eine Frage der Zeit, sagt Bezirksbürgermeister Ruben Diaz. Die Bronx habe sich in den vergangenen Jahren ohnehin schon radikal verändert.
"Die Menschen sollen erfahren, dass die Bronx nicht mehr so ist wie die South Bronx früher. Dieses negative Image versuchen wir zu ändern. Die Leute sollen kommen und die neue Bronx erforschen."
Die "neue" Bronx ist - wie ganz New York City - ein gigantischer Schmelztiegel. Wobei dieser Ausdruck eigentlich falsch ist, denn die verschiedenen ethnischen Gruppen verschmelzen nicht, sondern sie leben für sich in ihrem Stadtteil. Fast die Hälfte der rund 1,4 Millionen Bronx-Bewohner ist in einem anderen Land geboren. Die Mehrheit sind Schwarze oder Hispanics, die einst aus den Südstaaten oder Lateinamerika zugewandert sind.
Kulturen respektieren sich
Der Einwandererstrom reißt nicht ab. Noch immer kommen Immigranten aus Mexiko, der Karibik und Afrika. So unterschiedlich Hautfarbe, Kultur und Sprache auch sind – die Bronxites leben mittlerweile friedlich Tür an Tür.
Fährt man mit der Subway nur ein paar Stationen weiter nordwärts, fühlt man sich plötzlich wie in einer irischen Kleinstadt. "John Mulligans Pub" steht in goldenen Lettern über einer Kneipe, daneben duckt sich das grasgrün gestrichene "Celtic House". Rund ein Dutzend Irish Pubs gibt es an der Katonah Avenue in Woodlawn, auch Little Ireland genannt.
Alexandra Maruri lebt mit ihrer Mutter in einem der kleinen bescheidenen Rotklinker-Häuschen. Ihre Eltern seien einst aus Ecuador eingewandert, trotzdem fühle sich unter den Iren wohl, erzählt sie, während sie ihre Haustür abschließt.
"Jetzt ist das eine irische Nachbarschaft, aber es war einmal ein deutsches Viertel. Ungefähr 65 Prozent der Bevölkerung hier sind Iren. Es gibt jede Menge Pubs und Restaurants. Man feiert den St. Patricks Day. Es ist ein Stadtteil mit vielen Familien."
In den Nebenstraßen schmiegen sich kleine Häuschen mit noch kleineren Vorgärten aneinander. Sie sind alles andere als protzig, vermitteln eher den Eindruck von Arbeiterklasse, aber ordentlich und adrett.
Im Rambling House trifft man sich, um ein ordentliches Guinness und authentische Hausmannskost aus der alten Heimat zu genießen. Den irischen Akzent haben die meisten Einwanderer auch nach 50 oder 60 Jahren behalten.
Sie seien seit vielen Jahren eine richtige irische Gemeinde, sagt Mary, die 1965 in die USA gekommen ist und oft den Nachmittag mit ihren Freundinnen im Rambling House verbringt. Jeder kenne jeden, pflichtet Alexandra bei. Auch sie geht gern in die Kneipe, um Black Pudding oder White Pudding zu essen. Sie liebe das Deftige aus Irland, sagt die 52-Jährige.
"Wie Corned Beef und Kohl, das irische Nationalgericht. Shepard’s Pie, Guinness-Cheeseburger mit Pommes, und natürlich Bier, vor allem Guinness – das ist traditionell irisch."
Fenchel-Salami in Klein-Italien
Barkeeper Jerry sieht so aus, wie man sich einen Iren vorstellt. Ärmel hochgekrempelt, Schürze vor dem dicken Bauch, rotes Gesicht und rötliche Haare. Er sei weder Ire noch Amerikaner, sondern "Irish-American", betont er, und dieses Viertel der Bronx sei sein Zuhause.
"Jeder kommt nach Little Ireland, ob aus Upstate New York oder aus New Jersey. Alle kommen hierher, um ein frisches Bier zu trinken oder irisches Geflügel zu kaufen. Alles ist direkt aus Irland importiert– es ist der beste Ort in der Bronx."
Enklaven wie Little Ireland gibt es in der Bronx nicht mehr viele. Während Klein-Italien in Manhattan inzwischen auf eine Touristen-Straße zusammengeschrumpft ist, gibt es an der Arthur Avenue in der Bronx immer noch eine lebendige italienische Szene. So wirbt die Metzgerei Calabria mit hausgemachter Fenchel-Salami. Nebenan in De Lillos Café gibt’s original italienische Cannoli und Biscotti.
"Auch dieses Viertel hat sich sehr verändert. Viele Italiener sind weggezogen. Aber die traditionellen Restaurants sind noch zu 99 Prozent italienisch. Die sind noch in Familienbesitz. Viele gibt es schon seit 100 Jahren, seit fünf oder sechs Generationen,"
erzählt Alexandra, die sich in der Bronx so gut auskennt, weil sie ihr ganzes Leben dort verbracht hat. Begrenzt wird Little Italy von der Fordham Road – so etwas wie die Haupteinkaufsstraße der Bronx. Sportartikelgeschäfte mit Baseballkappen und Turnschuhen, Modeboutiquen mit grellen, sexy Outfits und Juwelierläden mit protzigem Goldschmuck konkurrieren um eine überwiegend lateinamerikanische Käuferschaft.
Die Fordham Road ist benannt nach der Fordham University, die im 19. Jahrhundert gegründet wurde. Für 1.000 Dollar verkaufte die Universität einst 107 Hektar Land an die Stadt New York unter der Bedingung, dass das Land für Gärten und Tiere genutzt wird.
So entstanden der Botanische Garten und der Zoo der Bronx, der älteste Tierpark der Vereinigten Staaten. Als 1895 der Bau des Zoos geplant wurde, brauchte man dafür Maurer, Steinmetze und Gärtner. Man rekrutierte sie auf Ellis Island, wo die Schiffe mit den Immigranten anlandeten. So kamen die italienischen, irischen und deutschen Einwanderer in die Bronx.
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