Die internationale Computermesse CeBIT läuft noch bis 18. März 2016 in Hannover: www.cebit de
Eine Software soll Big Data bändigen
Die Computermesse CeBIT ist längst zu einem allumfassenden Forum für "digitales Leben" geworden. Beispiel Medien: Das Unternehmen Neofonie etwa preist die Software "News-Stream" als Rettung für überforderte Highspeed-Journalisten an. Sie nutzt Technologien der Geheimdienste.
"Digital Archives", das sind verborgene Orte, Black Boxes der Speichermedien oder die sagenumwobene Cloud. Unscheinbare Lagerstätten der "Big Data", die der Kunstverein Hannover ausstellt – soweit sich Software und Algorithmen überhaupt anschaulich machen lassen. Yann Mingard versucht es mit Fotos von regelrechten Datenbunkern in Schweizer Felsmassiven. Christoph Faulhaber mit Performances, in denen der Hamburger Aktionist sich selbst als Terrorverdächtigen inszeniert. Ganz anders der Klangkünstler Ryoki Ikeda.
Ute Stuffer: Wir haben auch Künstler, die die Informationsflut als Rohmaterial benutzen. Um sie dann in Datenlandschaften und Klangskulpturen zu übersetzen. Die dann sehr abstrakte Formen, Transformationen schaffen für das, was eigentlich unsichtbar ist.
Mit den Instrumenten der Geheimdienste
Kuratorin Ute Stuffer verweist vor allem auf Trevor Paglen. Der umtriebige "Überwacher der Überwacher" hat ein Menetekel hinterlassen: Mit seiner Schrift an der Wand macht er mit hunderten von Codewörtern Geheimoperationen der US-Nachrichtendienste kenntlich. "Black Thunder" oder "Fat Cat" steht da und "Fishfire" – eine Software, die täglich 200 Millionen SMS durchleuchtet.
Damit ist die Brücke geschlagen zur CeBIT, die Rahmen und Hintergrund für diese Kunstaustellung abgibt. Auf der Computermesse wirbt etwa das Forschungsprojekt "News-Stream" damit, dass für die redaktionelle Analyse großer Datenmengen die Technologien der Geheimdienste genutzt werden. Peter Adolphs von der Berliner Firma Neofonie:
Es geht um Nachrichtenströme, um dort den Überblick zu behalten. Und dann wird mit automatischen Verfahren analysiert, welche Personen werden hier erwähnt, wer schreibt zu welchen Themen? Was sind Themen, die gerade dominant sind?
Die Datenflut aus der Vogelperspektive
Mit dieser Vogelperspektive auf Twitter, Instagram und Facebook hätte der Redakteur endlich wieder die Übersicht gewonnen – wäre aber noch mehr gehalten, permanent darauf zu schauen, was die Konkurrenz gerade macht. Um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Wer aber den Stand der Dinge nur noch am Monitor abliest – wie an der Börse die Kursausschläge – der könnte blindlings kurzlebigen Trends hinterherhecheln.
Martin Virtel: Lemminghafte Massenwahrnehmung ist ein altes Problem, der Begriff in der Internetszene heißt Filterblase: jeder sieht nur, was er sehen will. Das ist eine Gefahr für den öffentlichen Diskurs, glaube ich. Und das ist eine Sache der Selbstdisziplin als Journalist und das ist eine Sache von guten Medien, immer wieder dagegen anzurennen.
Martin Virtel von der am Forschungsprojekt beteiligten Deutschen Presseagentur dpa ist sich der Gefahren bewusst. Am Ende aber überwiegen die Vorteile von News-Stream als nützlichem Werkzeug:
Das Schöne ist ja vielleicht, wenn ich sage: ok, das ist eine Maschine, die kann eine Sache gut, dann muss ich das nicht mehr können. Also in dem Sinne: Wenn Sie mit einem Navigationssystem fahren, dann achten Sie nicht mehr auf die Schilder, sondern auf die Landschaft.
Ein Hilfs-Tool für den News-Stress
Ob sich diese fast schon kontemplative Besinnung in der Hektik eines Newsroom jemals einstellen wird? An Peter Adolphs und der digitalen Modulwerkstatt von Neofonie soll es nicht scheitern:
Es gibt auch die Situation im Newsroom: Man muss diverse Stücke fertigstellen und wartet gleichzeitig darauf, dass, sagen wir mal, der Präsident endlich sein Interview gibt, seine Pressekonferenz beginnt. Dort haben wir Werkzeuge, die das erkennen, wenn der Präsident spricht. Eine Stimmerkennung im Sinne von: So - jetzt ist es Zeit, hier auf den Bildschirm zu gucken!
Das hört sich ein wenig nach "his master’s voice" an. Aber solch kleinliche Bedenken stellt Kathleen Rahn, Direktorin des Kunstvereins, hintan. Denn es geht um mehr – um die Kunst des digitalen Lebens, um eine Strategie des Überlebens.
Dass wir so negativ argumentieren, das ist immer die Angst vor der Entwicklung, vor dem, was auf uns zurollt. Dass selten das mal wertneutral erklärt wird. Und das wäre total nötig, das Erklären. Das machen wir auch in der Ausstellung. Oder müssen wir auch vermehrt machen. Damit man das erstmal auch erkennt und auch die Technik versucht zu durchdringen.
Im militärischen Sprachgebrauch, bei den Nachrichtendiensten heißt so etwas ganz einfach: Aufklärung.