Wie ein Spion im eigenen Land
Nicht-Regierungsorganisationen haben in Russland einen schweren Stand. Vor allem, wenn sie aus dem Ausland finanziert werden, drohen ihnen Schwierigkeiten. Denn sie gelten dann als ausländische Agenten und unterliegen strengen Kontrollen. Immer mehr Initiativen stellen deshalb ihre Arbeit ein.
Die Beliebtheitswerte für Wladimir Putin lesen sich wie kommunistische Wahlergebnisse. Wenn jetzt das Levada-Zentrum sagt, dass 89 Prozent der Russen ihren Präsidenten positiv bewerten, ist das auch ein Erfolg für die Kreml-Propagandisten. 89 Prozent sind ein Allzeithoch für Wladimir Putin. Wer das Staatsoberhaupt kritischer sieht, wird gerade auf Linie gebracht. Durch zwei Gesetze. Eins, das die Einstufung als ausländische Agenten regelt, und eins, das klärt, welche Organisation in Russland gänzlich unerwünscht ist. Sollte also jeder, der unbehelligt arbeiten will, auf ausländisches Geld und jegliche politische Tätigkeit verzichten? Irina Scherbakowa von der Menschenrechtsorganisation Memorial sagt: Das Verbot kann auch dann jeden treffen.
"In diesem Gesetz ist mit Absicht politische Tätigkeit so formuliert, öffentliche Meinung zu beeinflussen. Und das ist der Sinn jeder Organisation, was sollen sie sonst? Das ist der Sinn: dass es keine freien Räume gibt, dass der Staat entscheidet, wer und wo und wann arbeiten kann."
Drei Organisationen stellen die Arbeit ein
Drei Organisationen haben gestern mitgeteilt, dass sie als sogenannte ausländische Agenten registriert wurden und deswegen ihre Arbeit einstellen: Das "Zentrum für Sozialpolitik und Genderforschung", die jüdische Abteilung der Städtischen Akademie in Birobidschan und die Petersburger Menschenrechtsorganisation "Liga der Wähler". Der Fonds "Dynastie", ebenfalls sogenannter ausländischer Agent, muss 300.000 Rubel Strafe zahlen, umgerechnet 50.000 Euro weil er Geld an eine juristische Organisation "Liberale Mission" gegeben hat. Die Grande Dame der Menschenrechtsaktivisten, Ludmila Alexejewa, hat zusammen mit rund 20 Wissenschaftlern gegen diese kürzliche Gerichtsentscheidung trotz ihrer 87 Jahre deutlich protestiert.
Seien zuerst Oppositionspolitiker, Wahlbeobachter oder Menschenrechtsorganisationen an der Reihe gewesen, werde nun das Feld immer gründlicher bereinigt. Die Staatspropaganda sät Hass, sagt die Historikerin. Kaukasier oder Gastarbeiter aus Mittel- und Zentralasien galten lange als Feinde der russischen Gesellschaft, nun sind es auch die, die meist schon von Berufs wegen differenzierter auf Entwicklungen schauen: Wissenschaftler, Künstler. Diejenigen, die auf die Unzulänglichkeiten der Gesellschaft hinweisen, werden jetzt als die daran Schuldigen hingestellt. Oppositionelle, Intellektuelle, Soldatenmütter, selbst die Gorbatschow-Stiftung sind bedroht. Ludmila Alexejewa, die die Stalin- und Sowjetdiktatur erlebt hat, wundert sich, wie sich ihre Landsleute von der Staatspropaganda erneut beeinflussen lassen: Heute glauben meine Mitbürger, sagt sie, was man ihnen erzählt, sie wirken unerfahren, infantil und sind schrecklich leicht zu betrügen."
Viel Solidarität für Memorial
Memorial erlebt den Hass selbst seit Jahren, macht dennoch immer weiter, arbeitet die Stalindiktatur auf, hilft heute in Bedrängnis Geratenen. "Das Menschenrechtszentrum von Memorial ist zum ausländischen Agenten erklärt worden, man hat diesen Stempel. Das ist absolut negativ besetzt. Man sieht aus wie ein Spion im eigenen Land. Aber es gibt doch sehr viele Menschen in Russland, wo diese Repressalien zu einer Familiengeschichte gehören. Und die sind oft sehr zerrissen zwischen diesem oft patriotischen Nationalgefühl und dem, was die eigene Erinnerung in der Familie erzählt. Aber das bringt trotzdem die Menschen zu uns."
Memorial erfährt eine Solidarität wie nie zuvor, von russischen Bürgern, und das ist neu. Viele Moskauer beteiligen sich an der Aktion "Letzte Adresse", 700 Anträge liegen bei Memorial, in denen Bürger um eine Gedenktafel bitten, weil auch in ihrem Haus eines der 40.000 Repressionsopfer gewohnt hat, die während des Stalinterrors erschossen worden sind.