Schriftsteller Ramírez über sein Heimatland

In Nicaragua entsteht eine "Familiendiktatur"

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Schriftsteller Sergio Ramírez blickt ernst in die Kamera
Sergio Ramírez lebt mittlerweile in Costa Rica im Exil © picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Von Peter Schumann · 10.01.2022
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Sergio Ramírez ist einer der berühmtesten Romanciers Nicaraguas. Früher kämpfte er mit Daniel Ortega gegen den Diktator Somoza. Doch sein einstiger Weggefährte wandte sich gegen ihn und zwang ihn ins Exil. Sogar seine Romane wurden verboten.
Am 10. Januar tritt Daniel Ortega zum 4. Mal in Folge die Präsidentschaft in Nicaragua an, nachdem er vor der Wahl im vergangenen November die gesamte Führungsschicht der Opposition verhaften ließ. Auch gegen Sergio Ramírez, der berühmteste Romancier des Landes und einer der renommiertesten Intellektuellen Lateinamerikas, besteht inzwischen ein Haftbefehl und sein neuester Roman wurde verboten.
Da war Ramírez bereits nach Costa Rica ins Exil gegangen, wo viele Oppositionelle Zuflucht gesucht hatten. Denn er befürchtete, dass die Verhaftungswelle auch vor ihm nicht haltmachen würde. Zurecht, wie sich zeigte. Denn der Haftbefehl wurde – wie bei den meisten Festnahmen üblich – wegen Aufruf zu Hass und Gewalt, Verschwörung und Anschlag auf die nationale Souveränität erlassen.
"Diese Delikte zeugen von einer sehr ärmlichen Fantasie, denn sie wurden lediglich dazu erfunden, um ordnungsgemäße Wahlen zu verhindern und Präsidentschaftskandidaten und führende politische Köpfe wegzusperren. Dabei geschieht es sicher zum ersten Mal, dass sie auf jemanden angewendet werden, der Bücher schreibt."

Aus Weggefährten werden Gegner

Für Ramírez sind diese Vorwürfe beinahe ein Déjà Vu, denn sie ähneln denen, die ihm 1977 unter dem Diktator Somoza gemacht wurden. Damals war der Schriftsteller 35 Jahre alt und kämpfte zusammen mit dem heutigen Präsidenten Daniel Ortega gegen die Gewaltherrschaft in Nicaragua. Nach dem Sieg über Somoza war er Vizepräsident der Regierungsjunta, die Ortega anführte.
Als dieser später die Präsidentschaft verlor und innerhalb der Revolutionspartei ein korruptes, autoritäres Regime aufzog, trennten sich ihre Wege. 2006 kam Ortega durch dubiose Wahlen erneut an die Macht und verwandelte das Land allmählich in eine „Familiendiktatur“, so Ramírez.
Er sagt, Ortega hat die staatliche Gewaltenteilung aufgehoben und kontrolliert mit eiserner Hand die Justiz. Eine Legislative gebe es praktisch nicht mehr und Polizei und Armee seien Teil von Ortegas persönlichem Machtapparat.
Selbst ehemalige Revolutionäre und Revolutionärinnen wie Doria Maria Tellez, die berühmteste Guerrillera, die Ortega 1974 in einer Kommandoaktion aus der Haft befreite, landeten im Gefängnis, weil sie das Regime kritisierten. Gioconda Belli, eine weitere ehemalige Guerrillera und heute namhafteste Schriftstellerin des Landes, zieht es vor, in den USA zu leben, nachdem ihr Bruder verhaftet wurde.

Ramírez' Bücher werden verboten

Auch Bücher werden inzwischen verfolgt – wie zum Beispiel der neue Kriminalroman von Sergio Ramírez, "Tongolele konnte nicht tanzen". Dieser spielt in Nicaragua und handelt von einem Herrscherpaar, das sich von magischen Kräften leiten lässt.
Die Zukunft seines weitgehend isolierten Heimatlandes sieht für Sergio Ramírez düster aus. Er glaubt, dass es zwar eine Zeit lang unter Polizeigewalt und Kontrolle der Medien existieren kann. Doch die ausbleibenden Investitionen aus dem Ausland würden der Wirtschaft massiv schaden.
"Wenn das Land sich immer mehr abkapselt, das soziale Leben immer weiter zusammenbricht und der nationale Zusammenhalt immer stärkeren Schaden erleidet, dann sollte sich ein Diktator fragen, ob es sich noch lohnt, sich als absoluter Herrscher in einem ruinierten Land aufzuspielen.", so Ramírez.
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