Nicholas A. Christakis: "Blueprint"

Wie Gene und Kultur miteinander Pingpong spielen

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"Blueprint – Wie unsere Gene das gesellschaftliche Zusammenleben prägen" von Nicholas Alexander Christakis
Menschen sind biologisch geeicht auf persönliche Identität, flache Hierarchien, Liebe zu Partnern und Kindern, soziales Miteinander und Kooperation. Das zeigt der Soziologe Nicholas A. Christakis in seinem Buch "Blueprint". © S. Fischer Verlag
Von Susanne Billig |
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Menschen sind genetisch auf Freundschaft und Kooperation ausgerichtet – aber auch auf Konflikt. Wie andere gesellig lebende Tiere verteidigen sie das soziale Netz, mit dem sie ihr Überleben sichern, so der Soziologe Nicholas A. Christakis.
Ist der Mensch der Wolf des Menschen? Nein, sagt Nicholas Christakis in seinem neuen Buch "Blueprint" und zeigt, wie klar die Evolution den Menschen als soziales, freundschafts- und liebesfähiges Lebewesen angelegt hat. "Wir sind genauso wenig imstande, Gesellschaften zu gründen, die diesen positiven Anlagen zuwiderlaufen, wie Ameisen imstande sind, einen Bienenstock zu bauen", betont der Autor.

Biologisch geeicht auf soziale Interaktion

Auf großzügigen 600 Seiten rollt der US-amerikanische Wissenschaftsstar stilistisch abwechslungsreich und als souveräner Erzähler Forschungsergebnisse aus, die Universalien in der sozialen Ausstattung des Homo sapiens belegen. Er analysiert die sozialen Erfahrungen von Schiffbrüchigen auf einsamen Inseln und religiöser Sektierer mit sonderbaren Gesellschaftsexperimenten. Verhaltensstudien an Kindern, Freundschaften unter Tieren sind wichtige Themen, und so kann der Autor allmählich zeigen: Menschen sind biologisch geeicht auf persönliche Identität, flache Hierarchien, Liebe zu Partnern und Kindern, soziales Miteinander und Kooperation. Unlösbar damit verquickt ist jene Eigenschaft, die dabei hilft, Menschen in Vorurteile und Gewalt hinein zu manipulieren: die Begünstigung der eigenen Gruppe. Wie auch andere gesellig lebende Tiere verteidigen Menschen das soziale Netz, mit dem sie ihr Überleben sichern.
Besonders spannend lesen sich die komplexen Rückkopplungen zwischen Genen und Kultur. Denn die Kombination psychologischer Eigenschaften, die Kultur erst erlauben, sind unser evolutionäres Erbe: Wir schließen uns den Handlungen anderer an, entwickeln und befolgen Normen, weisen Lehrerinnen und Lehrern einen besonderen Status zu und richten unsere Aufmerksamkeit auf Dinge, die auch andere interessieren. Wie Gene und Kultur miteinander Pingpong spielen, zeigt das Buch an vielen schönen Beispielen: Sobald der Mensch das Feuer beherrschte, konnte er kochen und konzentriertere Nahrung zu sich nehmen. Das setzte Energie frei für ein immer größeres Gehirn, was wiederum den kulturellen Möglichkeitsraum erweiterte.

Erfreuliche neue Sachliteratur

Immer wieder relativiert der Autor seine Schlussfolgerungen, erwähnt genetische Einflüsse nie, ohne die Eigengesetzlichkeit kultureller Entwicklungen zu unterstreichen und debattiert im Schlussteil ernsthaft und gesprächsbereit die Gefahr eines Abgleitens in biologistische Weltsichten. Was er zum Sozialleben des Menschen denke, sei sowohl reduktionistisch wie auch holistisch, erklärt Nicholas Christakis. Gruppen von Menschen hätten "emergente" Eigenschaften – also solche, die über die Eigenschaften Einzelner weit hinausgingen.
"Indem wir in reduktionistischer Weise die genetische Basis für kollektive Phänomene anerkennen, hilft uns das zu verstehen, wie emergente Eigenschaften wie Kooperation und soziale Netzwerke überhaupt zustande kommen." Damit reiht sich "Blueprint" in die erfreuliche Reihe der neueren Sachliteratur ein, die die Mauer zwischen Mensch und Tier niederreißen und das Tiersein des Menschen auf wertschätzende und komplexe Weise herausarbeiten.

Nicholas Alexander Christakis: "Blueprint – Wie unsere Gene das gesellschaftliche Zusammenleben prägen"
Aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Neubauer
S. Fischer Verlag, 2019
600 Seiten, 26 Euro

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