Nicht alle mögen Tea-Partys
Manchmal sind es kleine Dinge, die in Erinnerung bleiben. Am achten Oktober sprach Präsident Barack Obama vor erfolgreichen Geschäftsfrauen in Washington, ein Treffen, organisiert vom Fortune Magazine. Mitten in seiner Rede fiel das obligatorische präsidiale Wappen vom Rednerpult auf den Boden:
"Nun, kein Problem, sie wissen schließlich, wer ich bin", kommentierte Obama die Panne. Seinen Gegnern aber liefert die Szene das Sinnbild für eine ihrer Meinung nach völlig entgleiste Präsidentschaft. Zwei Jahre nach dem strahlenden Wahlsieg eines Hoffungsträgers ist die Stimmung umgeschlagen.
Velma Heart, eine Afro-Amerikanerin, hat die Befindlichkeit vieler Obama-Wähler bei einer vom Fernsehkanal CNBC übertragenen Bürgerversammlung letzthin treffend formuliert. Sie sagte dem Präsidenten ins Gesicht:
"Ich gehöre zu ihren Wählern der Mittelschicht. Ich kann nicht mehr. Ich mag Sie und ihre Regierung und den Wandel, für den ich gestimmt habe nicht länger verteidigen. Ich warte noch immer", fügte sie hinzu, "ich merke noch nichts"."
Ist die eigene Basis des Präsidenten vergleichsweise demotiviert, gilt für seine Gegner das Gegenteil. Meteorologen sprechen hierzulande von einem "perfect storm", wenn mehrere Unwetter-Faktoren zusammenkommen. Politisch gesehen droht der Partei des Präsidenten ähnliches Ungemach bei den Wahlen am 2. November.
Wenigstens vier Aspekte sind dafür verantwortlich. Da sind erstens die traditionellen Verluste einer Partei im ersten Amtsjahr ihres Präsidenten, zweitens die starken Gewinne für demokratische Kandidaten 2006 und 2008, die auf einen möglichen Zenit hindeuten, drittens die miserable wirtschaftliche Lage, auch zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Barack Obama und viertens eine Motivierung konservativer Wählerschichten, die den Präsidenten und sein Regierungsprogramm als ideologische Provokation empfinden.
Wähler, die sich zurzeit unter dem großen Dach der sogenannten Tea-Party zusammenraufen, mit einer Agenda gegen die milliardenschweren staatlichen Programme zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise, gegen Steuererhöhungen jedweder Art und gegen wachsenden staatlichen Einfluss in - wie sie es sehen - private Belange. Antoinette aus New Jersey, 72 Jahre alt, will ihr Land zurück. Als der konservative Populist Glenn Beck Ende August zur Demonstration vor dem Lincoln Memorial aufrief, war sie zur Stelle:
""In alles mischen sie sich ein", klagt sie über die Regierung. Vor allem die Gesundheitsreform mit einer Versicherungspflicht für alle Amerikaner ist ihr ein Dorn im Auge. "Dies ist nicht mehr mein Amerika", wendet sie sich seufzend ab.
Eine typische Vertreterin der Tea-Party, meint Sozialwissenschaftler Michael Werz vom regierungsnahen Center for American Progress in Washington.
Der Widerstand gegen die Gesundheitsreform hat die Bewegung im Sommer des vergangenen Jahres stark gemacht. In zahllosen Bürgerversammlungen kannte die Wut vieler Konservativer keine Grenzen. Unvergessen, die Konfrontation mit Senator Arlen Specter in Pennsylvania im August 2009
Bis jetzt habe ich mich nie für Politik interessiert, rief diese 35-jährige Wählerin, sie haben einen schlafenden Riesen geweckt, warnte sie. In der Tat wurde Arlen Specter jetzt abgestraft. Nach 30 Jahren im Senat geht seine politische Karriere in wenigen Tagen zu Ende. Der langjährige Republikaner, der 2009 zu den Demokraten gewechselt war, kam nicht einmal über die Vorwahlen, die sogenannten Primaries hinaus.
Auch Anastasia Przybilski erinnert das Treffen mit Senator Specter gut. Sie ist 38 und lebt in Doylestown, Pennsylvania. Als Mutter von drei Kindern hat sie im April letzten Jahres ihre erste Tea-Party organisiert. Ohne jede politische Erfahrung brachte sie 2000 Menschen zusammen. In ihrem Wahlkreis ist die Gruppe um Frau Przybilski inzwischen eine politische Größe. Sie versucht zurzeit, den Haushalt, die drei Kinder und den Wahlkampf unter einen Hut zu bekommen. Die staatlichen Hilfsgelder für Banken und Hausbesitzer findet sie inakzeptabel:
"Wer sich verschuldet, wird auch noch belohnt, die anderen bekommen nichts. Das kann's doch wohl nicht sein."
Auch Anastasia Przybilski ist eine typische Vertreterin der Tea-Party, sagt Terry Madonna. Als Politikwissenschaftler leitet er das Center for Politics and Public Affairs am Franklin&Marshall College in Lancaster, Pennsylvania:
"Die Hauptmerkmale der Tea-Party Bewegung sind: Widerstand gegen die stetig steigenden staatlichen Ausgaben und den wachsenden Schuldenberg und Opposition zum Establishment in Washington."
Anna Puig kann das nur bestätigen, auch sie wohnt in Doylestown. Zusammen mit ihrer Freundin Anastasia hat sie den Protest vor anderthalb Jahren organisiert. Wir sind keine reine Anti-Obama Bewegung, wir sind gegen Demokraten und Republikaner in Washington, bekräftigt sie:
"Wir haben die Nase voll. Beide Parteien haben uns benutzt, die Steuerzahler ausgenutzt, den Staat aufgeblasen, ganz anders als von den Gründungsvätern beabsichtigt."
Doch Sozialwissenschaftler Werz hält die angebliche Distanz der Tea-Party zu beiden großen Parteien für vorgeschoben.
Jamie Radtke, Vorsitzende der Virginia Tea-Party, spricht Anfang Oktober zu 2000 Anhängern bei einer Versammlung in Richmond. Die Stimmung ist gut, die meisten Teilnehmer sind mit Anti-Obama und Pro-Waffen Ansteckern ausgerüstet. Chris Cisson singt in der Lobby von einem Land, das zurückerobert werden muss, von Angreifern, die überall sind, vor allem im eigenen Land.
Ein Pastor vom rechtsnationalen Rand Bishop EW Jackson, ein Afro-Amerikaner, hält die Eröffnungsrede, und kommentiert den Vorwurf, die Tea-Party sei rassistisch geprägt. "Ein für alle mal sage ich, jeder ist willkommen, unabhängig von Hautfarbe oder Religion", so Jackson.
Doch im Interview wenig später ist Bishop Jackson weniger tolerant. Auf die Frage, ob er Barack Obama gewählt habe, sagt Jackson:
Nein, das habe er nicht können, er sei schließlich Christ. Und auf den Einwand, Obama sei doch auch Christ, meinte Bishop Jackson: Absolut nicht, er spielt nur eine Rolle, er ist tatsächlich ein Moslem.
Eine Stimme der Tea-Party, doch immerhin wurde Bishop Jackson ausgewählt, vor der bisher größten Tea-Party Konferenz des Landes zu sprechen. Wie groß genau die Bewegung ist, lässt sich schwer sagen. Dezentral organisiert, sind die Grenzen zwischen Sympathisanten, Anhängern und Aktivisten fließend. Sie ist verzweigt, es gibt libertäre unabhängige Vereinigungen mit Distanz zur Republikanischen Partei und Gruppen mit enger Verbindung zu den Republikanern.
Kleine Gruppen wie die von Przybilski und Puig bilden zusammen ein Netzwerk, das inzwischen durch nationale konservative Lobbyisten mit Logistik und finanziellen Mitteln unterstützt wird. Brendan Steinhauser koordiniert die Arbeit regionaler Tea-Partys für Freedom Works, eine dieser konservativen Organisationen in Washington, die den oft unerfahrenen aber hochmotivierten Aktivisten an der Basis mit Telefonlisten und Büro-Infrastruktur unter die Arme greifen.
Gerade einmal 28 Jahre alt, hat Steinhauser im letzten Jahr schnell das Protestpotential erkannt. Er spricht von ungefähr 2000 Tea-Party Gruppen in den USA. Und auch wenn die Demokraten und Barack Obama ideologisch als Hauptgegner gelten müssen - als Polit-Stratege hat Steinhauser zurzeit die Republikanische Partei im Visier, die Grand Old Party, GOP:
"Die Tea-Party ist zunächst vor allem eine Herausforderung für Republikaner, wir nehmen als erstes Einfluss auf Bezirksebene, lassen uns in Ausschüsse wählen, bestimmen in Zukunft die Auswahl der Kandidaten. Wer sich gegen uns stellt, wird verlieren. Wir übernehmen die Republikanische Partei, wenn nicht nächstes Jahr, dann in den Jahren danach."
Wer das für vollmundig hält, der möge sich die Tea-Party-Erfolge allein in diesem Jahr anschauen. Es begann mit dem Sensationssieg von Scott Brown für die Nachfolge von Edward Kennedy im urdemokratischen Massachusetts. Es ging weiter mit Vorwahlsiegen in Colorado, Nevada, Utah, Florida, Kentucky, Alaska und Delaware, wo sich Tea-Party-Kandidaten gegen das konservative Partei-Establishment durchsetzten.
Delaware ist ein besonders krasses Beispiel. Christine O’Donnell gewann die Senats-Vorwahl als Nobody sensationell gegen ihren innerparteilichen Gegner Mike Castle, ein eher moderater Konservativer, der beste Chancen auf einen Wahlsieg im November gehabt hätte. Doch mit der 41-jährigen Christine O’Donnell haben die Republikaner jetzt eine Kandidatin ohne belastbare politische Erfahrung, die sich gegen Videos aus ihrer Vergangenheit wehren muss, in denen sie die Selbstbefriedigung moralisch verurteilt und zugibt, sich mit Hexerei auseinandergesetzt zu haben.
Selbst Karl Rove, konservativer Stratege und ehemaliger enger Berater von Präsident George Bush klang in seiner Bewertung gegenüber FoxNews verzweifelt:
"Sie hat so viel verrücktes Zeug erzählt. Ich bin immer für Konservative, aber ich weiß, wir hatten Aussichten auf acht bis neun zusätzliche Senatssitze, jetzt sind es sieben bis acht", so Rove in Anspielung auf das Traumziel der Republikaner, eine Mehrheit von 51 Sitzen im Senat zu erobern.
"Für uns ist es sinnlos, Kandidaten zu unterstützen, deren Aussagen konservativ sind, die aber nicht für die Wahrhaftigkeit und den Ernst stehen, nach denen der Wähler sucht."
Der Zwist im konservativen Lager ist offensichtlich. Rush Limbaugh, rechtspopulistischer Talk-Radio König wütete am Tag nach der Wahl gegen Rove.
"Wenn die 51 Stimmen so wichtig sind, dann müssen wir alles geben für Christine O’Donnell."
Doch vermutlich wird der alte Hase Karl Rove recht behalten. Während die Republikaner mit Mike Castle beste Chancen auf den Senatssitz für Delaware gehabt hätten, übrigens in der Nachfolge für den langjährigen Amtsinhaber und jetzigen Vize-Präsidenten Joe Biden, scheint Christine O’Donnell chancenlos. Sie liegt 16 Prozentpunkte hinter ihrem Konkurrenten von der Demokratischen Partei.
Egal, meint dieser Tea-Party Anhänger in Richmond, auch wenn sie verliert, haben wir vielleicht ein paar andere moderate Republikaner aufgeschreckt. Das Opfer ist es wert.
O’Donnels Fernsehspot beginnt mit den Worten: Ich bin keine Hexe, ihr Versprechen an die Wähler: "Ich gehe nach Washington und tue, was Sie tun würden."
Wie erklären sich die Erfolge dieser populistischen konservativen Kräfte in Konkurrenz zu etablierten republikanischen Amtsinhabern und Kandidaten? Sicher verfügen die Konservativen in diesem Wahlkampf über weitaus mehr Geld als der politische Gegner, ein Urteil des Obersten Gerichts hat jüngst den Weg für anonyme Wahlkampfspenden in beliebiger Höhe, zum Beispiel von Unternehmen, freigemacht.
Vor allem die Zahl konservativer Interessengruppen ist seit dem Urteil stark angewachsen, insgesamt wurden jenseits der offiziellen Parteikampagnen nach einer Analyse der Washington Post bisher bereits 80 Millionen Dollar für diese Wahl ausgegeben, 2006 waren es 16 Millionen. Doch profitieren davon etablierte Republikaner und Tea-Party Kandidaten.
Ein Vorteil ist jedoch mit Geld nicht zu bezahlen. Die Unterstützung von Tea-Party Ikone Sarah Palin. Ohne sie wäre Christine O’Donnell heute nicht einmal mehr eine Randnotiz. Jetzt gehört sie zu den Mama Grizzlies, wie Sarah Palin die starken Frauen der Tea-Party nennt. Wie die Bärenmütter wissen wir, wann etwas schief läuft und wir kämpfen mit aller Kraft, sagt Palin in einem Werbespot.
Sarah Palin unterstützt Dutzende von Kandidaten in diesem Wahlkampf. Bisher haben 26 davon gewonnen, 11 verloren. Ihr Einfluss auf die Bewegung ist schwer zu überschätzen, parteiinterne Gegenspieler im Moment kaum zu hören. Aus Sicht von Michael Werz vom Center vor American Progress ein Grund für das starke Abschneiden von Tea-Party-Kandidaten während der Vorwahlen. Werz über den Zustand der Republikanischen Partei.
(…)
So unbestritten die aktuelle Schlagkraft der Tea-Party im konservativen Lager der USA, so unklar ist ihre langfristige Substanz. Wenn es nach Brendan Steinhauser geht, dem Tea-Party-Koordinator von Freedom Works in Washington, entwickelt sich hier eine politische Kraft für die kommenden Jahrzehnte:
"Wir wollen eine nationale Bewegung, die unsere Freiheit in den nächsten 50 bis 100 Jahren verteidigt. Für uns ist es nicht mit einer Wahl getan, auch nicht mit der nächsten im Jahr 2012. Es geht um eine freiheitlich-soziale Bewegung, die mehr ist als eine politische Partei."
Politikwissenschaftler Madonna hält die Tea-Party für ein vorübergehendes Phänomen. Es habe auch in Wirtschaftskrisen vergangener Jahrzehnte Protestbewegungen gegeben. Gruppen, von denen heute niemand mehr spreche:
"Wenn der Aufschwung kommt und das Defizit sinkt, wird der Tea-Party die Luft ausgehen", sagt Madonna. Auch Michael Werz sieht langfristig keine Überlebenschance für die Bewegung, sieht aber ihr Potenzial für eine dauerhafte Schwächung der Republikanischen Partei.
Am 2. November wird gewählt. Die Republikaner dürfen einerseits mit starken Gewinnen rechnen, müssen aber andererseits mit neuen erzkonservativen Mandatsträgern zurechtkommen, für die Kompromisse mit dem politischen Gegner an Verrat grenzen. Es könnte sich mittelfristig um einen Pyrrhussieg handeln.
Velma Heart, eine Afro-Amerikanerin, hat die Befindlichkeit vieler Obama-Wähler bei einer vom Fernsehkanal CNBC übertragenen Bürgerversammlung letzthin treffend formuliert. Sie sagte dem Präsidenten ins Gesicht:
"Ich gehöre zu ihren Wählern der Mittelschicht. Ich kann nicht mehr. Ich mag Sie und ihre Regierung und den Wandel, für den ich gestimmt habe nicht länger verteidigen. Ich warte noch immer", fügte sie hinzu, "ich merke noch nichts"."
Ist die eigene Basis des Präsidenten vergleichsweise demotiviert, gilt für seine Gegner das Gegenteil. Meteorologen sprechen hierzulande von einem "perfect storm", wenn mehrere Unwetter-Faktoren zusammenkommen. Politisch gesehen droht der Partei des Präsidenten ähnliches Ungemach bei den Wahlen am 2. November.
Wenigstens vier Aspekte sind dafür verantwortlich. Da sind erstens die traditionellen Verluste einer Partei im ersten Amtsjahr ihres Präsidenten, zweitens die starken Gewinne für demokratische Kandidaten 2006 und 2008, die auf einen möglichen Zenit hindeuten, drittens die miserable wirtschaftliche Lage, auch zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Barack Obama und viertens eine Motivierung konservativer Wählerschichten, die den Präsidenten und sein Regierungsprogramm als ideologische Provokation empfinden.
Wähler, die sich zurzeit unter dem großen Dach der sogenannten Tea-Party zusammenraufen, mit einer Agenda gegen die milliardenschweren staatlichen Programme zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise, gegen Steuererhöhungen jedweder Art und gegen wachsenden staatlichen Einfluss in - wie sie es sehen - private Belange. Antoinette aus New Jersey, 72 Jahre alt, will ihr Land zurück. Als der konservative Populist Glenn Beck Ende August zur Demonstration vor dem Lincoln Memorial aufrief, war sie zur Stelle:
""In alles mischen sie sich ein", klagt sie über die Regierung. Vor allem die Gesundheitsreform mit einer Versicherungspflicht für alle Amerikaner ist ihr ein Dorn im Auge. "Dies ist nicht mehr mein Amerika", wendet sie sich seufzend ab.
Eine typische Vertreterin der Tea-Party, meint Sozialwissenschaftler Michael Werz vom regierungsnahen Center for American Progress in Washington.
Der Widerstand gegen die Gesundheitsreform hat die Bewegung im Sommer des vergangenen Jahres stark gemacht. In zahllosen Bürgerversammlungen kannte die Wut vieler Konservativer keine Grenzen. Unvergessen, die Konfrontation mit Senator Arlen Specter in Pennsylvania im August 2009
Bis jetzt habe ich mich nie für Politik interessiert, rief diese 35-jährige Wählerin, sie haben einen schlafenden Riesen geweckt, warnte sie. In der Tat wurde Arlen Specter jetzt abgestraft. Nach 30 Jahren im Senat geht seine politische Karriere in wenigen Tagen zu Ende. Der langjährige Republikaner, der 2009 zu den Demokraten gewechselt war, kam nicht einmal über die Vorwahlen, die sogenannten Primaries hinaus.
Auch Anastasia Przybilski erinnert das Treffen mit Senator Specter gut. Sie ist 38 und lebt in Doylestown, Pennsylvania. Als Mutter von drei Kindern hat sie im April letzten Jahres ihre erste Tea-Party organisiert. Ohne jede politische Erfahrung brachte sie 2000 Menschen zusammen. In ihrem Wahlkreis ist die Gruppe um Frau Przybilski inzwischen eine politische Größe. Sie versucht zurzeit, den Haushalt, die drei Kinder und den Wahlkampf unter einen Hut zu bekommen. Die staatlichen Hilfsgelder für Banken und Hausbesitzer findet sie inakzeptabel:
"Wer sich verschuldet, wird auch noch belohnt, die anderen bekommen nichts. Das kann's doch wohl nicht sein."
Auch Anastasia Przybilski ist eine typische Vertreterin der Tea-Party, sagt Terry Madonna. Als Politikwissenschaftler leitet er das Center for Politics and Public Affairs am Franklin&Marshall College in Lancaster, Pennsylvania:
"Die Hauptmerkmale der Tea-Party Bewegung sind: Widerstand gegen die stetig steigenden staatlichen Ausgaben und den wachsenden Schuldenberg und Opposition zum Establishment in Washington."
Anna Puig kann das nur bestätigen, auch sie wohnt in Doylestown. Zusammen mit ihrer Freundin Anastasia hat sie den Protest vor anderthalb Jahren organisiert. Wir sind keine reine Anti-Obama Bewegung, wir sind gegen Demokraten und Republikaner in Washington, bekräftigt sie:
"Wir haben die Nase voll. Beide Parteien haben uns benutzt, die Steuerzahler ausgenutzt, den Staat aufgeblasen, ganz anders als von den Gründungsvätern beabsichtigt."
Doch Sozialwissenschaftler Werz hält die angebliche Distanz der Tea-Party zu beiden großen Parteien für vorgeschoben.
Jamie Radtke, Vorsitzende der Virginia Tea-Party, spricht Anfang Oktober zu 2000 Anhängern bei einer Versammlung in Richmond. Die Stimmung ist gut, die meisten Teilnehmer sind mit Anti-Obama und Pro-Waffen Ansteckern ausgerüstet. Chris Cisson singt in der Lobby von einem Land, das zurückerobert werden muss, von Angreifern, die überall sind, vor allem im eigenen Land.
Ein Pastor vom rechtsnationalen Rand Bishop EW Jackson, ein Afro-Amerikaner, hält die Eröffnungsrede, und kommentiert den Vorwurf, die Tea-Party sei rassistisch geprägt. "Ein für alle mal sage ich, jeder ist willkommen, unabhängig von Hautfarbe oder Religion", so Jackson.
Doch im Interview wenig später ist Bishop Jackson weniger tolerant. Auf die Frage, ob er Barack Obama gewählt habe, sagt Jackson:
Nein, das habe er nicht können, er sei schließlich Christ. Und auf den Einwand, Obama sei doch auch Christ, meinte Bishop Jackson: Absolut nicht, er spielt nur eine Rolle, er ist tatsächlich ein Moslem.
Eine Stimme der Tea-Party, doch immerhin wurde Bishop Jackson ausgewählt, vor der bisher größten Tea-Party Konferenz des Landes zu sprechen. Wie groß genau die Bewegung ist, lässt sich schwer sagen. Dezentral organisiert, sind die Grenzen zwischen Sympathisanten, Anhängern und Aktivisten fließend. Sie ist verzweigt, es gibt libertäre unabhängige Vereinigungen mit Distanz zur Republikanischen Partei und Gruppen mit enger Verbindung zu den Republikanern.
Kleine Gruppen wie die von Przybilski und Puig bilden zusammen ein Netzwerk, das inzwischen durch nationale konservative Lobbyisten mit Logistik und finanziellen Mitteln unterstützt wird. Brendan Steinhauser koordiniert die Arbeit regionaler Tea-Partys für Freedom Works, eine dieser konservativen Organisationen in Washington, die den oft unerfahrenen aber hochmotivierten Aktivisten an der Basis mit Telefonlisten und Büro-Infrastruktur unter die Arme greifen.
Gerade einmal 28 Jahre alt, hat Steinhauser im letzten Jahr schnell das Protestpotential erkannt. Er spricht von ungefähr 2000 Tea-Party Gruppen in den USA. Und auch wenn die Demokraten und Barack Obama ideologisch als Hauptgegner gelten müssen - als Polit-Stratege hat Steinhauser zurzeit die Republikanische Partei im Visier, die Grand Old Party, GOP:
"Die Tea-Party ist zunächst vor allem eine Herausforderung für Republikaner, wir nehmen als erstes Einfluss auf Bezirksebene, lassen uns in Ausschüsse wählen, bestimmen in Zukunft die Auswahl der Kandidaten. Wer sich gegen uns stellt, wird verlieren. Wir übernehmen die Republikanische Partei, wenn nicht nächstes Jahr, dann in den Jahren danach."
Wer das für vollmundig hält, der möge sich die Tea-Party-Erfolge allein in diesem Jahr anschauen. Es begann mit dem Sensationssieg von Scott Brown für die Nachfolge von Edward Kennedy im urdemokratischen Massachusetts. Es ging weiter mit Vorwahlsiegen in Colorado, Nevada, Utah, Florida, Kentucky, Alaska und Delaware, wo sich Tea-Party-Kandidaten gegen das konservative Partei-Establishment durchsetzten.
Delaware ist ein besonders krasses Beispiel. Christine O’Donnell gewann die Senats-Vorwahl als Nobody sensationell gegen ihren innerparteilichen Gegner Mike Castle, ein eher moderater Konservativer, der beste Chancen auf einen Wahlsieg im November gehabt hätte. Doch mit der 41-jährigen Christine O’Donnell haben die Republikaner jetzt eine Kandidatin ohne belastbare politische Erfahrung, die sich gegen Videos aus ihrer Vergangenheit wehren muss, in denen sie die Selbstbefriedigung moralisch verurteilt und zugibt, sich mit Hexerei auseinandergesetzt zu haben.
Selbst Karl Rove, konservativer Stratege und ehemaliger enger Berater von Präsident George Bush klang in seiner Bewertung gegenüber FoxNews verzweifelt:
"Sie hat so viel verrücktes Zeug erzählt. Ich bin immer für Konservative, aber ich weiß, wir hatten Aussichten auf acht bis neun zusätzliche Senatssitze, jetzt sind es sieben bis acht", so Rove in Anspielung auf das Traumziel der Republikaner, eine Mehrheit von 51 Sitzen im Senat zu erobern.
"Für uns ist es sinnlos, Kandidaten zu unterstützen, deren Aussagen konservativ sind, die aber nicht für die Wahrhaftigkeit und den Ernst stehen, nach denen der Wähler sucht."
Der Zwist im konservativen Lager ist offensichtlich. Rush Limbaugh, rechtspopulistischer Talk-Radio König wütete am Tag nach der Wahl gegen Rove.
"Wenn die 51 Stimmen so wichtig sind, dann müssen wir alles geben für Christine O’Donnell."
Doch vermutlich wird der alte Hase Karl Rove recht behalten. Während die Republikaner mit Mike Castle beste Chancen auf den Senatssitz für Delaware gehabt hätten, übrigens in der Nachfolge für den langjährigen Amtsinhaber und jetzigen Vize-Präsidenten Joe Biden, scheint Christine O’Donnell chancenlos. Sie liegt 16 Prozentpunkte hinter ihrem Konkurrenten von der Demokratischen Partei.
Egal, meint dieser Tea-Party Anhänger in Richmond, auch wenn sie verliert, haben wir vielleicht ein paar andere moderate Republikaner aufgeschreckt. Das Opfer ist es wert.
O’Donnels Fernsehspot beginnt mit den Worten: Ich bin keine Hexe, ihr Versprechen an die Wähler: "Ich gehe nach Washington und tue, was Sie tun würden."
Wie erklären sich die Erfolge dieser populistischen konservativen Kräfte in Konkurrenz zu etablierten republikanischen Amtsinhabern und Kandidaten? Sicher verfügen die Konservativen in diesem Wahlkampf über weitaus mehr Geld als der politische Gegner, ein Urteil des Obersten Gerichts hat jüngst den Weg für anonyme Wahlkampfspenden in beliebiger Höhe, zum Beispiel von Unternehmen, freigemacht.
Vor allem die Zahl konservativer Interessengruppen ist seit dem Urteil stark angewachsen, insgesamt wurden jenseits der offiziellen Parteikampagnen nach einer Analyse der Washington Post bisher bereits 80 Millionen Dollar für diese Wahl ausgegeben, 2006 waren es 16 Millionen. Doch profitieren davon etablierte Republikaner und Tea-Party Kandidaten.
Ein Vorteil ist jedoch mit Geld nicht zu bezahlen. Die Unterstützung von Tea-Party Ikone Sarah Palin. Ohne sie wäre Christine O’Donnell heute nicht einmal mehr eine Randnotiz. Jetzt gehört sie zu den Mama Grizzlies, wie Sarah Palin die starken Frauen der Tea-Party nennt. Wie die Bärenmütter wissen wir, wann etwas schief läuft und wir kämpfen mit aller Kraft, sagt Palin in einem Werbespot.
Sarah Palin unterstützt Dutzende von Kandidaten in diesem Wahlkampf. Bisher haben 26 davon gewonnen, 11 verloren. Ihr Einfluss auf die Bewegung ist schwer zu überschätzen, parteiinterne Gegenspieler im Moment kaum zu hören. Aus Sicht von Michael Werz vom Center vor American Progress ein Grund für das starke Abschneiden von Tea-Party-Kandidaten während der Vorwahlen. Werz über den Zustand der Republikanischen Partei.
(…)
So unbestritten die aktuelle Schlagkraft der Tea-Party im konservativen Lager der USA, so unklar ist ihre langfristige Substanz. Wenn es nach Brendan Steinhauser geht, dem Tea-Party-Koordinator von Freedom Works in Washington, entwickelt sich hier eine politische Kraft für die kommenden Jahrzehnte:
"Wir wollen eine nationale Bewegung, die unsere Freiheit in den nächsten 50 bis 100 Jahren verteidigt. Für uns ist es nicht mit einer Wahl getan, auch nicht mit der nächsten im Jahr 2012. Es geht um eine freiheitlich-soziale Bewegung, die mehr ist als eine politische Partei."
Politikwissenschaftler Madonna hält die Tea-Party für ein vorübergehendes Phänomen. Es habe auch in Wirtschaftskrisen vergangener Jahrzehnte Protestbewegungen gegeben. Gruppen, von denen heute niemand mehr spreche:
"Wenn der Aufschwung kommt und das Defizit sinkt, wird der Tea-Party die Luft ausgehen", sagt Madonna. Auch Michael Werz sieht langfristig keine Überlebenschance für die Bewegung, sieht aber ihr Potenzial für eine dauerhafte Schwächung der Republikanischen Partei.
Am 2. November wird gewählt. Die Republikaner dürfen einerseits mit starken Gewinnen rechnen, müssen aber andererseits mit neuen erzkonservativen Mandatsträgern zurechtkommen, für die Kompromisse mit dem politischen Gegner an Verrat grenzen. Es könnte sich mittelfristig um einen Pyrrhussieg handeln.