"Nicht das richtige Instrumentarium"

Moderation: Birgit Kolkmann |
Das Mitglied der Monopolkommission, Justus Haucap, hält eine Verschärfung des Kartellrechts auf dem Strommarkt für nicht geeignet, um Preisbeeinflussung durch die Energiekonzerne einzudämmen. Die geplante Gesetzesnovelle sei "nicht das richtige Instrumentarium" und werde bestenfalls die Symptome bekämpfen, aber die Wurzel des Übels nicht erfassen, sagte Haucap im Deutschlandradio Kultur.
Birgit Kolkmann: Erst gab’s Hinweise, jetzt Belege, aber Beweise ist das Bundeskartellamt bislang noch schuldig geblieben, dass die vier großen Stromkonzerne die Preise untereinander absprechen und so viele Milliarden Euro scheffeln. Märchenhafte Gewinne auf Kosten der Verbraucher, die immer höhere Stromrechnungen bekommen. Dabei sollte eigentlich mehr Wettbewerb herrschen auf dem Markt, doch der wird zu 85 Prozent von den vier großen RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW kontrolliert. Die Stromnetze kontrollieren sie sogar zu 100 Prozent. Die Politik versucht auf europäischer und nun auch auf nationaler und Länderebene dem Problem beizukommen. Von Zerschlagung der Konzerne ist die Rede. Sie sollen ihre Kraftwerke verkaufen. Wir wollen einen ausgewiesenen Experten für Wettbewerb und Regulierung in der Wirtschaft fragen. Professor Justus Haucap von der Universität Erlangen-Nürnberg ist außerdem Mitglied der Monopolkommission, die ein unabhängiges Beratungsgremium für Wettbewerbspolitik und Regulierung ist. Schönen guten Morgen, Professor Haucap.

Justus Haucap: Ja, schönen guten Morgen.

Kolkmann: Die Stromkonzerne sprechen die Preise ab und mauscheln an der Leipziger Energiebörse. Sind das nun böse Gerüchte oder ist wirklich etwas dran, wie es uns das Bundeskartellamt sagt?

Haucap: Es gibt Indikatoren, die vermuten lassen, dass tatsächlich dort Marktmacht ausgeübt wird. Das heißt also, dass die Preise tatsächlich höher sind, als sie sein könnten. Das Bundeskartellamt scheint dort Indizien gefunden zu haben, aber es ist auch nicht die erste Institution, die dort Indikatoren gefunden hat, auch die EU-Kommission hat schon Anfang des Jahres eine Studie vorgelegt, wo zumindest belegt wurde, dass zumindest die beiden großen deutschen Stromkonzerne, RWE und E.ON, das Potenzial haben, die Preise dort signifikant zu beeinflussen.

Kolkmann: Der Vorsitzende in der Monopolkommission, also ein Kollege von Ihnen, hat gesagt, die Stromkonzerne, die ja die Strombörse praktisch auch mitfinanzieren oder besitzen, die haben es gar nicht nötig, sich abzusprechen, weil sie ohnehin die Energiebörse maßgeblich beeinflussen und die Preise hoch halten können.

Haucap: Das ist auch völlig richtig, selbst wenn E.ON und RWE sich nicht absprechen würden - das hat auch die Studie der EU-Kommission gezeigt – könnten sie die Preise beeinflussen, denn wenn E.ON oder RWE sehr viel Angebote zurückziehen würde vom Markt, würde der Preis geradezu explodieren, also sehr stark in die Höhe schießen, weil ohne das Angebot der sehr großen Stromkonzerne die Nachfrage in Deutschland nicht gedeckt werden könnte.

Kolkmann: Es gibt ja auch schwere Vorwürfe vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, für das Sie ja auch viele Jahre gearbeitet haben und gelegentlich noch arbeiten, dass nämlich da auf eine Art und Weise beeinflusst wird, indem zum Beispiel einfach Kraftwerke abgestellt werden und dann eben der Preis so hoch geht, wie eben von Ihnen beschrieben.

Haucap: Das ist der Trick bei der ganzen Sache, also die Preisabsprachen an sich können natürlich nicht funktionieren, weil der Preis tatsächlich über Angebot und Nachfrage zustande kommt. Wie man den Preis beeinflussen kann ist eben, dass man das Angebot reduziert. Die Nachfrage ist ja doch mehr oder weniger starr und kann kurzfristig nur sehr schwer ausweichen, weil man Strom eben dann doch braucht und sehr schwierig ist, drauf zu verzichten, beziehungsweise in der Industrie da mit Produktionsausfällen einherginge und so ist auch die Erfahrung aus anderen Ländern, funktioniert das typischer Weise, dass also nicht tatsächlich ein Preis vereinbart wird, zu dem gehandelt wird, sondern das Angebot zurückgehalten wird. Das wäre tatsächlich die Möglichkeit, den Strompreis nach oben zu bringen für die Konzerne.

Kolkmann: Wie kann man diesem Problem nun aber beikommen? Die Novelle des Kartellgesetzes sieht ja auch mehr Kontrollen vor, auch an der Leipziger Energiebörse. Eine mögliche Zerschlagung der Konzerne ist im Gespräch, auch auf EU-Ebene, dass die Kraftwerke die Stromerzeugung von den Netzen, also vom Vertrieb dann getrennt wird. Bringt denn das bereits niedrigere Preise?

Haucap: Das ist eine gar nicht so einfache Frage. Wie die Preisentwicklung kurzfristig und mittelfristig und dann auch langfristig sein wird, hängt natürlich nicht nur vom Wettbewerb ab, sondern auch von vielen anderen Faktoren wie zum Beispiel der Entwicklung im Bereich erneuerbare Energien, der Atomausstieg und Ähnliches. Das sind Dinge, die auch den Preis stark beeinflussen, sodass wenn wir mehr erneuerbare Energien wollen, wie sicherlich auch nicht mit langfristig sinkenden Preisen rechnen können. Der Wettbewerb kann aber helfen, den Preisaufstieg zu dämpfen. Die Diagnose, dass der Wettbewerb nicht gut funktioniert, ist, glaube ich, nicht besonders umstritten, umstritten ist eher, was die beste Therapie ist. Die Verschärfung des Kartellgesetzes, das hat die Monopolkommission schon im März gesagt, halten wir nicht für das richtige Instrumentarium, das wird jetzt ein Tropfen auf dem heißen Stein sein, der die Symptome bestenfalls bekämpfen kann, aber nicht wirklich an den Ursachen angreift. Die Wurzel des Übels wird dadurch nicht erfasst. Dazu sind strukturelle Maßnahmen notwendig, und da gibt es zwei ganz wesentliche Dinge. Das ist zum einen die Öffnung der Grenzen, nämlich die Erweiterung des Strommarktes, weg von einem deutschen zu einem europäischen Strommarkt, sodass Konkurrenz nicht nur zwischen den deutschen Anbietern, sondern zwischen den europäischen Anbietern herrscht. Und zum anderen auch, wenn das nicht so schnell gelingt, die Dekonzentration auf der Kraftwerksebene, also auf der Erzeugungsebene in Deutschland.

Kolkmann: Das heißt, die Konzerne sollen ihre Kraftwerke verkaufen. Das wäre die Linie auch der EU-Kommission, die sich ja auch eine Zerschlagung vorstellt.

Haucap: Ja, die EU-Kommission plädiert in erster Linie für eine Zerschlagung zwischen Netz und Erzeugung. Das würde nach wie vor bedeuten, dass 85 Prozent der Kraftwerke im Besitz von vier großen deutschen Erzeugern wären, die zwar nicht mehr im Besitz der Netze wären, aber immer noch den gesamten Kraftwerkspark hätten. Der Kern scheint uns wirklich zu sein, dafür zu sorgen, dass nicht 85 oder noch mehr Kraftwerke bei sehr wenigen Betreibern bleiben, sondern, dass hier eine stärkere Dekonzentration stattfindet.

Kolkmann: Mit anderen Worten, man soll Ihnen welche wegnehmen.

Haucap: Man könnte Ihnen welche wegnehmen, das wird allerdings auch nicht kurzfristig möglich sein, weil es natürlich einen Schutz privaten Eigentums in der Bundesrepublik gibt, und man kann davon ausgehen, dass so ein Verfahren dann bis zum obersten deutschen oder sogar zum Bundesverfassungsgericht oder auch zu europäischen Gerichten durchgefochten wird.

Kolkmann: Das kann natürlich dann Jahre dauern, aber Sie haben schon angedeutet, es geht alles nur auf europäischer Ebene auch was die Netze angeht, das nämlich andere Knotenpunkte eingerichtet werden an den Grenzen, damit andere auch einspeisen können?

Haucap: Das ist auf jeden Fall eine europäische Frage, denn das ist ja, es soll ja ein Binnenmarkt für Strom geschaffen werden, und wenn es um einen europäischen Binnenmarkt geht, den kann natürlich nicht ein Nationalstaat alleine einrichten. Das ist ganz klar eine Frage, die in Brüssel gelöst werden muss oder zumindest in enger Kooperation mit Brüssel. Ich will noch einen Vorschlag vielleicht einbringen, den wir in der Monopolkommission entwickelt haben, der bis jetzt auch noch nicht so in der Diskussion war, das war, wenn wir die Kraftwerke jetzt nicht wegnehmen können, den Betreibern, haben wir vorgeschlagen, das zumindest der Kapazitätsausbau, den Betreibern, den bisher marktbeherrschenden Betreibern, untersagt werden soll, so lange sie nicht dafür sorgen, dass die Staus oder die Engpässe an den Grenzen abgebaut werden. Das heißt, wir haben gesagt, hier muss man mit Zuckerbrot und Peitsche arbeiten in gewisser Weise. Es gibt also als Peitsche den Verbot des Kraftwerksausbau, damit neue Anbieter die Gelegenheit haben, jetzt ihre Kraftwerke zu bauen und diese Peitsche, will ich mal sagen, wird erst wieder davon genommen, als Zuckerbrot wird vorangehalten, also die Belohnung, dass der Kraftwerksbau wieder genehmigt wird, wenn eben die Grenzkuppelstellen von den Netzbetreibern entsprechend ausgebaut werden.