Nicht der beste Reaktortyp, sondern der billigste
Das Anti-Atom-Buch von Lothar Hahn und Joachim Radkau argumentiert vor allem mit der Geschichte der Atomwirtschaft. Die beiden Experten präsentieren Merkwürdigkeiten und Paradoxien, angereichert mit klugen Beobachtungen und Thesen, die man zu diesem Thema so meist nicht gehört hat.
"Selbst schuld" lautet pointiert das Urteil von Joachim Radkau und Lothar Hahn. Die Atomkraft in Deutschland ist nicht an der stetig wachsenden Zahl ihrer Gegner gescheitert, sondern vielmehr an ihren Befürwortern, an den Fehlern ihrer Protagonisten, an den inhärenten Fehlentwicklungen dieses wissenschaftlich-industriellen Komplexes.
Und so ist dieses Buch – eine fortgeschriebene und überarbeitete Neuauflage von Radkaus 1983 erschienenem "Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft" - ein Anti-Atom-Buch geworden, das allerdings nicht mit medizinischen, technischen oder ökologischen Details, sondern vor allem mit der Geschichte argumentiert.
Schon der "Aufstieg" der Atomwirtschaft sei keine Selbstverständlichkeit gewesen, so betonen die Autoren immer wieder: Rein privatwirtschaftlich hätte es keine Atomindustrie in Deutschland gegeben, die großen Energieunternehmen traten in der Anfangszeit sogar eher auf die Bremse – wirklich "gerechnet" haben sich die Atommeiler für die Industrie erst sehr spät. Die Impulse kamen zuerst aus der Wissenschaft, nahmen Ausgang bei den Atomwissenschaftlern um den Physiker Werner Heisenberg, die die Fähigkeit der deutschen Wissenschaft nach dem Krieg auf dem Feld der friedlichen Atomtechnik unter Beweis stellen wollten. Dazu kam die Euphorie um "das friedliche Atom". Wüsten sollte es bewässern und den Polarkreis bewohnbar machen, nichts Geringeres als eine neue industrielle Revolution einläuten. Eine Hype, der heute bizarr erscheint, der, so die Autoren, aber auch vor mancher technischer Hybris heute warnen sollte.
Außerdem erkennen die Autoren in der Geschichte der Atomwirtschaft ein Lehrstück auch für heutige Tage – wenn die Entwicklung von Gesellschaften zu unreflektiert auf bestimmte Pfade gelenkt wird. Die einseitige Fixierung auf eine Energie, die Kernenergie, die frühzeitige Fixierung auf einen Reaktortyp, den Leichtwasserreaktor, habe zu vielen vermeidbaren Fehlentwicklungen geführt, ohne dass die Alternativen jeweils richtig durchleuchtet worden wären.
Sehr gewinnbringend ist die Analyse der Debatte um die "Sicherheit" von Reaktoren. Hier wurde, statt aus den bekannten Störfallen praktische Schlüsse zu ziehen, lieber über die "philosophy of safety design" beraten. Das Konzept des GAUs, des größten anzunehmenden Unfalls, war, so Radkau und Hahn, nie wirklich ein Planspiel für den Ernstfall, sondern eine "bürokratische Fiktion, die einen Reaktor für die Behörden genehmigungsfähig" machte. Sie erkennen hier das Grundmuster. Sicherheit sollte nicht verbessert werden, vielmehr sollte mit dem Stichwort "Sicherheit" immer nur die Funktionsfähigkeit der schon bestehenden Anlagen bekräftigt, Kritik abgewehrt werden.
Der Reaktortyp, der sich durchsetzte, war nicht der Beste, er war der billigste. Weder technische noch ökonomische Rationalität verhalfen der Atomkraft zum Durchbruch. Letztendlich gelang dies nur durch Stilisierung zum "nationalen Interesse", so dass das immense Risiko auf die Gesellschaft abgewälzt werden konnte. Nur so konnten sich die Kraftwerke finanziell lohnen.
Das Buch ist von zwei Kennern geschrieben. Lothar Hahn war unter anderem Vorsitzender der Reaktorsicherheitskommission, Joachim Radkau beschäftigt sich als Historiker seit Jahrzehnten mit dem Thema. Sie liefern, meist nüchtern und sachlich, bisweilen aber bissig und ironisch, viele Details. Bisweilen sind die Autoren aber dabei einen Schritt zu schnell und man hätte zu den technischen Details doch noch gerne ein für Laien verständliche Erklärung.
Was man bei der Lektüre deutlich merkt: Radkau und Hahn sind nicht unbedingt Anhänger der Anti-AKW-Bewegung, sie lehnen die Radikalisierung und Militanz ab. Die Rolle der Proteste auf dem Weg zum Atomausstieg schätzen sie als nicht allzu hoch ein. Vielmehr betonen sie, dass schon ab 1982 kein Kraftwerk mehr bestellt worden sei. Sie waren ökonomisch unrentabel. Es gab Überkapazitäten in der Stromproduktion. Zudem, so die Autoren, hatte man sich technisch verlaufen.
Hier bleibt zu fragen, ob die Autoren in ihrer Betonung und auch Sachkenntnis der immanenten Gründe des Falls, den zivilen Widerstand weiter Teile der Bevölkerung nicht unterschätzen.
Insgesamt aber enthält das Buch ein Fülle an Merkwürdigkeiten und Paradoxien aus der Geschichte der Atomkraft, angereichert mit klugen Beobachtungen und Thesen, die man zu diesem doch lange Zeit breit diskutierten Thema, so meist nicht gehört hat.
Besprochen von Philipp Schnee
Und so ist dieses Buch – eine fortgeschriebene und überarbeitete Neuauflage von Radkaus 1983 erschienenem "Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft" - ein Anti-Atom-Buch geworden, das allerdings nicht mit medizinischen, technischen oder ökologischen Details, sondern vor allem mit der Geschichte argumentiert.
Schon der "Aufstieg" der Atomwirtschaft sei keine Selbstverständlichkeit gewesen, so betonen die Autoren immer wieder: Rein privatwirtschaftlich hätte es keine Atomindustrie in Deutschland gegeben, die großen Energieunternehmen traten in der Anfangszeit sogar eher auf die Bremse – wirklich "gerechnet" haben sich die Atommeiler für die Industrie erst sehr spät. Die Impulse kamen zuerst aus der Wissenschaft, nahmen Ausgang bei den Atomwissenschaftlern um den Physiker Werner Heisenberg, die die Fähigkeit der deutschen Wissenschaft nach dem Krieg auf dem Feld der friedlichen Atomtechnik unter Beweis stellen wollten. Dazu kam die Euphorie um "das friedliche Atom". Wüsten sollte es bewässern und den Polarkreis bewohnbar machen, nichts Geringeres als eine neue industrielle Revolution einläuten. Eine Hype, der heute bizarr erscheint, der, so die Autoren, aber auch vor mancher technischer Hybris heute warnen sollte.
Außerdem erkennen die Autoren in der Geschichte der Atomwirtschaft ein Lehrstück auch für heutige Tage – wenn die Entwicklung von Gesellschaften zu unreflektiert auf bestimmte Pfade gelenkt wird. Die einseitige Fixierung auf eine Energie, die Kernenergie, die frühzeitige Fixierung auf einen Reaktortyp, den Leichtwasserreaktor, habe zu vielen vermeidbaren Fehlentwicklungen geführt, ohne dass die Alternativen jeweils richtig durchleuchtet worden wären.
Sehr gewinnbringend ist die Analyse der Debatte um die "Sicherheit" von Reaktoren. Hier wurde, statt aus den bekannten Störfallen praktische Schlüsse zu ziehen, lieber über die "philosophy of safety design" beraten. Das Konzept des GAUs, des größten anzunehmenden Unfalls, war, so Radkau und Hahn, nie wirklich ein Planspiel für den Ernstfall, sondern eine "bürokratische Fiktion, die einen Reaktor für die Behörden genehmigungsfähig" machte. Sie erkennen hier das Grundmuster. Sicherheit sollte nicht verbessert werden, vielmehr sollte mit dem Stichwort "Sicherheit" immer nur die Funktionsfähigkeit der schon bestehenden Anlagen bekräftigt, Kritik abgewehrt werden.
Der Reaktortyp, der sich durchsetzte, war nicht der Beste, er war der billigste. Weder technische noch ökonomische Rationalität verhalfen der Atomkraft zum Durchbruch. Letztendlich gelang dies nur durch Stilisierung zum "nationalen Interesse", so dass das immense Risiko auf die Gesellschaft abgewälzt werden konnte. Nur so konnten sich die Kraftwerke finanziell lohnen.
Das Buch ist von zwei Kennern geschrieben. Lothar Hahn war unter anderem Vorsitzender der Reaktorsicherheitskommission, Joachim Radkau beschäftigt sich als Historiker seit Jahrzehnten mit dem Thema. Sie liefern, meist nüchtern und sachlich, bisweilen aber bissig und ironisch, viele Details. Bisweilen sind die Autoren aber dabei einen Schritt zu schnell und man hätte zu den technischen Details doch noch gerne ein für Laien verständliche Erklärung.
Was man bei der Lektüre deutlich merkt: Radkau und Hahn sind nicht unbedingt Anhänger der Anti-AKW-Bewegung, sie lehnen die Radikalisierung und Militanz ab. Die Rolle der Proteste auf dem Weg zum Atomausstieg schätzen sie als nicht allzu hoch ein. Vielmehr betonen sie, dass schon ab 1982 kein Kraftwerk mehr bestellt worden sei. Sie waren ökonomisch unrentabel. Es gab Überkapazitäten in der Stromproduktion. Zudem, so die Autoren, hatte man sich technisch verlaufen.
Hier bleibt zu fragen, ob die Autoren in ihrer Betonung und auch Sachkenntnis der immanenten Gründe des Falls, den zivilen Widerstand weiter Teile der Bevölkerung nicht unterschätzen.
Insgesamt aber enthält das Buch ein Fülle an Merkwürdigkeiten und Paradoxien aus der Geschichte der Atomkraft, angereichert mit klugen Beobachtungen und Thesen, die man zu diesem doch lange Zeit breit diskutierten Thema, so meist nicht gehört hat.
Besprochen von Philipp Schnee
Lothar Hahn, Joachim Radkau: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft
oekom Verlag, München 2013
413 Seiten, 24,95 Euro
oekom Verlag, München 2013
413 Seiten, 24,95 Euro
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