Nicht immer politisch korrekt

Mit "Political Correctness" ist das so eine Sache: Schützt ein Redner eine Person oder eine Gruppe, indem er politisch korrekte Begriffe verwendet? Oder macht er seinen Gegner damit mundtot? "In Anführungszeichen. Glanz und Elend der Political Correctness" kann gegenüber absurden "PC"-Forderungen für die nötige Gelassenheit sorgen.
"Political Correctness" ist eine Schlagwort. Und ein Sensibilisierungsinstrument. Man kann jemanden damit mundtot machen oder einer moralischen Idee zur Geltung verhelfen. Obwohl der Begriff schon gut 200 Jahre alt ist, begann seine flächendeckende Ausbreitung erst in den 1990er-Jahren. Damals "schaltete der Weltgeist in den Leerlauf" - so die beiden österreichischen Journalisten Matthias Dusini und Thomas Edlinger. Die Wegweisungen alter politischer Verhältnisse waren zweifelhaft geworden, es gab Freiraum für neue.

"In Anführungszeichen. Glanz und Elend der Political Correctness", heißt das kleine, kompakte Bändchen der beiden Autoren. Es ist eine spielerische Kulturgeschichte der Political Correctness, differenziert, kenntnisreich und originell. Die Autoren bieten eine Bestandsaufnahme des Phänomens und seiner Wirkungen. Sie definieren Political Correctness, kurz PC genannt, vor allem als Kampf um Anerkennung in einem demokratischen Gemeinwesen. Sie kommen zu dem Schluss, "dass dieser Prozess des vielfältigen und teils pathologischen Kampfes um Anerkennung per se nicht abschließbar ist".

PC also sehen sie als dynamischen Prozess, als permanente Auseinandersetzung verschiedener gesellschaftlicher Interessen. Dabei verweisen sie auch auf die Möglichkeit der Instrumentalisierung der PC, auf Auswüchse eines an sich zutiefst demokratischen Konzeptes, das Verletzungen benachteiligter Mitglieder einer Gemeinschaft durch Sprache oder Handlungen vermeiden möchte.

Auf knapp dreihundert Seiten durchleuchten Dusini und Edlinger den Kampf um diesen utopischen Idealzustand aus allen nur denkbaren Perspektiven, untersuchen ihn als soziale Praxis, deuten ihn psychologisch und historisch.

Am Beginn steht ein Rückblick auf die gesellschaftlichen Aufbruchsbewegungen der 1960er und 70er Jahre. Afroamerikaner, Frauen, Homosexuelle, Dritte-Welt-Länder reklamierten damals "einen politischen Opferstatus".

Aus Negern beispielsweise wurden Schwarze, aus Schwarzen Afroamerikaner - die sich Jahrzehnte später im HipHop wieder als Nigger stilisierten. Was dann als Kult galt. Politische Correctness, das wird an zahlreichen Beispielen verdeutlicht, unterliegt Zeitströmungen und ist an sich ambivalent. Je nach politischer Großwetterlage und gesellschaftlichem Klima kann PC von etwas positiv Absichtsvollem zu etwas Pathologischem werden. Wer zum Beispiel Zigeuner vermeidet und stattdessen von Sinti und Roma spricht, ist auf der Höhe der Zeit - nur müsste dann nicht auch auf den Speisekarten ein Sintischnitzel angeboten werden? Eine Romasoße?

Wie weit und von wem die PC getrieben wird, hängt für Dusini und Edlinger von der Selbstachtung der Privilegierten und dem Narzissmus derjenigen ab, die sich als gesellschaftlich Benachteiligte begreifen - auch wenn sie es objektiv nicht unbedingt sind, zum Beispiel die "Opfersolidarsprecher", die PC zum bloßen Ritual entwerten.

Im unreflektierten Narzissmus sehen die Autoren den Nährboden dafür, dass Political Correctness, ursprünglich als Regulativ durchaus berechtigt, ins Unsinnige gesteigert wird. Ihr Buch kann gegenüber absurden Forderungen der PC für die nötige Gelassenheit sorgen.

Von Carsten Hueck

Matthias Dusini und Thomas Edlinger: "In Anführungszeichen. Glanz und Elend der Political Correctness"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
297 Seiten, 16,00 Euro