Psychotherapeut Thorsten Padberg über Depressionen

"Nicht jedes psychische Problem ist gleich eine Krankheit"

29:44 Minuten
Alles verschwommen, grau und trüb: Ein mittelalter Mann mit schütterem Haar stützt den Kopf in seine Hände. So wie auf einem Symbolbild fühlt sich für viele Betroffene Depression an.
Alles verschwommen, grau und trüb: So wie auf diesem Symbolbild fühlt sich für viele Betroffene Depression an. © imago images/Richard Wareham
Moderation: Patrick Garber |
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Depressionen gelten als Volkskrankheit: Immer mehr Menschen werden wegen psychischer Leiden krankgeschrieben, benötigen Therapien oder Psychopharmaka. Der Psychotherapeut Thorsten Padberg sieht manches an unserem Umgang mit Depressionen kritisch.
Was ist eine Depression? Für den Psychotherapeuten und Buchautor Thorsten Padberg keine einfache Frage. Es gebe Hunderte von unterschiedlichen Erscheinungsformen dieses Leidens. Die Diagnose „Depression“ sei so unscharf, dass der Begriff zumindest für Fachleute wenig hilfreich sei.
Und er geht noch weiter: „Es gibt immer mehr Menschen, die sich fragen, ob das eine gute Idee ist, das auch als Krankheit zu bezeichnen.“ Nicht jedes Problem, das die Psyche belaste, sei gleichzeitig eine Krankheit.

Wann wird Trauer zu einer Krankheit?

Denn die Abgrenzung einer krankhaften Depression von einer angemessenen Reaktion auf äußere Belastungen sei oft schwierig. So sei es ganz normal, den Tod eines geliebten Menschen zu betrauern, doch das maßgebliche diagnostische Handbuch DSM lege fest, dass bereits eine Trauerzeit von mehr als zwei Wochen ein psychisches Problem anzeige.
Thorsten Padberg, Autor des Buchs „Die Depressions-Falle – Wie wir Menschen für krank erklären, statt ihnen zu helfen“, hält solche Festlegungen für fragwürdig. Denn dadurch werde der Einfluss äußerer Faktoren auf depressives Leiden häufig „vollkommen unterbelichtet“.
So werde die Diagnose „Depression“ auffallend oft bei berufstätigen alleinerziehenden Müttern gestellt. Das werfe die Frage auf, „ob die jetzt zufällig alle krank werden oder ob da möglicherweise ein systemischer Grund dahinter steckt“. Es könne aber nicht funktionieren, gesellschaftliche Probleme wie prekäre Arbeitsverhältnisse oder mangende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder durch Psychotherapie oder Medikamente lösen zu wollen.

Depressionen haben keine biologischen Grundlagen

Die massenhafte Verschreibung von Psychopharmaka gegen Depressionen stellt Thorsten Padberg ohnehin infrage. So habe die Forschung mittlerweile erwiesen, dass Depressionen nicht durch Stoffwechselstörungen im Gehirn oder genetische Disposition ausgelöst werden. „Wir haben diese biologischen Grundlagen nicht."
Darum sei die Wirksamkeit von Antidepressiva, die in den Stoffwechsel im Gehirn eingreifen, nicht viel höher als die von Placebos, also Pillen ohne Wirkstoffe. Dafür hätten Antidepressiva aber häufig erhebliche Nebenwirkungen. Und sie abzusetzen könne massive Entzugserscheinungen auslösen, die oft unterschätzt würden.

Antidepressiva „sind Krücken“

Dennoch hält Padberg Psychopharmaka in Kombination mit Psychotherapie durchaus für sinnvoll. Aber man müsse sich darüber im Klaren sein: „Sie sind Krücken." Und sie einzunehmen habe einen Preis, über den Behandelnde ihre Patienten aufklären müssten, um abwägen zu können, ob der mögliche Nutzen der Antidepressiva deren negative Effekte überwiege.
Auf die Dauer wirke aber Psychotherapie besser gegen Depressionen als die Gabe von Medikamenten, sagt Thorsten Padberg. Denn Psychotherapie gebe den Menschen etwas mit, „was sie langfristig in ihrem Leben gebrauchen können, um sich selbst zu helfen“.

Thorsten Padberg, Jahrgang 1969, arbeitet als Psychotherapeut in Berlin. Bekannt wurde er durch den Podcast "Therapieland" von Deutschlandfunk Kultur, der mit dem Deutschen Sozialpreis 2020 ausgezeichnet wurde. Seine Texte erschienen unter anderem in "Psychologie heute" und im "Zeit-Magazin". Zum Thema Depressionen hat er 2021 das Buch "Die Depressions-Falle. Wie wir Menschen für krank erklären, statt ihnen zu helfen" (Verlag S. Fischer) veröffentlicht.

(pag)
Die Erstausstrahlung der Sendung war am 19. Februar 2022.  

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