"Nicht Kreativität, das Denken ist entscheidend"
2012 steht im Münchner Haus der Kunst ganz unter dem Zeichen des Jubiläums, sagte Okwui Enwezor bei der Jahrespressekonferenz vor einer Heerschar gespannter Journalisten. Vor 75 Jahren, 1937, wurde das Haus von den Nationalsozialisten eröffnet.
Vor 20 Jahren wurde es in eine halb öffentliche, halb private Stiftung umgewandelt, die neue Wege als Kunstinstitution beschritt. Und auf den Tag genau ein Jahr war es bei der Pressekonferenz, dass Okwui Enwezor als neuer Direktor des Hauses eingeführt wurde. So lange hat es gedauert, bis er das erste Mal bereit war, über seine Visionen für seine Amtszeit als Direktor zu sprechen – vom weiteren Umbau des Hauses über den neuen visuellen Auftritt bis zu seinen Ausstellungsplänen.
"Ich möchte eine Institution entstehen lassen, die auf drei eng miteinander verbundenen Säulen beruht und zwar auf Ausstellung, Forschung und Bildung. Ich möchte die Möglichkeiten bereitstellen, um eine überzeugende Institution wachsen zu lassen mit vielen Publikationen und öffentlichen Programmen. Kurz: Wenn Chris Dercons Fokus auf der kritischen Rekonstruktion des Hauses lag, liegt mein Fokus auf der Konstruktion einer reflexiven Institution."
Es ist ein völlig anderer Ton als der seines umtriebigen Vorgängers Chris Dercon, den der in Nigeria aufgewachsene und seit 30 Jahren in New York lebende Okwui Enwezor anschlägt. Weniger als Impressario gesellschaftlicher Großevents wie die Paul McCarthy oder die Ai Weiwei Ausstellung sieht sich Enwezor. Ihm geht es vielmehr darum, einen klaren, sachlichen, analytischen Raum zu schaffen, in dem die Künstler sich und ihre Kunst entfalten können. Entsprechend wird er den Schwerpunkt erst einmal auf die kritische Auseinandersetzung mit dem Erbe legen, das er angetreten hat:
"Ich denke, man muss sich zuerst einmal bewusst machen, wie sich das Haus der Kunst in den vergangenen 75 Jahren entwickelt hat. Im Sommer 2012 begehen wir den 75. Jahrestag der Eröffnung des Hauses der Kunst 1937. Das ist natürlich kein Anlass zum Feiern, sondern zum Nachdenken. Deswegen wird es eine Ausstellung geben, die umfassende Überlegungen und einen Überblick zum Erbe des Hauses präsentiert. Anfang 2013 wird eine Dauerausstellung dieser Dokumente eingerichtet werden. So wollen wir das Haus der Kunst in seiner Geschichte und seinen Kontexten, in München, in Deutschland und in der Welt begreifen."
Die erste von ihm selbst kuratierte Ausstellung wird Okwui Enwezor Ende November präsentieren: Eine große, umfassende Monographie mit einem reichen Begleitprogramm an Filmen, Konzerten und Künstlergesprächen über das unabhängige Münchner Plattenlabel ECM (Edition of Contemporary Music). Daran kann man sein Verständnis als Kunstkurator sehr gut nachvollziehen: Ein erweitertes Kunstverständnis, das von der Malerei über Fotografie bis zur Soundart und Musik reicht. Und ein Interesse an der lokalen Verwurzelung mit gleichzeitiger Öffnung in die Welt, so wie ECM von Anfang an über den Free Jazz auch eine Brücke zur schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA schlug. Vor allem mit der gründlichen Vorbereitung seiner Neuerfindung des Hauses der Kunst hat es zu tun, dass es bis zu seiner ersten Ausstellung noch so lange dauert. Und keineswegs damit, dass er dieses Jahr auch noch für die Triennale in Paris verantwortlich und viel auf Reisen ist, wie er betonte:
""Ich reise nicht aus schierer Wanderlust, sondern aus der Notwendigkeit heraus, dass ich mich mit der Tatsache auseinandersetzen muss, dass das Feld der zeitgenössischen Kunst global ist. In meiner Heimat Nigeria gibt es ein Sprichwort: Wenn du dir einen Maskenumzug angucken willst, warte nicht, bis der Umzug zu dir kommt. In diesem Sinne dient meine Arbeit bei der Triennale in Paris meiner Arbeit am Haus der Kunst in München und vice versa."
Es ist ein weiter Weg, den Okwui Enwezor von seiner Kindheit in Nigeria über sein Literatur- und Politikstudium in New York und seine globale Kuratorentätigkeit bis ins Münchner Haus der Kunst zurückgelegt hat. Schließlich war ihm die Beschäftigung mit moderner oder gar zeitgenössischer Kunst keineswegs in die nigerianische Wiege gelegt, wie er erzählt:
"Die zwei wertvollsten Dinge, die ich als Junge in Nigeria besaß, waren zwei Bibliotheksausweise. Als Teenager hatte ich eine Freundin, die wir Picasso nannten. Fragen Sie mich nicht warum, keine Ahnung. Wir dachten einfach nur, sie sei eine große Künstlerin. Ich wusste nicht einmal wirklich, wer Picasso war. Ich hatte noch nie ein echtes Bild von Picasso gesehen, höchstens vielleicht mal eine Reproduktion. Ich wuchs in dem Bewusstsein auf, dass nicht Kreativität, sondern das Denken entscheidend ist: Wenn man fähig ist zu denken, kann man es mit der Welt aufnehmen."
Der 1963 geborene Okwui Enwezor ist ein Intellektueller des postkolonialen Afrikas mit einem immensen Horizont – per se für München eine große Bereicherung. Aber auch wenn er immer wieder betont, wie herzlich und gastfreundlich er in Deutschland aufgenommen worden sei – die Jahrespressekonferenz im Münchner Haus der Kunst war eher geprägt von der Haltung eines höflich distanzierten bis skeptischen Beschnupperns. Es wird sich zeigen, ob das Münchner Publikum mit seinem Faible für gesellschaftliche Großereignisse – wohl ein Erbe der einstigen Residenzstadt und ihres Hofstaates – mit dem neuen, kosmopolitischen und intellektuell anspruchsvollen Direktor wächst. Leicht wird es für Enwezor sicher nicht werden. Aber das war es für seinen Vorgänger Chris Dercon anfangs auch nicht.
"Ich möchte eine Institution entstehen lassen, die auf drei eng miteinander verbundenen Säulen beruht und zwar auf Ausstellung, Forschung und Bildung. Ich möchte die Möglichkeiten bereitstellen, um eine überzeugende Institution wachsen zu lassen mit vielen Publikationen und öffentlichen Programmen. Kurz: Wenn Chris Dercons Fokus auf der kritischen Rekonstruktion des Hauses lag, liegt mein Fokus auf der Konstruktion einer reflexiven Institution."
Es ist ein völlig anderer Ton als der seines umtriebigen Vorgängers Chris Dercon, den der in Nigeria aufgewachsene und seit 30 Jahren in New York lebende Okwui Enwezor anschlägt. Weniger als Impressario gesellschaftlicher Großevents wie die Paul McCarthy oder die Ai Weiwei Ausstellung sieht sich Enwezor. Ihm geht es vielmehr darum, einen klaren, sachlichen, analytischen Raum zu schaffen, in dem die Künstler sich und ihre Kunst entfalten können. Entsprechend wird er den Schwerpunkt erst einmal auf die kritische Auseinandersetzung mit dem Erbe legen, das er angetreten hat:
"Ich denke, man muss sich zuerst einmal bewusst machen, wie sich das Haus der Kunst in den vergangenen 75 Jahren entwickelt hat. Im Sommer 2012 begehen wir den 75. Jahrestag der Eröffnung des Hauses der Kunst 1937. Das ist natürlich kein Anlass zum Feiern, sondern zum Nachdenken. Deswegen wird es eine Ausstellung geben, die umfassende Überlegungen und einen Überblick zum Erbe des Hauses präsentiert. Anfang 2013 wird eine Dauerausstellung dieser Dokumente eingerichtet werden. So wollen wir das Haus der Kunst in seiner Geschichte und seinen Kontexten, in München, in Deutschland und in der Welt begreifen."
Die erste von ihm selbst kuratierte Ausstellung wird Okwui Enwezor Ende November präsentieren: Eine große, umfassende Monographie mit einem reichen Begleitprogramm an Filmen, Konzerten und Künstlergesprächen über das unabhängige Münchner Plattenlabel ECM (Edition of Contemporary Music). Daran kann man sein Verständnis als Kunstkurator sehr gut nachvollziehen: Ein erweitertes Kunstverständnis, das von der Malerei über Fotografie bis zur Soundart und Musik reicht. Und ein Interesse an der lokalen Verwurzelung mit gleichzeitiger Öffnung in die Welt, so wie ECM von Anfang an über den Free Jazz auch eine Brücke zur schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA schlug. Vor allem mit der gründlichen Vorbereitung seiner Neuerfindung des Hauses der Kunst hat es zu tun, dass es bis zu seiner ersten Ausstellung noch so lange dauert. Und keineswegs damit, dass er dieses Jahr auch noch für die Triennale in Paris verantwortlich und viel auf Reisen ist, wie er betonte:
""Ich reise nicht aus schierer Wanderlust, sondern aus der Notwendigkeit heraus, dass ich mich mit der Tatsache auseinandersetzen muss, dass das Feld der zeitgenössischen Kunst global ist. In meiner Heimat Nigeria gibt es ein Sprichwort: Wenn du dir einen Maskenumzug angucken willst, warte nicht, bis der Umzug zu dir kommt. In diesem Sinne dient meine Arbeit bei der Triennale in Paris meiner Arbeit am Haus der Kunst in München und vice versa."
Es ist ein weiter Weg, den Okwui Enwezor von seiner Kindheit in Nigeria über sein Literatur- und Politikstudium in New York und seine globale Kuratorentätigkeit bis ins Münchner Haus der Kunst zurückgelegt hat. Schließlich war ihm die Beschäftigung mit moderner oder gar zeitgenössischer Kunst keineswegs in die nigerianische Wiege gelegt, wie er erzählt:
"Die zwei wertvollsten Dinge, die ich als Junge in Nigeria besaß, waren zwei Bibliotheksausweise. Als Teenager hatte ich eine Freundin, die wir Picasso nannten. Fragen Sie mich nicht warum, keine Ahnung. Wir dachten einfach nur, sie sei eine große Künstlerin. Ich wusste nicht einmal wirklich, wer Picasso war. Ich hatte noch nie ein echtes Bild von Picasso gesehen, höchstens vielleicht mal eine Reproduktion. Ich wuchs in dem Bewusstsein auf, dass nicht Kreativität, sondern das Denken entscheidend ist: Wenn man fähig ist zu denken, kann man es mit der Welt aufnehmen."
Der 1963 geborene Okwui Enwezor ist ein Intellektueller des postkolonialen Afrikas mit einem immensen Horizont – per se für München eine große Bereicherung. Aber auch wenn er immer wieder betont, wie herzlich und gastfreundlich er in Deutschland aufgenommen worden sei – die Jahrespressekonferenz im Münchner Haus der Kunst war eher geprägt von der Haltung eines höflich distanzierten bis skeptischen Beschnupperns. Es wird sich zeigen, ob das Münchner Publikum mit seinem Faible für gesellschaftliche Großereignisse – wohl ein Erbe der einstigen Residenzstadt und ihres Hofstaates – mit dem neuen, kosmopolitischen und intellektuell anspruchsvollen Direktor wächst. Leicht wird es für Enwezor sicher nicht werden. Aber das war es für seinen Vorgänger Chris Dercon anfangs auch nicht.