Ringen um ein neues Männerbild
Nach Jahrzehnten weiblicher Emanzipation wird es Zeit, die Männer und Jungen zu stärken - das verlangt die deutsche Männerbewegung. Andreas Baum hat einen Männerkongress besucht, war rechtsradikalen Tendenzen auf der Spur und hat mit einem Therapeuten gesprochen.
Gerd Riedmeier: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in 100 Jahren noch eine reine Frauenpolitik geben wird. Der alleinige Blick auf die Bedürfnisse von Frauen, das wird sich in ein paar Jahren überlebt haben."
Claus John: "Wir leugnen auf keinen Fall die Diskriminierung der Frauen, die ja existiert, aber wir wollen auch dass die Diskriminierung der Männer überhaupt wahrgenommen wird. Und das sehen wir leider nicht in der deutschen Gesellschaft."
Thomas Hölscher: "Wir haben eine Männerbewegung. Wir brauchen die aber sicherlich anders, als die Frauen. Weil ich denke, dass es ein bisschen merkwürdig klingt, wenn wir für Männerrechte eintreten. Es ist aber sinnvoll, sich für Männlichkeit einzusetzen."
Moment mal: Männer werden diskriminiert? Und müssen lernen, für ihre Rechte zu kämpfen? In einer Männerbewegung? Dieser Gedanke, ganz ehrlich, ist mir sehr unangenehm.
Claus John: "Wir sind ja eher noch auf der Suche. Die Frauen haben ihre Rolle schon gefunden. Wir müssen aber noch mehr an uns arbeiten. Und wir sind auch meines Erachtens selber schuld, dass unsere Diskriminierung noch nicht so weit gesehen wird. Deswegen haben wir auch diesen Kongress gemacht, dass das auch öffentlich wahrgenommen wird."
Ein Männerkongress, zu dem auch Frauen gekommen sind
Ein Kongress – von Männern für Männer? Ich bin dreimal gefragt worden, und zwar jedes Mal von Kolleginnen, ob ich eigentlich aus privaten Gründen auf diesen Männerkongress fahre. Und ob ich das eigentlich nötig habe. Oder ob ich glaube, benachteiligt zu sein. Nein, habe ich gesagt: Ich bin doch kein Opfer. Das ist rein beruflich. Ich schau mir das an. Danach erzähl‘ ich was darüber. Im Radio.
Was unterscheidet eigentlich die Männerbewegung von einer Bewegung für Geschlechtergerechtigkeit? Für Männer und Frauen? Gibt es sie überhaupt, diese Männerbewegung? Und: Was genau ist Männlichkeit? Um darauf Antworten zu finden, bin ich zum sogenannten Genderkongress gefahren. Nach Nürnberg. Ende November. In der Meistersinger-Halle. Pünktlich um neun war ich da.
"So Herr Baum, schaun’s mal. Da ist jetzt jemand da, dann können’s gleich des so anschließen wie sie’s brauchen. – Noch besser – ja – ich hoff, dass passt, ne, ja na klar. – Dankeschön! – Ja. Das ma ein g’scheiten Ton ham …"
Alle auf dem Kongress sind wahnsinnig freundlich zu mir. Kein Wunder: Journalisten drängeln sich nicht gerade darum, dabei zu sein. Es gab Probleme, schon im Vorfeld, und den Vorwurf, hier träfen sich nur gestrige Frauenfeinde und Vertreter eines konservativen Familienbildes. Ein bereits zugesagter Veranstaltungsort wurde wieder abgesagt. Dann wurde doch ein Raum gefunden, in der Meistersinger-Halle, in Nürnberg ist das eine gute Adresse. Vor der Tür steht ein Mann mit Knopf im Ohr: Security. Für alle Fälle. Für mich ist ein Platz reserviert, ganz vorn, mit Namensschildchen -– aber ich setze mich lieber nach hinten– und versuche, nicht aufzufallen. Dann geht’s los.
"Ja, liebe Engagierte. Sehr verehrte Teilnehmer und Mitwirkende. Ich heiße Sie sehr herzlich zum deutschen Genderkongress in Nürnberg willkommen. Mein Name ist Andreas Kraußer. Ich bin Vertreter einer der teilnehmenden Vereine. Dazu später mehr. Besonders begrüße ich die Vertreter aus der Politik und den Medien. Und vor allem begrüße ich die vielen Frauen sehr herzlich, die mit ihrer Präsenz alleine schon ihre Empathie auch für Männer ausdrücken."
Plötzlich ertappe ich mich dabei, erleichtert zu sein, weil ich höre, dass auch Frauen da sind. Ich drehe mich um. Tatsächlich: 200 Männer, und, ich schätze mal, 40 Frauen. Sogar ein paar Kinder sehe ich. Andreas Kraußer:
"Dieser Kongress versteht sich zwar…"
Zwischenrufe: Näher ans Mikro!
Genau: Lauter sprechen. Sichtbar werden, hörbar werden. Das gehört ja wohl dazu, zur Emanzipation. Also, Andreas Kraußer, gleich nochmal:
"Dieser Kongress versteht sich zwar als Fortführung des Väterkongresses 2013 in Karlsruhe. Er erweitert jedoch das Themenspektrum. Es geht heute um den Diskurs über die gesamte geschlechter- und familienpolitische Palette hinweg."
Das beruhigt mich ungemein. Es ist also doch kein reiner Männerkongress. Ich lerne allerdings: Der Kern der deutschen Männerbewegung ist die Väterbewegung – Männer, die nach der Trennung von ihren Familien um ihre Kinder kämpfen müssen. Claus John:
"Ich habe das Väternetzwerk in der Region Nürnberg gegründet, vor zwei Jahren. Und wir setzen uns ein in erster Linie für getrennte Väter, die nach der Trennung ihre Kinder kaum noch sehen können, diskriminiert werden von Jugendämtern und von Familiengerichten, für uns ist es schon die Diskriminierung, wenn über 90 Prozent der Kinder nach einer Trennung immer noch zu den Müttern gehen, also die Rechte dort die Mütter bekommen und die Väter außen vor sind."
Nach der Trennung fühlen sich viele Väter auf Hilfe angewiesen
Zu Claus John kommen Männer, wenn es eigentlich zu spät ist. Wenn die Kinder bereits entzogen und entfremdet sind, wenn das Geld für Anwälte und Unterhaltszahlungen aufgebraucht ist, wenn die Väter kein Licht mehr sehen am Ende des Tunnels. Ihr Eingeständnis, hilfebedürftig zu sein, ist auch eine Kapitulation. Und öffnet sie für neue Ideen – für manche zum ersten Mal in ihrem Leben.
"Wir wollen kein Väterbild der 50er Jahre oder noch weiter zurück, wir wollen aktive Väter, so sehen wir uns auch. Dass wir auch fähig sind und wichtig sind, Kinder zu erziehen, das wird uns ja wissenschaftlich schon seit vielen Jahren belegt, dass wir nicht emotionale Krüppel sind und dass wir durchaus schon zu Kleinkindern schon emotionale Bindungen, genauso wie Mütter aufbauen können. Das ist unsere Arbeit. Und eben ablegen dieses: wir sind nur Männer, wenn wir viel verdienen, ein tolles Auto haben, ein Haus vorlegen."
Männer, die klaglos arbeiten gehen, sich den Kindern entfremden lassen und mit ihrer Karriere zufrieden geben, sind Claus John zufolge also schon heute ein Relikt der Vergangenheit.
Wenn sie nur nicht so spät um Hilfe bitten würden. Die Funktionäre der Männerbewegung sähen die Väter am liebsten noch viel früher in den Beratungsstellen. Am besten kämen sie, bevor sie Väter werden. Das aber tun sie nicht. Andreas Kraußer:
"Und das ist auch insofern ein Problem, als diese Männer erst aktiv werden, die gesellschaftliche Schieflage erst wahrnehmen, wenn bei ihnen selbst das Dach brennt."
Andreas Kraußer von "Manndat", einer, wie sie sich selbst nennt, überparteilichen und unabhängigen Interessenvertretung für Männer und Jungen. Männer, sagt er, und da klingt er wie die Feministinnen der siebziger Jahre, sind zu bequem.
"Vorher glauben sie noch, unangreifbar zu sein, oder glauben fälschlicherweise, es sei alles was die Geschlechter anbetrifft und im Familienrecht im Großen und Ganzen in Ordnung. Dann die schmutzige Scheidung, Frau zieht aus, Wohnung ist leergeräumt, Kinder sind verschwunden, Unterhaltsklage. Dann fallen sie aus allen Wolken, das kann doch nicht angehen, und dann laufen bei uns die E-Mail-Postfächer über und aus dem Fax quellen Scheidungsurteile, womit wir gar nichts anfangen können. Also was wir eher bräuchten und was wie eher anstreben, ist ein gleichmäßiges politisches Engagement, das nicht so sehr von persönlichen Erlebnissen geprägt ist."
Das also ist es: Raus aus der Opferrolle, nicht immer nur auf den eigenen Bauchnabel schauen. Sich als modernes politisches Wesen verstehen: Klingt für mich sehr nach Frauenbewegung.
"Die Menschen zur Freiheit bringen, das heißt, sie zum miteinander reden bringen."
Der da jetzt redet, und gerade den Philosophen Karl Jaspers zitiert hat, ist Gerd Riedmeier, der erste Vorsitzende des Forums Soziale Inklusion. Kein Männerverband, das ist ihm wichtig, sondern einer für alle. Wir blicken auf die Bedürfnisse von Mädchen, von Frauen, von Müttern, sagt Riedmeier. Aber eben auch auf die Bedürfnisse von Jungen, Männern und Vätern.
"Das ist das worüber ich mich freue, dass wir miteinander reden können. Nicht so wie wenn draußen vor der Tür irgendwie skandaliert wird, sondern dass man zuhören kann, miteinander reden kann."
Wie bitte? Vor der Tür ist was los? Ausschreitungen, während ich hier ahnungslos sitze und mitschneide? Tatsächlich. Ich also nichts wie raus, ins Foyer. Da vorne steht, neben dem Security-Mann, Klaus Jürgen Bär, ein Nürnberger Lokalpolitiker – der Linkspartei. Es ist aber offenbar schon alles vorbei. Stehtische sind umgeworfen, Papiere liegen auf dem Boden.
"Ich bin Andreas Baum Deutschlandradio Kultur, Hallo. – Hallo – ich mache einen Beitrag über diese Veranstaltung. Ich wollte Sie fragen, Sie haben doch gerade hier mitbekommen, die Protestierer, ob Sie mir kurz schildern können, was da vorgefallen ist?
"Es gab nur eine Gruppe von jungen Menschen, hauptsächlich Frauen, die gerne am Kongress teilgenommen hätten. Aber sie wollten sich nicht registrieren lassen, haben dann sich nochmal beraten, schlussendlich sind sie dann rausgegangen, haben die Tische abgeräumt."
"Also, die haben hier diese Blätter von den Tischen geschoben?"
"Richtig, ja, runtergeschoben!"
Die Störerinnen und Störer, zehn Frauen und zwei Männer, hatten den Kongress für eine Versammlung von Reaktionären und Frauenfeinden gehalten – als sie freundlich gebeten wurden, sich zu namentlich einzutragen und offiziell mitzumachen, warfen sie zwei Infotische um und zogen ab. Damit hat sich der Protest erst einmal erledigt.
Ab 13 Uhr isst der Kongress: Nudeln mit Schinken oder vegetarischen Lauch-Kartoffel-Auflauf. Viele kennen sich von alten Kämpfen, der Termin in Nürnberg ist auch eine Art Klassentreffen der Männerbewegung.
Friedrich-Ebert-Stiftung ist skeptisch
Aber was genau wird denn nun an der Männerbewegung kritisiert? Stimmt es denn, dass sie konservativ ist, gar frauenfeindlich? Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung schreibt über sie:
"Im Laufe des letzten Jahrzehnts hat vor allem im deutschsprachigen Raum eine antifeministische Bewegung von sich Reden gemacht. Diese Szene wirft einem vermeintlich omnipräsenten "Staatsfeminismus" vor, Männer und Männlichkeit zu unterdrücken. Sie schließt an die Väterrechtsbewegung an, ist aber deutlich ideologisierter und stärker in der rechten Szene bzw. Ideologie verankert."
Ich kann übrigens, seit ich auf dem Genderkongress bin, diese Kritik gut verstehen. Tatsächlich ist da zum Beispiel dieser kleine aufgeregte Mann mit dem AfD-Sticker am Revers, der blaue Flugblätter verteilt, auf denen gegen "Gender-Wahn" protestiert wird. Der mich Journalist erkennt und mir gleich vorwirft, mein Sender betreibe "Gender-Mainstreaming."
Es gibt einen Teil der Männerbewegung, der nicht zum Kongress in Nürnberg gekommen ist. Das Bundesforum Männer, ein Verband, der vom Bundesfamilienministerium finanziert wird – aber auf seine Unabhängigkeit pocht: Ob nun das Bundesforum nicht eingeladen war oder trotz Einladung nicht gekommen ist – da gibt es widersprüchliche Darstellungen.
"Guten Tag, mein Name ist Baum." –
"Hallo, Schölper mein Name, haben Sie‘s gut gefunden?"
Dag Schölper vom Bundesforum Männer - ist ein Mann. Und ich habe für einen kurzen Moment gedacht, dass ich es mit einer Frau zu tun habe, weil Dag klingt, wie die Kurzform von Dagmar.
"Tatsächlich ist diese Verwechslung, ist es jetzt ein Mann oder eine Frau auch manchmal hilfreich. Bei unserem Themenfeld ist das ganz schön, dass das nicht so ganz klar ist. Das öffnet manchmal Türen. Gerade in Kooperation auch mit Frauenorganisationen hat das schon mal geholfen: Ach so, ja, stimmt, Sie sind ein Mann und war trotzdem ganz ok was Sie geschrieben haben."
Bundesforum warnt vor rechtsradikalen Tendenzen
In Nürnberg bin ich vor dem Bundesforum Männer gewarnt worden. Dag Schölper und die Seinen seien quasi bezahlte Büttel der Bundesregierung. Deshalb frage ich Dag Schölper rundheraus, ob es wirklich Versuche der Rechten und Reaktionären gibt, die Männerbewegung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren?
"Ja, unbedingt. Also es gibt diese Instrumentalisierung einer traditionellen Männlichkeitsvorstellung, ganz klar zu beobachten in Reihen der AfD, die sehr stark auf ein eher archaisches, kämpferisches Männlichkeitsbild setzt, und davon grenzen wir uns natürlich ab und sehen da schon Verschränkungen mit rechtskonservativen oder bis hin auch zu rechtspopulistischen Bestrebungen, die uns überhaupt nicht gefallen."
Mit denen aber, und kaum ein Punkt ist mir so klar gemacht worden wie dieser, will man bei den Veranstaltern des Genderkongresses in Nürnberg nichts zu tun haben. Alle distanzieren sich, angefangen bei Gerd Riedmeier.
"Die ganze Geschlechterdebatte ist aus dem Ruder gelaufen. Sie erscheint nur noch ideologisiert, es wird nicht mehr miteinander gesprochen, sondern es werden Feindbilder aufgebaut. es wird nicht miteinander gesprochen und auf die Inhalte wird gar nicht geschaut."
Und dann ist da noch der Journalist und Buchautor Arne Hoffmann, vielleicht einer der umstrittensten Teilnehmer des Genderkongresses. Sein Buch "Not am Mann – Sexismus gegen Männer" gilt als Standardwerk der radikaleren unter den bewegten Männern. Aus dem Inhaltsverzeichnis:
- Der Mann als ökonomischer Verlierer.
- Die Folgen der Jungenkrise.
- Die vielen Facetten der Männerdiskriminierung.
- Sexuelle Gewalt gegen Männer.
- Wer sich für Männer einsetzt wird ausgegrenzt.
"Ich persönlich… eine starke Abgrenzung von mir gegen Rechtsradikalismus hat in meinen Büchern und auf meinem Blog usw. immer stattgefunden. Und bei ‚Manndat‘ findet es vielleicht nicht explizit statt, aber implizit selbstverständlich, wenn ‚Manndat‘ sich für Migrantenjungen einsetzt, wenn ‚Manndat‘ das Tagebuch eines Totalverweigerers, der Mitglied der Linkspartei ist, veröffentlicht auf seiner Website, und ich denke spätestens, wenn die all diese Verknüpfungen sehen, merken doch die radikal Rechten sowieso, dass die uns nicht ins Boot holen können, weil wir eben so breit aufgestellt sind."
Wenn es um die Radikalen in den eigenen Reihen geht, erinnern Männerrechtler immer gern an die Sturm- und-Drang-Jahre der Frauenbewegung – als auch unter Feministinnen mit harten Bandagen gekämpft wurde – und verweisen auf eine Fernsehdiskussion von Alice Schwarzer und der deutsch-argentinischen Buchautorin Esther Vilar aus dem Jahr 1975. Esther Vilar hatte es gewagt, für einen "weiblichen Feminismus" zu plädieren. Was Alice Schwarzer auf die Palme brachte.
"Wenn Sie in Ihren Büchern das Wort ‚Frau‘ ersetzen würden durch das Wort ‚Jude‘ oder ‚Neger‘, dann wären Ihre Schriften reif für den ‚Stürmer‘."
"Reden Sie nicht so einen wahnsinnigen Unsinn!"
"Sie sind nicht nur Sexistin, Sie sind auch Faschistin!"
"Ich finde, Ihr Argument ist ein typisch faschistisches Argument, so haben nämlich die Faschisten argumentiert damals, mit solchen Wörtern."
Wir sind uns einig: auch damals ist Manches aus dem Ruder gelaufen. Es gab Pamphlete, in Paris und New York, die Unerhörtes empfahlen.
"Die haben zum Teil völlig absurde Forderungen gestellt, wie das männliche Geschlecht auf zehn Prozent runterzufahren."
Ist ja gut, Arne Hoffmann. Diese Texte waren extrem. Sie waren aber nicht als Handlungsanweisung gedacht. Sondern als eine Art sehr extremer Satire. Aber gut, wir haben verstanden: Soziale Bewegungen sind am Anfang ihrer Geschichte wie Teenager: Sie lärmen, sie nerven, schmollen und flippen manchmal aus. Heute übrigens liegen Esther Vilar und Alice Schwarzer in ihren Büchern gar nicht mehr so weit auseinander. Und obwohl Dag Schölper mit seinem sozialdemokratisch unterstützten Bundesforum Männer und Arne Hoffmann, Gerd Riedmeier und Andreas Kraußer im Moment nicht miteinander reden: Was sie sagen, wirkt wie voneinander abgeschrieben. Nur dass es bei Dag Schölper angenehmer klingt.
"Schaut man in den Bereich Gesundheit, dann ist klar: Die Lebenserwartung von Männern ist niedriger. Da hilft kein zynisches Lächeln, naja das ist halt so, sondern dann kann man gucken, was sind eigentlich die Ursachen dafür. Und dann guckt man auf den Arbeitsbereich und stellt fest, dass überlange Vollzeiten bei Männern sehr weit verbreitet sind. Männer wollen ihre Arbeitszeiten gern im Durchschnitt reduzieren, insbesondere wenn sie in Verantwortung für kleine Kinder oder Pflege sind. Und sie tun sich schwer: Die Kulturen und die Strukturen scheinen so zu sein, dass dies verhindert wird. Und Frauen beklagen sich, dass es so schwer ist, ihre kurzen Teilzeiten auszuweiten auf ‘ne mittlere Teilzeit oder vollzeitnahe Beschäftigung. Und da ist ein enger Zusammenhang."
Viele Paare und ihre Kinder betreiben Familien-Jonglage
Das hört sich so wunderbar harmonisch an, als wäre das Problem bereits gelöst. Geschlechtergerechtigkeit durch gerechte Teilung. Geht das überhaupt?
Ich besuche Anja Boehnke und Holger Schramm in ihrer Berlin-Kreuzberger Altbauwohnung. Zwei Kinder im Kita- und Schulalter, Anja ist Pädagogin, Holger Heilpraktiker:
"Ich steh gern als erster auf, weil ich hab gern meine Ruhe am Morgen nochmal, so einen kurzen Moment. Das ist ganz schön, dann schlafen alle noch, dann kann ich den Frühstückstisch vorbereiten. Frühstück machen, wenn ich Zeit hab, vielleicht noch einen Tee schlürfen. Und geht’s halt los, dann kommen die Kinder, und Anja. Und dann ist es erst mal ziemlich betriebsam."
"Da haben wir die Tage relativ klar aufgeteilt. Ich arbeite jeden Tag die Zeit, wo die Kinder im Kinderladen sind, von halb neun bis drei. Wenn ich dann die Kinder abhole, dann fahre ich um drei von der Arbeit los und hol die Kinder, und wenn ich die nicht habe, wenn Holger beide holt, oder meine Mutter holt immer eine Woche den einen oder den anderen, dann hat immer einer frei, weil der andere ja nur einen holen braucht, dann arbeite ich so lange, dass wir uns hier zum Abendessen treffen."
Klassischer Fall von Familien-Jonglage – und funktioniert vielleicht nur deshalb, weil Anja und Holger in einer ziemlich perfekten Welt leben: Sie in der Universität, er in der alternativen Medizin, beide in ihrer ‚Kreuzberger Blase‘. Und eine Großmutter in der Nähe. Nehmen wir sie einfach als Vorreiter einer neuen Bewegung, von Männern und Frauen, die sich ihre Leben aufteilen, gerecht und sinnvoll.
"Das war auch mein Anspruch, auch, dass wir uns auch die Erziehungsarbeit und die Elternzeit auch vor allem, teilen, damit ich auch genug Bindung zu den Kindern habe. Damit ich auch selbständig mit ihnen Zeit verbringen kann, einfach Kind quäkt, alle lachen."
Das ist Lara. Lara ist sechs Monate alt. Im Moment bleibt ihr Vater Erhan Uyanik mit ihr zu Hause. Am Anfang, als noch gestillt wurde, blieb die Mutter Anette Weise zu Hause. Lara ist das zweite Kind, die beiden haben sich die vom Staat gewährte Elternzeit aufgeteilt, sehr gerecht: Jeder sieben Monate. Erhan ist IT-Fachmann, Anette Coach.
"Was interessant war, war immer die Reaktion auf die Länge der Elternzeit, weil ich halt auch, in Anführungszeichen, ‚nur‘ sieben Monate gemacht habe. Da hieß es bei mir immer: Was, Du machst nur sieben Monate? Und Erhan hat auch sieben Monate gemacht, da hieß es immer: ‚Was, Du machst so lange Elternzeit?‘ Also, das fand ich halt eher lustig. Und im Beruf, da habe ich auch in einem Unternehmen gearbeitet, wo viele Männer und Frauen aus dem ehemaligen Osten sind. Die sind da anders drauf. Sehr viel emanzipierter."
Klingt alles in allem sehr perfekt. Und ich höre schon die Widerworte, diese Paare mit ihren Kindern, das sind ja nur Ausnahmen, Kreuzberg, Uni, Leute aus den Medien, Freiberufler. Du hast mal wieder nur in deiner heilen Welt recherchiert. Für die meisten Männer und Frauen ist das eine Utopie.
Mag sein. Aber mir ging es ja darum zu zeigen, dass es geht. Und Dag Schölper vom Bundesforum Männer sagt: die Männerbewegung ist eine Realität. Sie wird langsam stärker, und es sind sogar Frauen dabei. Sie ist leise, aber unaufhaltsam.
"Junge Männer machen in Verhandlungen um einen Arbeitsvertrag deutlich: Wir wollen nicht ein riesengroßes Einkommen und einen Dienstwagen und eine Vorzimmerdame, sondern sie wollen Vereinbarkeit mit der Familie. Da hat sich massiv was geändert. Das heißt, ohne dass da eine politische Bewegung im Sinne der Frauenbewegung mit Plakaten, Demonstrationen auf der Straße, öffentlichen Büstenhalter-Verbrennungen, um das Klischee zu dreschen, das findet in der Form so nicht statt, sondern es findet eine soziale Bewegung statt, die jetzt aber eher alltagspragmatisch stattfindet."
Das könnte doch jetzt das Schlusswort sein. So harmonisch. So ausgeglichen! Also, ich wäre durch mit dem Feature. Meinetwegen wäre hier das Ende
Wäre da nicht mein Gefühl, dass ich, um der Sache auf den Grund zu gehen, nochmal ganz von vorne anfangen muss: In der Kindheit. Bei den Jungen. Dort nämlich, da sind sich fast alle Männerrechtler einig, liegt das eigentliche Problem. Am Anfang der Mannwerdung.
"Mein Name ist Thomas Hölscher. Jahrgang 59, ich bin Leiter und Träger der therapeutischen Lebensgemeinschaft ‚Haus Narnia‘. Das ist eine Facheinrichtung für Jungenarbeit, Gewaltpädagogik und Traumatherapie,"
Zu Thomas Hölscher kommen die richtig schweren Jungs: Schläger, Räuber, Vergewaltiger, zwischen zwölf und 20 Jahren – aber auch notorische Schulschwänzer. 30 Mitarbeiter für elf Insassen. Es gibt einen Insassen, einen so genannten Intensivtäter, der rund um die Uhr betreut werden muss. Er allein bindet sieben Mitarbeiter.
"Ja, ich sitze hier im schönen Kiel, Landeshauptstadt von Schleswig-Holstein und hoffe, mit Ihnen, Herr Baum, ein Interview zu führen."
Moment. Zwei Sätze noch: Sobald die Jungen bei Thomas Hölscher in der Einrichtung sind, hören die Gewaltausbrüche auf. Irgendwas scheint er richtig zu machen.
Also, ich denke, dass wir auf die Menschen so zugehen, wie ich jetzt auf Sie zugehe. Nämlich offen und zugewandt. Freundlich, interessiert, nicht bestimmend, das ist ein wesentlicher Teil des Konzeptes, dass man die Menschen nicht vorverurteilt, sondern auf sie zugeht, als ob sie vollkommen normal sind."
Mit Thomas Hölscher möchte ich über das reden, was man in der Männerszene das Jungendilemma nennt. Denn die Straftaten seiner Klienten sind nur der sichtbare Teil eines riesigen Eisbergs unter der Wasseroberfläche: Jungen werden, so heißt es, in der Schule nicht jungengerecht behandelt. Mädchen haben einen Mädchenbonus, Jungen einen Malus:
"Zum Beispiel, wenn man ein Referat hält, ein Junge der schüchtern vor der Klasse steht, und Schwierigkeiten hat, sich offen zu äußern, der wird eben gleich schlechter bewertet, als ein Mädchen, was sich dann ziert, da akzeptiert man viel eher, dass die schüchtern sind und zurückhaltend sind."
"Jungen werden geschlechtssensibler erzogen"
So haben Pädagogen bereits in den neunziger Jahren versucht, Mädchen zu fördern, indem Naturwissenschaften wieder getrennt von den Jungen unterrichtet wurden. Mit dem Ergebnis, dass die Leistungen der Mädchen nicht stiegen, die der Jungen aber wohl: Weil sie, sagt Hölscher, dazu angehalten werden, auf Mädchen Rücksicht zu nehmen. Außerdem müssen Jungen immer still sitzen, trotz des erwiesenermaßen größeren Explorationsdrangs. Eigentlich sind das keine Neuigkeiten. Wo also ist das Problem?
"Ja, das ist eine sehr spannende Frage. Da kann man sich eigentlich nur den Mund bei verbrennen, wenn man das als Mann formuliert."
Diesen Satz höre ich ziemlich häufig, seit ich in der Männerbewegung recherchiere.
"Ich glaube, dass es daran liegt, dass Jungen, wie ich es gerne formuliere, geschlechtssensibler erzogen werden, das heißt, Jungen werden ja im Wesentlichen von Müttern und von Frauen erzogen, und da wird darauf Wert gelegt, dass sie mädchen- und frauengerechter groß werden, das heißt ein Junge wächst mit einer Geschlechtssensibilität auf, die ein Mädchen so nicht anerzogen bekommt."
Wir sind, sagt Hölscher, in Deutschland und Europa seit Generationen mit schwierigen Vätern groß geworden. Durch die Kriegsgenerationen, durch tote, gewalttätige, traumatisierte und entwertete Väter gab es kaum Möglichkeiten, sich positiv männlich zu identifizieren.
"In meiner Generation gibt es unzählige Männer, die gehört haben von ihrer Mutter: ‚Werd‘ nur ja nicht wie Dein Vater!" Das ist interessanterweise immer noch ein Spruch, mit dem Jungen groß werden."
Die Last der Vergangenheit spüren wir, bis heute. Auch diejenigen tun das, die von den Kriegen des zwanzigsten Jahrhunderts und ihren Vorfahren gar nichts mehr wissen. Aber das ist nur die eine Seite. Denn es gibt eine Lösung, sagt Thomas Hölscher:
"Das, was Männer fasziniert, ist, wenn man sie zusammenbringt und wenn man miteinander wirklich anfängt zu reden."
Das erinnert mich, ehrlich gesagt‘ an meinen letzten reinen Männerurlaub. Ich und zwei Freunde in Österreich: Skifahren, Skatspielen, Bier trinken. Skifahren, Skatspielen, Bier trinken. Keine überflüssigen Gespräche. Fünf Tage lang. Ich fand’s super.
"Mehr haben Sie nicht gemacht?" – "Nee, mehr haben wir nicht gemacht." – "Das ist bei mir genau andersrum. Ich hab ne Doppelkopfrunde, und ich muss dann ab und zu dafür sorgen, dass wir wieder Doppelkopf spielen."
Weil alle mit Thomas Hölscher, dem Profi, über ihre echten Anliegen sprechen wollen. Es liegt also an uns, den Raum, den wir mit anderen Männern haben, zu öffnen, für echte Gespräche.
Gespräch unter Männern als Kern der Männerbewegung
Ich wüsste gar nicht so genau, wie das geht, Männer zum Reden zu bringen. Thomas Hölscher sagt, ich soll von mir selbst sprechen, offen und ehrlich. In einem Schonraum, der sicher ist, ohne Frauen und ohne Konkurrenz. Dann fangen die anderen ganz von selbst an zu reden.
"Das klingt jetzt unheimlich einfach, ist aber nicht so einfach. Es geht da wirklich um Selbstoffenbarung."
Das kann man wohl sagen. Dass Männer mit Männern über ihre Bedürfnisse reden, haben die meisten von uns nicht gelernt. Dabei ist das Gespräch unter Männern der Kern der Männerbewegung. Und auch wenn der Weg noch weit ist: Die ersten Schritte sind getan. Thomas Hölscher:
"Also, ich denke, wir haben eine Männerbewegung. Wir brauchen die aber sicherlich anders, als die Frauen. Weil ich denke, dass es ein bisschen merkwürdig klingt, wenn wir für Männerrechte eintreten. Es ist aber sinnvoll, sich für Männlichkeit einzusetzen."
"Ja aber, was ist das, Männlichkeit?"
"Ja, gute Frage. Das werde ich auch immer wieder gefragt."
"Das hätte vielleicht meine erste Frage sein müssen. Aber jetzt ist es die letzte."
"Ja, was ist Männlichkeit? Dazu sage ich immer, alles was an mir ist, ist männlich. Ich habe aus meiner Sicht keine weiblichen Anteile. Und das ist etwas, was ich in den letzten Jahren begriffen habe. Alles ist männlich, ich bin durch und durch männlich. Meine Fürsorglichkeit ist männlich, meine Liebesfähigkeit ist männlich, und da möchte ich nicht, dass das in irgendeiner Form mir abgesprochen wird oder dass gesagt wird: Das sind deine weiblichen Anteile."