Nicht nur abkupfern
Lange wurde in China produziert und nachgebaut, was anderswo erdacht worden war. Inzwischen ist China die zweitgrößte Volkswirtschaft und Exportnation Nummer eins. Und schon längst entwickeln chinesische Firmen eigene Marken, die das Land vom Image der Billigprodukte befreien sollen.
Die Produktion von Waschmaschinen macht mehr Lärm als gedacht, vor allem das Ausstanzen und Formen der Metallverkleidung. Das findet gleich am Halleneingang statt. Dort hängt auch die große Mitarbeitertafel. Darauf sind Fotos zu sehen. Fotos von solchen Arbeitern, die eine besonders gute Idee hatten und damit die Produktion verbessert haben. Stück für Stück bauen die Arbeiter die Einzelteile in das weiße Gehäuse. Irgendwann wird die Trommel hineingehievt. An Produktionslinie 2 sind alle Beschriftungen auf den Maschinen deutsch. Diese Geräte der Marke Haier sind für den deutschen Markt bestimmt.
Im Laden in Deutschland wird die Maschine 229 Euro kosten. Das ist das Einstiegsmodell. Die teuerste verkaufen wir derzeit für 599 Euro.
Wang Xiaowei ist der Produktmanager für den deutschen Markt bei Haier. Die Fabrik steht in der ostchinesischen Küstenstadt Qingdao. Fabrik trifft es nicht ganz. Eine ganze Haier-Stadt ist hier über die Jahre entstanden mit Fertigungs-Hallen, dazwischen Verwaltungsgebäuden, Ausbildungszentren, ja selbst einem Museum zur Firmengeschichte. Die Straßen der Umgebung sind nach Haier benannt. Rund 70.000 Mitarbeiter beschäftigt Haier weltweit, hier am Konzernsitz in Qingdao ebenso wie in den USA, Italien, Deutschland, Südafrika oder Pakistan. Das Unternehmen produziert vor allem so genannte Weiße Ware: Waschmaschinen, Kühl- und Gefrierschränke, Geschirrspüler. Die Waschmaschinen für Deutschland entstehen alle hier in Qingdao. Von lokalen Hafen geht die Ware per Schiff direkt nach Bremerhaven und Hamburg. Deutschland ist ein besonders schwieriger Markt, sagt, ein wenig seufzend, Wang Xiaowei.
Die heimischen deutschen Marken sind sehr stark. Und die Deutschen sind sehr kritisch. Sie verzeihen auch nicht den geringsten Produktionsfehler. Sie verlangen die beste Qualität und immer zum günstigsten Preis!
Haier ist heute nach dem Computerhersteller Lenovo die bekannteste chinesische Marke weltweit – auch wenn vielen Kunden gar nicht bekannt sein dürfte, woher Haier eigentlich stammt. Der Name klingt irgendwie deutsch. Und das ist auch kein Zufall. In den Achtzigerjahren war die Firma, noch unter anderem Namen, Lizenznehmer beim deutschen Kühlschrankhersteller Liebherr. Liebherr nennt sich auf Chinesisch Libohaier. Nach dem Ende der Kooperation behielt die Firma den Namen. Das Libo wurde einfach gestrichen, Haier blieb übrig. Von Liebherr kam damals viel Technologie. Doch die Dynamik kam vom Firmengründer Zhang Ruimin. Er verwandelte die kleine Kühlschrankfirma in nur zwanzig Jahren in einen Weltkonzern. Haier ist mit 7,8 Prozent Marktanteil Weltmarktführer bei Haushaltsgeräten.
In Deutschland hat der Konzern bei Waschmaschinen bereits einen Marktanteil von 3 Prozent erobert. Der globale Umsatz lag 2011 bei 23 Milliarden US-Dollar, plus 36 Prozent in nur einem Jahr. Etwa ein Viertel davon wird außerhalb Chinas erzielt. Und der internationale Anteil steigt. Die Produktpalette wächst unaufhörlich. Längst gibt es auch Haier-TV-Geräte und -Sonnenkollektoren. Der Markteintritt in Westeuropa gelang zunächst durch Nischenprodukte wie Mini-Kühlschränke und Wein-Kühler. Zielgruppe: Jüngere Leute, die bei Marken noch nicht so festgelegt sind. Hauptfokus hier: gutes Design. Dass Haier aus China kommt, hängt der Konzern im Ausland nicht an die große Glocke. Auf der Europa-Webseite fällt das Wort China nicht ein einziges Mal. Zhang Tieyan ist Marketing-Chefin von Haier.
Haier kommt aus China. Das ist eine Tatsache. Das kann man nicht verstecken. Aber in der PR und im täglichen Geschäft ist die lokale Ausrichtung auf den Märkten wichtiger. Wir haben Forschung und Marketingabteilungen vor Ort. Und wir benutzen eine lokale Sprache, um mit den Kunden zu kommunizieren. Also: Wir verstecken unsere Herkunft nicht, aber wir betonen sie auch nicht.
Haier ist so etwas wie Chinas Mustermarke, die es aus eigener Kraft geschafft hat. Doch auch eine Ausnahme. Chinesische Marken haben es noch sehr schwer im Westen. Das heißt nicht, dass es keine starken chinesischen Marken gäbe, sagt Shaun Rein. Der in Shanghai ansässige Marktforscher beschreibt in seinem jüngsten Buch "The end of cheap China", wie sich China rasant vom Billigproduktionsstandort zum Hersteller von höherwertigen Produkten entwickelt.
Viele westliche Experten sagen: Chinesen verstehen nichts von Markenbildung. Das stimmt nicht. Der Grund, warum wir noch wenige starke chinesische Marken sehen, ist einfach: Noch vor zehn Jahren wäre es für chinesische Firmen dumm gewesen, wenn sie im Wettbewerb nicht vor allem einfach auf günstige Preise gesetzt hätten. Chinesische Verbraucher und Firmen waren arm. Die konnten sich keine schönen Produkte leisten. In den letzten fünf Jahren sind die Einkommen gestiegen, die Verbraucher werden wählerischer und markentreuer. Als Ergebnis davon sehen wir nun wirklich großartige chinesische Marken auf dem Niveau derer im Westen.
Natürlich kommt der schlechte Ruf chinesischer Produkte im Ausland nicht nur von ungefähr. Dabei muss man gar nicht gleich an die schlimmen Lebensmittelskandale wie die Melamin verseuchte Milch denken, an der 2008 tausende Kinder erkrankten. Jeder, der auch nur kurze Zeit in China lebt, macht seine Erfahrungen: das Rührgerät, das den ersten Kuchenteig nicht überlebt. Das Bügelbrett, das sich nicht mehr zusammenklappen lässt. Unvergessen auch die ADAC-Crashtests mit chinesischen Autos vor fünf Jahren, die so miserabel ausfielen, dass sich seither kaum ein chinesischer Autobauer mehr auf den westeuropäischen Markt getraut hat. Anlass genug, mal bei einem chinesischen Autokonzern vorbeizuschauen. Einem mit großen internationalen Plänen.
500 Kilometer weiter nordwestlich von Qingdao. Beim Automacher Great Wall ruft Musik die Mitarbeiter zur Morgengymnastik. Hier geht es noch etwas traditioneller zu als beim Weltkonzern Haier. Anspornende Slogans hängen an den Wänden. Das Unternehmensmotto lautet: "Jeden Tag ein kleiner Fortschritt". Shi Qingke ist zuständig fürs internationale Geschäft bei Great Wall.
Eine internationale Marke zu werden, dauert viele Jahre. Man muss in die Qualität investieren, in den Service. Dann nach zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren ist es so weit. So wie es die Japaner gemacht haben vor 30 oder 40 Jahren, als sie die Überseemärkte erschlossen haben. Wir sind jetzt an dieser Stelle. Aber natürlich braucht man zu allererst ein gutes Produkt.
Greatwall gibt es seit 1976. Das Unternehmen machte sich vor allem einen Namen durch SUVs, also Geländelimousinen, und Pickups. Heute gilt der Autobauer aus Baoding als eine der aufstrebenden chinesischen Auto-Marken neben Chery, Geely und Changan. Das größte Auslandsgeschäft macht sie zur Zeit in Lateinamerika, Südostasien, im Nahen Osten. Sie betreibt schon Fabriken in Indonesien, Ägypten, der Ukraine - und in Russland. Dort ist das Great-Wall-Modell Hover der meistverkaufte SUV auf dem Markt. Und damit nicht genug: Als erster chinesischer Autobauer überhaupt hat Great Wall soeben ein Werk in der Europäischen Union eröffnet, im bulgarischen Lowetsch.
Auf der Teststrecke machen sich die Wagen gut, überstehen auch die Steilkurve. Doch europäischen Standard zu erreichen, ist schwierig, sagt Shi Qingke. Vor allem bei den Emissionsgrenzen. Great Wall hat China schon im Namen stecken. Und Creation of China – geschaffen in China, das ist der Marken-Slogan. China wird nicht versteckt, sondern stolz betont.
Es heißt immer: Chinesische Produkte haben schlechte Qualität und sind billig. Wir wollen diese Vorstellung verändern. China kann nicht nur etwas machen, sondern auch etwas erschaffen.
Chinas Regierung unterstützt erfolgreiche Unternehmen, etwa mit günstigen Krediten. Sie will nationale Top-Firmen schaffen, die sich auf den Weltmärkten durchsetzen.
Nach Changsha, der Hauptstadt der zentralchinesischen Provinz Hunan, Heimat von Sany. Rund 30 Werkshallen stehen auf einem kaum überschaubaren Gelände. Hier entstehen Bau-Maschinen aller Art, von Kränen über Betonpumpen bis hin zu Straßenbaugeräten. Die Chinesen kauften für 360 Millionen Euro den schwäbischen Beton-Pumpenhersteller Putzmeister. Mit dem Kauf gewinnt Sany ein globales Vertriebssystem, Technologie – und eine renommierte Marke. Diese soll nämlich erhalten bleiben, ebenso wie der Putzmeister-Standort Aichtal bei Stuttgart. Marken kaufen. Auch das ist eine beliebte Strategie chinesischer Unternehmen, um auf den Weltmärkten Fuß zu fassen, sagt der Marktforscher Shaun Rein.
Die Geschäftsführer vieler chinesischer Unternehmen sind ehrgeizig und wirklich sehr ungeduldig. Anstatt 20 Jahre lang eine Marke aufzubauen, kaufen sie lieber eine existierende Marke. Das wird man immer öfter sehen.
Das Demo-Video kommt nur mit Musik und Bildern aus, ganz ohne Worte. Kinderleicht sieht es aus, was da präsentiert wird. Touchpal: Eine neue App für Smartphones, die die Texteingabe erleichtert, sei es für Emails oder SMS. Die Finger gleiten schnell über die Tastatur auf dem Display. Es ist nicht mehr nötig, genaue Buchstaben zu treffen. Allein die grobe Fingerbewegung reicht – und Touchpal weiß schon, welches Wort gemeint ist. Und das Ganze funktioniert in über 60 Sprachen.
20 Prozent der Android-Telephone weltweit haben Touchpal. Das sind 40 Millionen Nutzer. Wir sind unter den am meisten herunter geladenen Apps bei Google Android. Im ersten Monat allein hatten wir zehn Millionen Downloads.
Die Zahlen, die Michael Wong hier nennt, sind schwer nachzuprüfen. Doch sicher ist: Touchpal ist erfolgreich. Was wohl kaum jemand von den Nutzern weiß: Touchpal kommt nicht etwa aus den USA, sondern aus Shanghai. Entwickelt von der jungen IT-Firma Cootek, gegründet und geleitet von Michael Wong.
Der 32-jährige arbeitete früher für Microsoft in China. Bis er sich mit zwei anderen Kollegen 2008 selbstständig machte. Cootek produziert mit 80 Mitarbeitern Software für mobile Geräte. Michael Wong ist es ein Anliegen, der Welt klar zu machen, dass in China eine neue Generation von Unternehmen heranwächst. Eine Generation, auf die nicht mehr das gängige China-Klischee "billig und kopiert" passt. Das "made in China"-Etikett ist das vielleicht größte Hindernis für chinesische Marken im Ausland. Bei chinesischer Software befürchten manche Verbraucher zudem Spionage und Datenklau. Das Misstrauen sitzt tief. Doch das könnte nur eine Übergangsphase sein, speziell in der IT-Branche. Glaubt man Michael Wong, werden die Facebooks, Googles und Twitters von morgen aus China kommen. Da braut sich was zusammen.
Ich glaube, in fünf bis zehn Jahren werden wir plötzlich entdecken, dass da viele chinesische Firmen entstanden sind und die Führung in der IT-Branche übernommen haben.
Selbstredend will Michael Wong mit Cootek dann einer der ganz Großen sein.
Zum Schluss geht es noch ganz in den Süden Chinas, nach Shenzhen, die 12-Millionen-Stadt gleich bei Hongkong. Hier hat Chinas der Telekommunikationsriese Huawei seinen Sitz. Streng genommen keine Weltmarke von morgen, sondern schon eine von heute. Doch noch immer auf rasantem Expansionskurs. Hu Xiaohui ist Produktmanager bei Huawei:
Die Entwicklung der Firma während unserer 23-jährigen Geschichte ist beeindruckend. Wir sind jetzt in mehr als 140 Ländern der Welt vertreten. Von den 50 Top-Unternehmen in unserer Branche sind 45 unsere Partner. Wir erreichen mit unseren Angeboten ein Drittel der Weltbevölkerung. Bei der Gründung 1987 hatte die Firma 10 Mitarbeiter. Das Kapital betrug 3000 US-Dollar. Im Jahr 2010 beschäftigte Huawei zirka 120 000 Mitarbeiter weltweit. Und unser Verkaufsvolumen betrug 28 Milliarden US-Dollar.
Huawei ist ein Telekommunikationsausrüster, baut zum Beispiel Netzwerke für Telefonanbieter auf. So operiert etwa das Mobilfunknetz des Anbieters O2 in Süddeutschland mit Huawei-Technik. Das Unternehmen hat Niederlassungen auf der ganzen Welt. Allein in Deutschland bestehen Büros in Berlin, München, Bonn, Köln, Nürnberg, Darmstadt und Bamberg. Die Europa-Zentrale befindet sich in Düsseldorf. Rund um den Globus betreibt der Konzern 20 Forschungs- und Entwicklungszentren.
Die Marke Huawei erobert die Weltmärkte. 2015 will der Konzern zu den drei Top-Herstellern von Mobiltelephonen gehören. Huawei-Smartphones gibt es auch in Deutschland zu kaufen, selbst bei Tchibo. Die günstigsten kosten unter 100 Euro. Auf dem Smartphone-Markt in den USA rangiert Huawei bereits an siebter Stelle. In ärmeren Ländern, etwa in Afrika oder Südostasien, laufen die Verkäufe auf Hochtouren.
Haier, Great Wall, Sany, Touchpal und Huawei – fünf erfolgreiche chinesische Marken. Und fünf unterschiedliche Strategien, die Weltmärkte zu erobern. Eine abschließende Prognose von Shaun Rein.
Es dauert Jahrzehnte, bis Marken weltweit bekannt werden. Es hat zwei oder drei Jahrzehnte gedauert, bis japanische Firmen wie Toyota oder Sony als globale Marken betrachtet wurden. Aber in den nächsten zehn Jahren werden wir wahrscheinlich 20 chinesische Unternehmen regelmäßig auf den internationalen Märkten sehen. Die machen sich auf den Weg.
Im Laden in Deutschland wird die Maschine 229 Euro kosten. Das ist das Einstiegsmodell. Die teuerste verkaufen wir derzeit für 599 Euro.
Wang Xiaowei ist der Produktmanager für den deutschen Markt bei Haier. Die Fabrik steht in der ostchinesischen Küstenstadt Qingdao. Fabrik trifft es nicht ganz. Eine ganze Haier-Stadt ist hier über die Jahre entstanden mit Fertigungs-Hallen, dazwischen Verwaltungsgebäuden, Ausbildungszentren, ja selbst einem Museum zur Firmengeschichte. Die Straßen der Umgebung sind nach Haier benannt. Rund 70.000 Mitarbeiter beschäftigt Haier weltweit, hier am Konzernsitz in Qingdao ebenso wie in den USA, Italien, Deutschland, Südafrika oder Pakistan. Das Unternehmen produziert vor allem so genannte Weiße Ware: Waschmaschinen, Kühl- und Gefrierschränke, Geschirrspüler. Die Waschmaschinen für Deutschland entstehen alle hier in Qingdao. Von lokalen Hafen geht die Ware per Schiff direkt nach Bremerhaven und Hamburg. Deutschland ist ein besonders schwieriger Markt, sagt, ein wenig seufzend, Wang Xiaowei.
Die heimischen deutschen Marken sind sehr stark. Und die Deutschen sind sehr kritisch. Sie verzeihen auch nicht den geringsten Produktionsfehler. Sie verlangen die beste Qualität und immer zum günstigsten Preis!
Haier ist heute nach dem Computerhersteller Lenovo die bekannteste chinesische Marke weltweit – auch wenn vielen Kunden gar nicht bekannt sein dürfte, woher Haier eigentlich stammt. Der Name klingt irgendwie deutsch. Und das ist auch kein Zufall. In den Achtzigerjahren war die Firma, noch unter anderem Namen, Lizenznehmer beim deutschen Kühlschrankhersteller Liebherr. Liebherr nennt sich auf Chinesisch Libohaier. Nach dem Ende der Kooperation behielt die Firma den Namen. Das Libo wurde einfach gestrichen, Haier blieb übrig. Von Liebherr kam damals viel Technologie. Doch die Dynamik kam vom Firmengründer Zhang Ruimin. Er verwandelte die kleine Kühlschrankfirma in nur zwanzig Jahren in einen Weltkonzern. Haier ist mit 7,8 Prozent Marktanteil Weltmarktführer bei Haushaltsgeräten.
In Deutschland hat der Konzern bei Waschmaschinen bereits einen Marktanteil von 3 Prozent erobert. Der globale Umsatz lag 2011 bei 23 Milliarden US-Dollar, plus 36 Prozent in nur einem Jahr. Etwa ein Viertel davon wird außerhalb Chinas erzielt. Und der internationale Anteil steigt. Die Produktpalette wächst unaufhörlich. Längst gibt es auch Haier-TV-Geräte und -Sonnenkollektoren. Der Markteintritt in Westeuropa gelang zunächst durch Nischenprodukte wie Mini-Kühlschränke und Wein-Kühler. Zielgruppe: Jüngere Leute, die bei Marken noch nicht so festgelegt sind. Hauptfokus hier: gutes Design. Dass Haier aus China kommt, hängt der Konzern im Ausland nicht an die große Glocke. Auf der Europa-Webseite fällt das Wort China nicht ein einziges Mal. Zhang Tieyan ist Marketing-Chefin von Haier.
Haier kommt aus China. Das ist eine Tatsache. Das kann man nicht verstecken. Aber in der PR und im täglichen Geschäft ist die lokale Ausrichtung auf den Märkten wichtiger. Wir haben Forschung und Marketingabteilungen vor Ort. Und wir benutzen eine lokale Sprache, um mit den Kunden zu kommunizieren. Also: Wir verstecken unsere Herkunft nicht, aber wir betonen sie auch nicht.
Haier ist so etwas wie Chinas Mustermarke, die es aus eigener Kraft geschafft hat. Doch auch eine Ausnahme. Chinesische Marken haben es noch sehr schwer im Westen. Das heißt nicht, dass es keine starken chinesischen Marken gäbe, sagt Shaun Rein. Der in Shanghai ansässige Marktforscher beschreibt in seinem jüngsten Buch "The end of cheap China", wie sich China rasant vom Billigproduktionsstandort zum Hersteller von höherwertigen Produkten entwickelt.
Viele westliche Experten sagen: Chinesen verstehen nichts von Markenbildung. Das stimmt nicht. Der Grund, warum wir noch wenige starke chinesische Marken sehen, ist einfach: Noch vor zehn Jahren wäre es für chinesische Firmen dumm gewesen, wenn sie im Wettbewerb nicht vor allem einfach auf günstige Preise gesetzt hätten. Chinesische Verbraucher und Firmen waren arm. Die konnten sich keine schönen Produkte leisten. In den letzten fünf Jahren sind die Einkommen gestiegen, die Verbraucher werden wählerischer und markentreuer. Als Ergebnis davon sehen wir nun wirklich großartige chinesische Marken auf dem Niveau derer im Westen.
Natürlich kommt der schlechte Ruf chinesischer Produkte im Ausland nicht nur von ungefähr. Dabei muss man gar nicht gleich an die schlimmen Lebensmittelskandale wie die Melamin verseuchte Milch denken, an der 2008 tausende Kinder erkrankten. Jeder, der auch nur kurze Zeit in China lebt, macht seine Erfahrungen: das Rührgerät, das den ersten Kuchenteig nicht überlebt. Das Bügelbrett, das sich nicht mehr zusammenklappen lässt. Unvergessen auch die ADAC-Crashtests mit chinesischen Autos vor fünf Jahren, die so miserabel ausfielen, dass sich seither kaum ein chinesischer Autobauer mehr auf den westeuropäischen Markt getraut hat. Anlass genug, mal bei einem chinesischen Autokonzern vorbeizuschauen. Einem mit großen internationalen Plänen.
500 Kilometer weiter nordwestlich von Qingdao. Beim Automacher Great Wall ruft Musik die Mitarbeiter zur Morgengymnastik. Hier geht es noch etwas traditioneller zu als beim Weltkonzern Haier. Anspornende Slogans hängen an den Wänden. Das Unternehmensmotto lautet: "Jeden Tag ein kleiner Fortschritt". Shi Qingke ist zuständig fürs internationale Geschäft bei Great Wall.
Eine internationale Marke zu werden, dauert viele Jahre. Man muss in die Qualität investieren, in den Service. Dann nach zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren ist es so weit. So wie es die Japaner gemacht haben vor 30 oder 40 Jahren, als sie die Überseemärkte erschlossen haben. Wir sind jetzt an dieser Stelle. Aber natürlich braucht man zu allererst ein gutes Produkt.
Greatwall gibt es seit 1976. Das Unternehmen machte sich vor allem einen Namen durch SUVs, also Geländelimousinen, und Pickups. Heute gilt der Autobauer aus Baoding als eine der aufstrebenden chinesischen Auto-Marken neben Chery, Geely und Changan. Das größte Auslandsgeschäft macht sie zur Zeit in Lateinamerika, Südostasien, im Nahen Osten. Sie betreibt schon Fabriken in Indonesien, Ägypten, der Ukraine - und in Russland. Dort ist das Great-Wall-Modell Hover der meistverkaufte SUV auf dem Markt. Und damit nicht genug: Als erster chinesischer Autobauer überhaupt hat Great Wall soeben ein Werk in der Europäischen Union eröffnet, im bulgarischen Lowetsch.
Auf der Teststrecke machen sich die Wagen gut, überstehen auch die Steilkurve. Doch europäischen Standard zu erreichen, ist schwierig, sagt Shi Qingke. Vor allem bei den Emissionsgrenzen. Great Wall hat China schon im Namen stecken. Und Creation of China – geschaffen in China, das ist der Marken-Slogan. China wird nicht versteckt, sondern stolz betont.
Es heißt immer: Chinesische Produkte haben schlechte Qualität und sind billig. Wir wollen diese Vorstellung verändern. China kann nicht nur etwas machen, sondern auch etwas erschaffen.
Chinas Regierung unterstützt erfolgreiche Unternehmen, etwa mit günstigen Krediten. Sie will nationale Top-Firmen schaffen, die sich auf den Weltmärkten durchsetzen.
Nach Changsha, der Hauptstadt der zentralchinesischen Provinz Hunan, Heimat von Sany. Rund 30 Werkshallen stehen auf einem kaum überschaubaren Gelände. Hier entstehen Bau-Maschinen aller Art, von Kränen über Betonpumpen bis hin zu Straßenbaugeräten. Die Chinesen kauften für 360 Millionen Euro den schwäbischen Beton-Pumpenhersteller Putzmeister. Mit dem Kauf gewinnt Sany ein globales Vertriebssystem, Technologie – und eine renommierte Marke. Diese soll nämlich erhalten bleiben, ebenso wie der Putzmeister-Standort Aichtal bei Stuttgart. Marken kaufen. Auch das ist eine beliebte Strategie chinesischer Unternehmen, um auf den Weltmärkten Fuß zu fassen, sagt der Marktforscher Shaun Rein.
Die Geschäftsführer vieler chinesischer Unternehmen sind ehrgeizig und wirklich sehr ungeduldig. Anstatt 20 Jahre lang eine Marke aufzubauen, kaufen sie lieber eine existierende Marke. Das wird man immer öfter sehen.
Das Demo-Video kommt nur mit Musik und Bildern aus, ganz ohne Worte. Kinderleicht sieht es aus, was da präsentiert wird. Touchpal: Eine neue App für Smartphones, die die Texteingabe erleichtert, sei es für Emails oder SMS. Die Finger gleiten schnell über die Tastatur auf dem Display. Es ist nicht mehr nötig, genaue Buchstaben zu treffen. Allein die grobe Fingerbewegung reicht – und Touchpal weiß schon, welches Wort gemeint ist. Und das Ganze funktioniert in über 60 Sprachen.
20 Prozent der Android-Telephone weltweit haben Touchpal. Das sind 40 Millionen Nutzer. Wir sind unter den am meisten herunter geladenen Apps bei Google Android. Im ersten Monat allein hatten wir zehn Millionen Downloads.
Die Zahlen, die Michael Wong hier nennt, sind schwer nachzuprüfen. Doch sicher ist: Touchpal ist erfolgreich. Was wohl kaum jemand von den Nutzern weiß: Touchpal kommt nicht etwa aus den USA, sondern aus Shanghai. Entwickelt von der jungen IT-Firma Cootek, gegründet und geleitet von Michael Wong.
Der 32-jährige arbeitete früher für Microsoft in China. Bis er sich mit zwei anderen Kollegen 2008 selbstständig machte. Cootek produziert mit 80 Mitarbeitern Software für mobile Geräte. Michael Wong ist es ein Anliegen, der Welt klar zu machen, dass in China eine neue Generation von Unternehmen heranwächst. Eine Generation, auf die nicht mehr das gängige China-Klischee "billig und kopiert" passt. Das "made in China"-Etikett ist das vielleicht größte Hindernis für chinesische Marken im Ausland. Bei chinesischer Software befürchten manche Verbraucher zudem Spionage und Datenklau. Das Misstrauen sitzt tief. Doch das könnte nur eine Übergangsphase sein, speziell in der IT-Branche. Glaubt man Michael Wong, werden die Facebooks, Googles und Twitters von morgen aus China kommen. Da braut sich was zusammen.
Ich glaube, in fünf bis zehn Jahren werden wir plötzlich entdecken, dass da viele chinesische Firmen entstanden sind und die Führung in der IT-Branche übernommen haben.
Selbstredend will Michael Wong mit Cootek dann einer der ganz Großen sein.
Zum Schluss geht es noch ganz in den Süden Chinas, nach Shenzhen, die 12-Millionen-Stadt gleich bei Hongkong. Hier hat Chinas der Telekommunikationsriese Huawei seinen Sitz. Streng genommen keine Weltmarke von morgen, sondern schon eine von heute. Doch noch immer auf rasantem Expansionskurs. Hu Xiaohui ist Produktmanager bei Huawei:
Die Entwicklung der Firma während unserer 23-jährigen Geschichte ist beeindruckend. Wir sind jetzt in mehr als 140 Ländern der Welt vertreten. Von den 50 Top-Unternehmen in unserer Branche sind 45 unsere Partner. Wir erreichen mit unseren Angeboten ein Drittel der Weltbevölkerung. Bei der Gründung 1987 hatte die Firma 10 Mitarbeiter. Das Kapital betrug 3000 US-Dollar. Im Jahr 2010 beschäftigte Huawei zirka 120 000 Mitarbeiter weltweit. Und unser Verkaufsvolumen betrug 28 Milliarden US-Dollar.
Huawei ist ein Telekommunikationsausrüster, baut zum Beispiel Netzwerke für Telefonanbieter auf. So operiert etwa das Mobilfunknetz des Anbieters O2 in Süddeutschland mit Huawei-Technik. Das Unternehmen hat Niederlassungen auf der ganzen Welt. Allein in Deutschland bestehen Büros in Berlin, München, Bonn, Köln, Nürnberg, Darmstadt und Bamberg. Die Europa-Zentrale befindet sich in Düsseldorf. Rund um den Globus betreibt der Konzern 20 Forschungs- und Entwicklungszentren.
Die Marke Huawei erobert die Weltmärkte. 2015 will der Konzern zu den drei Top-Herstellern von Mobiltelephonen gehören. Huawei-Smartphones gibt es auch in Deutschland zu kaufen, selbst bei Tchibo. Die günstigsten kosten unter 100 Euro. Auf dem Smartphone-Markt in den USA rangiert Huawei bereits an siebter Stelle. In ärmeren Ländern, etwa in Afrika oder Südostasien, laufen die Verkäufe auf Hochtouren.
Haier, Great Wall, Sany, Touchpal und Huawei – fünf erfolgreiche chinesische Marken. Und fünf unterschiedliche Strategien, die Weltmärkte zu erobern. Eine abschließende Prognose von Shaun Rein.
Es dauert Jahrzehnte, bis Marken weltweit bekannt werden. Es hat zwei oder drei Jahrzehnte gedauert, bis japanische Firmen wie Toyota oder Sony als globale Marken betrachtet wurden. Aber in den nächsten zehn Jahren werden wir wahrscheinlich 20 chinesische Unternehmen regelmäßig auf den internationalen Märkten sehen. Die machen sich auf den Weg.