Nicht nur die eigenen Biografien
19:25 Minuten
Braucht man überhaupt jüdische Menschen, um jüdische Comics herauszubringen? Die Anthologie „Im nächsten Jahr in“ versucht das und bildet mit elf Geschichten nicht nur jüdisches Leben der letzten 500 Jahre ab, sondern befeuert auch aktuelle Debatten.
„Nächstes Jahr in. Comics und Episoden des jüdischen Lebens“
Herausgegeben von Meike Heinigk, Antje Herden, Jonas Engelmann, Jakob Hoffmann
Ventil Verlag, Mainz
168 Seiten
25 Euro
[[COVER-BILD: s. RPS]]
Herausgegeben von Meike Heinigk, Antje Herden, Jonas Engelmann, Jakob Hoffmann
Ventil Verlag, Mainz
168 Seiten
25 Euro
[[COVER-BILD: s. RPS]]
Antje Herden: „Also wir saßen zusammen und haben uns überlegt, wie der Titel dieser doch wichtigen Anthologie lauten könnte und wir sind am Anfang so ein bisschen bei den Gedichten, oder bei dem Gedicht, von Mascha Kaléko hängen geblieben und waren dann so Richtung „Immerland“, „Nirgendland“ und diese Sachen unterwegs und haben dann aber gedacht, das passt nicht so. Dann kam uns dieser hebräische Wunsch nach dem Seder-Abend in den Sinn, der da heißt - ich kann ihn nicht auf Hebräisch – ‚Nächstes Jahr in Jerusalem‘, sozusagen als Wunsch dafür, dass man sich, wenn man sich das nächste Mal trifft, in guten Zeiten, an guten Orten und zu guten Bedingungen trifft. Natürlich konnten wir dann nicht schreiben ‚Nächstes Jahr in Darmstadt‘. Das wäre total vermessen gewesen! Dann fanden wir aber einfach durch die Weglassung des Ortes den Titel noch viel größer und viel bedeutungsvoller, weil es ja bedeutet: egal wo man sich das nächste Mal trifft, es kann überall sein, es soll aber einfach gut sein. So sind wir auf diesen Titel gekommen.“
Jakob Hoffmann: „Ganz konkret knüpft er auch an den ersten Comic, den man in dem Band lesen kann, an: ‚Die Darmstädter Haggada‘ von Simon Schwartz. Der Ausgangspunkt für diesen Comic ist eine Haggada aus dem 15. Jahrhundert, die im Darmstädter Landesmuseum zu sehen ist und die schon quasi ein Comic avant la lettre ist, in ihrer bildhaften Erzählform oder in ihrer Anweisung. Simon Schwartz beendet diesen Comic auch mit der Frage, wo das nächste Jahr denn sein soll, wohin dieser Gruß führt. Es geht in seiner leicht fiktionalisierten Erzählung um den ersten Juden in Darmstadt, der als Arzt dorthin berufen wird.“
[[BILD: SIMON SCHWARTZ – „DIE DARMSTÄDTER HAGGADA“ - s. RPS]]
Deutschlandfunk Kultur: „Frau Herden, Sie sagen, dass es vermessen wäre ‚Nächstes Jahr in Darmstadt‘ zu sagen. Ich frage mich warum? Die Geschichten spielen grob in Darmstadt, Sie sind ein Darmstädter Verlag. Warum hätten Sie das nicht machen können?
Antje Herden: „Ich muss ganz kurz berichtigen: Das ist ein Mainzer Verlag. Warum ich dachte, dass das vermessen ist? Ich selbst war die ganze Zeit in der Bearbeitung des Buches ein wenig befangen, weil ich es ein bisschen, ja, vermessen fand, das ist ein ganz gutes Wort, dass wir zu diesem Thema nicht einen Juden und nicht eine Jüdin im Team hatten. Weder bei den Zeichnerinnen und Zeichnern noch bei den Autoren und Autorinnen oder bei den Herausgebern. Das fand ich ein bisschen vermessen - vielleicht draufgängerisch, zu mutig. Ich hatte ganz schöne Sorge, dass wir vielleicht jemandem auf die Füße treten oder dass wir das auch nicht gut genug machen oder das wir das auch gar nicht dürfen. Darum erschien mir das auch im Titel als zu vermessen. Das war jetzt eine persönliche Geschichte, aber dass durch die Weglassung der Titel eigentlich noch viel größer wurde und aussagekräftiger ist für unseren Band.“
Jakob Hoffmann: „Ich würde ergänzen, dass die Geschichten auch nicht alle in Darmstadt spielen. Manche spielen in Berlin oder verteilen sich in den Taunus und auf ganz Deutschland. Was ein Grundmotiv ist, das sich im Titel auch ankündigt, ist die Exil-Erfahrung. Diese Ortlosigkeit, die thematisiert wird und gerade bei einer Geschichte, die über die Jüdische Berufsfachschule Masada, geht es ganz konkret um die Frage, ob man bleibt oder ob man nicht bleibt? Also dass man gerade nicht in Darmstadt bleibt. Die gleiche Frage stellt sich Ludwig Meidner, der expressionistische Maler, zusammen mit seiner Frau im Exil in London. Da fällt die Entscheidung sehr unterschiedlich aus, also die Frau sagt, sie kann nicht mehr zurück nach Deutschland - nach dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg. Ludwig Meidner sagt, er muss zurück, er möchte zurück. Deswegen ist auch diese Stelle einfach offen geblieben.“
[[BILD: HANNAH BRINKMANN – „Jüdische Berufsfachschule Masada“ - s. RPS]]
Deutschlandfunk Kultur: „Wenn keine Jüdinnen und keine Juden bei Ihnen im Team sind, warum haben sie sich unbedingt für einen jüdischen Sammelband entschieden?“
Antje Herden: „Diese Entscheidung kam nicht von mir, also ich bin nicht Entscheidungsträgerin gewesen, sondern ich wurde gebeten, als Herausgeberin und Autorin mitzuarbeiten. Die Entscheidung, eine jüdische Comic-Anthologie herzustellen, war eben im Rahmen dieses Festivals „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Es wurden hier ein paar Veranstaltungen angeboten - leider nicht so viele, war ja immer noch Pandemie. Damit aber etwas Bleibendes aus diesem Festivaljahr bleibt, gab es eben die Idee dieser Anthologie und eines Films, der auch zeitgleich gedreht wurde. Ich wurde einfach gefragt, ob ich als Herausgeberin und Autorin mitarbeiten möchte. Ich habe mich entschieden, das zu tun, obwohl ich am Anfang dachte: ‚Hu, darf ich das überhaupt?‘“
Jakob Hoffmann: „Die Idee war schon auch eine Form zu finden, die vielleicht in diesem Jubiläumsjahr nicht ganz so verbreitet ist: also ein Comic zu machen. Wir haben in dem einführenden Gespräch, als überhaupt erst die Grundsatzentscheidung fiel, wie das denn genau aussehen muss, die ganz klare Rückmeldung auch von der jüdischen Gemeinde in Darmstadt bekommen, die gesagt hat, sie findet die Idee großartig und es wäre ihr wichtig, dass wir thematisch nicht ausschließlich auf den Holocaust rekurrieren und dass wir in der Auswahl der Künstler:innen und der Themen bitte komplett frei sein sollen, also das gerade die Vielfalt der Thematik doch vielversprechend ist, in der Vorstellung, dass man sie mit Comics zusammenbringt.“
Deutschlandfunk Kultur: „Können Sie da ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern?“
Jakob Hoffmann: „Wir haben erst einmal eine Reihe von Comic-Künstler:innen angesprochen - aus dem deutschsprachigen Raum - und es gab das Angebot an die Zeichner:innen, entweder könnt ihr eine eigene Geschichte erzählen, die ihr interessant findet, also die ihr euch selber aussucht, weil ihr vielleicht mit der Thematik schon vertraut seid oder irgendwas in der Schublade habt oder unbedingt erzählen wollt. Wenn das aber in der Kürze der Zeit - denn wir hatten nicht viel Zeit - leichter ist für euch, dann können wir euch auch eine Geschichte anbieten, weil wir über die ganze Expertise vor Ort eine Menge an Stoff hatten, der sich dramaturgisch oder als Comic verarbeiten ließ. Die meisten der Künstler:innen - Antje korrigiere mich - haben dann selbst ausgewählt, was sie erzählen möchten…“
Antje Herden: „Ich erinnere jetzt zwei Geschichten, die wir zugewiesen oder wo wir gemeinsam überlegt hatten. Das war einmal die Masada, weil das auch mega unbekannt war, dass diese Schule hier in Darmstadt überhaupt existierte und die so besonders war, dass wir die unbedingt rein haben wollten - als Geschichte, als Thema. Das andere war…?“
Jakob Hoffmann: „Mascha Kaléko. Mascha Kaléko war die einzige Geschichte, die für uns von Anfang an gesetzt war. Dass ein Gedicht von Mascha Kaléko als Comic interpretiert werden sollte, das wollten wir unbedingt machen.“
https://soundcloud.com/dota-kehr/kein-kinderlied [[Wie kann man Soundcloud einbetten?]]
Antje Herden: „Die anderen Themen kamen von den Leuten direkt selbst.“
Jakob Hoffmann: „Ludwig Meidner hatte ich der Büke Schwarz vorgeschlagen, da haben wir darüber diskutiert, da hatte sie Lust drauf. Sie hat gesagt, sie hat keine Zeit, sich selber etwas auszudenken…“
Antje Herden: „Ach, und Jonas [Jonas Engelmann, ebenfalls Herausgeber des Bandes, Anm. d. Red.] hatte den Picard entdeckt und fand das so amüsant, dass es einen Räuberhauptmann gab, der größer und stärker war als der Schinderhannes, dass er diese Geschichte ganz dolle gerne auch hinein haben wollte. Das haben wir dann auch vorgeschlagen.“
Deutschlandfunk Kultur: „Da es da um jüdische Themen ging, wo haben sie sich die Expertise dann hergeholt?“
Jakob Hoffmann: „Man bringt natürlich selber ein gewisses Wissen mit. Zum Beispiel bei dem Thema ‚Blue Note Records‘: Ich habe mit Tobi Dahmen telefoniert. Wir haben darüber gesprochen, wir hatten beide zwei Dokumentationen über die Geschichte von Blue Note Records gelesen und kamen beide auf den Gedanken, dass es ganz wichtig ist, auch klar zu machen, was zerstört wurde durch Antisemitismus, durch den Holocaust. Welcher kulturelle Reichtum aus Deutschland herausgetrieben wurde. Das sind Dinge, die wir wussten oder die präsent waren solche Geschichten wie um die beiden Gründer von Blue Note Records. Andere Sachen, wie zum Beispiel mit dem jüdischen Friedhof oder mit der Darmstädter Haggada, ergaben sich dann einfach, weil wir eine Gruppe von Leuten hatten in Darmstadt, die uns das zugetragen haben, also Leute aus dem Museum. Es gibt sehr kompetente Stadtführer, die sich speziell mit jüdischer Geschichte auskennen in Darmstadt. So kam eins zum anderen. Bei Antje Herden war es eine ganz persönliche Erfahrung. Bei Ka Schmitz war es zum Beispiel ein Schulprojekt, das sie gemacht hat über Fanny Azenstarck, eine Widerstandskämpferin, eine jüdischen Widerstandskämpferin Frankreich. So hat sich das aneinander gefügt.“
Anje Herden: „Was dabei richtig interessant und auch sehr schön war, war, dass wir - ohne dass wir das groß geplant hatten - plötzlich die ganzen 500 Jahre jüdischen Lebens in und um Darmstadt abgedeckt haben. Dadurch, dass die Leute sich ihre eigenen Themen heraus gesucht haben und wir dann noch die drei, vier Vorschläge hatten, hatten wir plötzlich tatsächlich 500 Jahre zeitlich abgedeckt. Das hat sich so schön gefügt! Das war wirklich ganz spannend und interessant und hat sich sehr gut aneinandergereiht.“
Es ist immer kritisch, wenn die Geschichte nicht ankommt
Deutschlandfunk Kultur: „Dennoch scheint es so, dass Sie in ein Fettnäpfchen getreten sind. In der Jüdischen Allgemeinen werden Sie, Frau Herden, dafür kritisiert, dass Sie in dem Comic „Aaron“ Sympathien für die Leiderfahrungen von Wehrmachtssoldaten schüren? Wie begegnen sie dieser Kritik?“
Antje Herden: „Ich muss zugeben, ich habe eben erst in der Vorbereitung für das Interview das überhaupt gelesen und ich bin völlig entsetzt, weil ich da feststelle, dass der Kritiker oder Rezensent oder Redakteur der Jüdischen Allgemeinen überhaupt nicht verstanden hat, was ich erzählen wollte mit dieser Geschichte! Es ist auch das erste Mal, dass mir jemand zu dieser - zu meiner Geschichte so begegnet. Ich habe überhaupt bisher noch nicht gewusst, dass die Geschichte missverständlich ist. Ich habe sie natürlich auch viel erzählt, sodass die Leute, die den Comic dann gesehen haben, vielleicht auch schon wussten, um was es in der Geschichte geht. Das ist natürlich immer kritisch, wenn man eine Geschichte schreibt oder eben auch zeichnet, wenn sie beim Gegenüber nicht ankommt, dann hat ja erstmal der Erzählende einen Fehler gemacht oder war ungenau oder nicht konkret. Das sehe ich auch alles ein. Aber ich bin doch echt erschrocken über die Kritik, vor allen Dingen auch über die Häme in der Kritik, denn ich finde, das ist überhaupt gar nicht nötig. Man kann ja hinweisen, dass da ein komischer Zustand ist, aber Häme muss nicht sein. Ich kann nur sagen, diese Geschichte ist falsch verstanden worden. Denn ich wollte natürlich auf gar keinen Fall kommentarlos oder unreflektiert - oder wie es in der Kritik heißt: ‚unterkomplex‘ - ein Mitleid hervorrufen mit Menschen, die antisemitisch sind oder Nazis sind. Sondern in dieser Geschichte geht es um eine ganz andere Situation. Es geht um eine sehr, sehr ambivalente Situation. Das Leben ist nun einmal einfach ambivalent und man kann viele Dinge nicht einteilen in Schubladen. Davon erzählt eigentlich diese Geschichte, in der eine junge Mutter - also das war ich, das ist 2021 passiert… Ich bin mit meinem Sohn im Kinderwagen zu einem Altpapier-Container gelaufen, wollte das Altpapier wegwerfen und plötzlich steht ein Mann vor mir, ein alter Mann, der mich fragte, wie mein Kind heißt. Und ich antwortete ‚Aaron‘ und dieser Mann ist völlig entsetzt, dass mein Kind Aaron heißt und macht mir das auch zum Vorwurf. Ich habe sofort gemerkt, da steht ein Antisemit vor mir. Ich habe dann aber nicht gerufen: ‚Oha, Sie Antisemit, gehen Sie mir aus dem Weg!‘, sondern ich habe ja in dem Moment einfach versucht, mit meinem Kind diese Pappe loszuwerden. In dem Moment brach aber bei dem was auf und er ließ mich so nicht weg und erzählte mir plötzlich seine Kriegserlebnisse als er mit 16 Jahren da im Osten russische Soldaten erschossen hat. Ich stand da völlig überfordert in dieser Situation, hörte einen Nazi, einen Antisemiten sprechen - der war ja immer noch Antisemit, wie er mir vorher gezeigt hatte. Dennoch war da ein Mensch, der mir erzählte, dass er mit 16 in den Krieg gebracht wurde und mordete. Diese Ambivalenz, was das mit einem macht, dass ich da nicht darauf vorbereitet war - und das ist vielleicht manchmal auch schwierig ist, eine Situation einzuschätzen und wie verwirrend das ist, wenn man dem so begegnet, weil es oft ja in meinem Leben zumindest nicht stattfindet oder stattfand, dass ich jemandem gegenüber stand, der sich plötzlich mir so dermaßen öffnete aufgrund des Namens meines Sohnes, der eben Aaron heißt. Das fand ich erzählenswert und wichtig und das ist scheinbar überhaupt nicht verstanden worden, sondern er hat mich eben in diese ja unterkomplexe Ecke, ‚zum Haare raufen‘, ein Mensch, der für Nazis Mitgefühl entwickelt. Das ist natürlich total heftig, weil - auf gar keinen Fall ist das etwas, was ich erzählen wollte!“
Alle können noch etwas lernen
Deutschlandfunk Kultur: „Ist das vielleicht auch ein Zeichen für die schwierige Beziehung zwischen jüdischen Menschen und nichtjüdischen Menschen in Deutschland?“
Antje Herden: „Auf alle Fälle! Ich habe in diesem Sommer sehr viel gelernt. Ich habe ja die Hälfte der redaktionellen Texte, die immer als erklärende Texte jedem Comic folgen, geschrieben und musste mich dementsprechend auch sehr mit diesen Themen auseinandersetzen, die mich sehr, sehr berührt haben und mir nochmal alles in einen größeren Kontext gesetzt haben. Ich glaube, das es wichtig ist, im Dialog zu sein und darüber zu sprechen und nicht zu vorverurteilen oder - also ich meine jetzt nicht die Nazis! Also Entschuldigung, nicht dass ich falsch verstanden werde, so Richtung, wie es in der Jüdischen Allgemeinen stand. Es geht mir nicht darum, Nazis zu verteidigen, warum sie morden oder antisemitisch sind, sondern es geht mir einfach darum, dass es auch für jemanden, der eventuell draußen steht oder nicht im Inneren steht, sehr schwierig ist mit dem Thema wirklich und wahrhaftig umzugehen. Darum finde ich auch unsere Anthologie so mega wichtig und interessant und spannend und fand auch die Auseinandersetzung mit dem Thema für mich total wichtig und glaube, dass da jeder noch etwas lernen kann, also wenn er das noch nicht getan hat. Ja, und ich denke, das ist ein Problem, das man da schnell was missversteht, weil man so polarisiert ist, obwohl das ist vielleicht auch ein falsches Wort, weil man so fokussiert ist auf eine bestimmte Meinung und ich glaube nicht, dass das immer gut tut. Also ich habe die Geschichte so wie sie besprochen wurde, auf gar keinen Fall gemeint.“
Deutschlandfunk Kultur: „Wo sie gerade Polarisierung sagen - einen anderen polarisierenden Begriff: nämlich die ‚kulturelle Aneignung‘. Könnte man das auch kulturelle Aneignung nennen, wenn Nichtjüdinnen und Nichtjuden eine Anthologie über jüdisches Leben schreiben?“
Antje Herden: „Das war genau mein Problem, warum ich am Anfang das Wort ‚vermessen‘ benutzte. Denn so fühlte ich mich und wir haben das auch in einer Redaktionssitzung besprochen, ob dem so wäre und ich hab mich dann von meinen Mitstreitern und -streiterinnen beruhigen lassen, dass wir das nicht getan haben - und Jakob erklärt jetzt, warum wir das nicht getan haben!“
Wir haben versucht Geschichten zu entdecken
Jakob Hoffmann: „Ob man das tut oder ob man das nicht tut, das kann man letztlich nicht alleine komplett beurteilen, aber was die Grundlage für die Arbeit an dieser Anthologie für uns war, war das Interesse. Das ist das absolut Entscheidende. Da gibt es nochmal einen wichtigen Unterschied, den man benennen muss, zwischen Aneignung und Interesse. Wir haben nicht den Eindruck, dass die Comic-Zeichner:innen, die wir angefragt haben, so tun, als müssten sie jetzt der Welt - vor allem der jüdischen Welt – erklären, was passiert ist und wie das alles vonstatten ging, über das da berichtet wird. Sondern wir haben versucht, möglichst viele interessante Geschichten in einem ganz breiten Spektrum zu entdecken und zeichnerisch umsetzen zu lassen. Das war das, was uns interessiert hat, und dazu wurden wir ganz stark ermutigt von der jüdischen Gemeinde und auch die Zeichner:innen fanden es einfach interessant, wie oft [sie] auch selber nochmal einen Bezug haben zu jüdischer Kultur, also sei es durch die Herkunft bei Simon Schwartz, der jüdische Vorfahren hat, Miriam Werner zum Beispiel, die in dem Comic von Moni Port die Autorin ist, ist Jüdin. Also ganz so ist es jetzt auch nicht, dass wir da völlig ohne jüdische Beteiligung das Ganze realisiert. Aber Aneignung? Ja, das ist eine kritische Anfrage, die man sich immer gefallen lassen muss, aber müsste es am einzelnen Comic erklären, wo das tatsächlich übergriffig geworden ist. Ich glaube, was wirklich zum Ausdruck kommt oder ich hoffe es zumindest, ist das Interesse an den Themen an den Geschichten an jüdischer Kultur, an jüdischen Biografien.“
Antje Herden: „Da kommt für mich auch noch ein zweiter Aspekt hinzu – oder für uns alle, nehme ich an: das ist der des Respekts. Es ist nicht nur Interesse an diesen Geschichten, sondern auch der Respekt vor den Geschichten und ich glaube, dass wir ein bisschen vorsichtig sein müssen mit diesem Begriff der kulturellen Aneignung, der wird heute auch sehr schnell gesprochen, ausgesprochen oder auch zum Vorwurf gemacht. In dem Moment, wo ich etwas über etwas erzähle, ist das ja nicht automatisch eine Aneignung! Eine Aneignung hat ja immer etwas mit Respektlosigkeit zu tun und dass ich mich über eine Sache darüber stelle und dann von oben herabschaue. Wenn es heißt ‚Naja, darf man das überhaupt? Ihr seid ja nun gar keine Juden und Jüdinnen…‘, darf man das eben nicht verwechseln mit unserem Ziel, unserem Begehr und dass wir eben über etwas berichten wollen mit Interesse und Respekt, aber nicht, dass wir so tun, als ob wir etwas besser wissen - als hätten wir den besseren Überblick oder als müssten wir den Leuten mal erzählen, wie es wirklich war. Das muss man dolle unterscheiden, wenn man den Begriff kulturelle Aneignung benutzt.“
Jakob Hoffmann: „Es ist das tägliche Brot von Schriftsteller:innen und von Comic-Zeichner:innen Geschichten über Dinge zu erzählen, die nicht automatisch nur ihre eigenen biografischen Geschichten sind.“