Nicht nur die Erde bebt
Nachdem am 23. Februar die Erde im saarländischen Kohleabbaugebiet heftig bebte, verhängte die Landesregierung einen sofortigen Abbaustopp. Die Kohleförderung im Saarland schien vor dem endgültigen Aus zu stehen. Doch mittlerweile darf in einigen Schächten wieder gearbeitet werden.
Am Mittwoch vergangener Woche auf der Anlage Duhamel des Bergwerks Saar. Nach fünf Wochen Stillstand fährt die erste Frühschicht wieder aus.
"Wenn man das gesagt hätte vor fünf Wochen, dass wir heute wieder anfahren, hätte jeder gesagt, Du bist nicht mehr fix im Kopf. Mulmig, weil man nicht weiß, was weiter kommt, aber ein Anfang war es. Als ich heute wieder ein Schild bewegt habe unter Tage, da waren die alten Geräusche wieder da, es ist das Beste, seiner Arbeit wieder nachgehen zu können."
Die Freude an der ersten Schicht aber ist nicht ungetrübt, denn zunächst geht es auf dem Bergwerk Saar lediglich für einen Teil der Beschäftigten weiter.
"Wir sind natürlich froh, dass hier wieder Kohle gefördert werden kann. Aber das gilt nur für ein Drittel der Belegschaft. Wahlschied muss kommen, damit wir mehr Arbeit für mehr Leute haben. Nur mit Grangeleisen wird das Bergwerk Saar nicht lange überleben. Ich wäre froh, die Leute würden alle schaffen gehen. Jetzt sind wir im Vorteil und dürfen hier arbeiten und die Mitarbeiter haben Angst, weil sie nicht wissen, ob Sie überhaupt wieder in Arbeit kommen."
Wie viele Bergleute in saarländischen Gruben tatsächlich wieder Arbeit finden werden, hängt von den noch ausstehenden Genehmigungen ab. Diese müssen von den Bergbehörden und damit von der saarländischen Landesregierung erst noch erteilt werden. Augenblicklich darf nur im sogenannten Flöz Grangeleisen Kohle abgebaut werden. Die Abbauerlaubnis für das Flöz Wahlschied West steht noch aus und für das Flöz Wahlschied Ost muss sie noch beantragt werden. Jedoch nur wenn aus allen Abbaufeldern Kohle gefördert werden darf, können zwei Drittel der 3500 Beschäftigten, die direkt dem Bergwerk zugeordnet sind, wieder Arbeit finden. Das Flöz Grangeleisen sichert Beschäftigung lediglich für bis zu 1100 Bergarbeiter. Martin Becker, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Bergwerks Saar:
"Es ist ein erster Schritt, um das Bergwerk wieder zum Laufen zu bringen, aber wir brauchen die Genehmigung des gesamten Konzeptes, das vorgelegt ist, weil nur das uns eine mittelfristige Perspektive bis zum Jahr 2012 sichert."
Nachdem am 23. Februar die Erde im saarländischen Abbaugebiet heftig gebebt hatte, war die Kohleförderung bis auf weiteres eingestellt worden. Von mittelfristigen Perspektiven war da nicht mehr die Rede. Im Gegenteil. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller von der CDU redete fortan vom endgültigen Abbaustopp. Er selbst hatte die Latte für die RAG, das bergbautreibende Unternehmen, hoch gelegt:
"Eine Überprüfung des Abbaustopps kann nur in Betracht kommen, wenn zweifelsfrei dargelegt wird, was die Ursachen sind und Gefahren für Leib und Leben sicher ausgeschlossen werden."
Müller glaubte selbst nicht daran, dass die RAG diese Hürde würde überspringen können, um die Kohleförderung im Bergwerk Saar wieder anlaufen zu lassen. Damit seine Botschaft auch verstanden wurde, fügte er hinzu:
"Es muss der zweifelsfreie Nachweis erbracht werden, eine bloße Möglichkeit, eine bloße Chance genügt aus Sicht der Landesregierung nicht."
Die saarländische Landesregierung war zunächst davon überzeugt, der saarländische Arbeitsmarkt würde es verkraften, sollten mehrere Tausend Bergleute ihren Arbeitsplatz in der Kohle verlieren. Ministerpräsident Peter Müller in einer Landtagsdebatte Anfang März:
"Durch die Kombination einer optimalen Nutzung bestehender Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb der RAG, der Ausnutzung und gegebenenfalls der Erweiterung der Instrumente der Personalanpassung und einer Intensivierung der Vermittlung betroffener Beschäftigter in andere Arbeitsplätze, ist es möglich, die mit einem Abbaustopp verbundenen Herausforderungen zu bestehen."
Die Bundesregierung zeigte sich nach Gesprächen mit der saarländischen Landesregierung jedoch zugeknöpft. Sie ist nicht bereit, die Instrumente der Personalanpassung zu erweitern. Konkret: Möglichkeiten zu schaffen, dass Bergbaubeschäftigte noch früher in Vorruhestand gehen können als dies bereits jetzt der Fall ist. Dazu wäre es nötig, das Steinkohlefinanzierungsgesetz wieder aufzuschnüren, das aber will weder der Bundeswirtschafts- noch der Bundesarbeitsminister. Darüber hinaus meldete sich die saarländische Energiewirtschaft zu Wort. Die Anlagen der vier großen saarländischen Kohlekraftwerke sind technisch auf die heimische Kohle angewiesen und können nicht von heute auf morgen umgestellt werden. Tim Hartmann Vorstandsvorsitzender der VSE, der Vereinigten Saar Elektrizitätswerke:
"Wenn wir auf Importkohle umstellen, ist das nicht 1:1 technisch möglich, das heißt wir müssen als erstes prüfen, welche Kohle können wir einsetzen, dafür brauchen wir Zeit."
Die Tests mit kolumbianischer, russischer oder südafrikanischer Kohle sind nicht nur zeitraubend, sie stellen die Kraftwerksbetreiber auch vor logistische Herausforderungen Tim Hartmann:
"Wir müssen in Summe 3,5 Millionen Tonnen an Kohlemengen über alternative Wege, Schifffahrt, Bahn hier her schaffen. Auch das ist schwierig, weil entsprechende Kapazitäten nicht einfach zur Verfügung stehen."
Nachdem der Neubau eines von der Landesregierung vehement unterstützten Großkraftwerkes am Bürgerwillen gescheitert war, wollte die Landesregierung keine Versorgungslücke der Kraftwerke riskieren. Überdies blieben in den zurückliegenden Wochen öffentliche Absichtserklärungen der Wirtschaft aus, sie stünde bereit, Bergarbeiter im großen Stil zu übernehmen.
Der Autobauer Ford, einer der größten Arbeitgeber vor Ort, und von der Politik in diesem Zusammenhang immer wieder genannt, äußerte sich in die entgegengesetzte Richtung. Bernhard Mattes, Vorstandsvorsitzender von Ford Deutschland:
"Wir haben jüngst erst 400 Mitarbeiter aus befristeten Arbeitsverhältnissen in unbefristete Arbeitsverhältnisse übernommen und ihnen damit eine Lebensperspektive geboten, damit sind unsere Kapazitäten derzeit erschöpft. Natürlich, wenn sich Gelegenheiten ergeben, Menschen Arbeit anzubieten, dann werden wird dies tun, derzeit ist es aber nicht der Fall."
Und schließlich waren es die Bergleute selbst, die dafür sorgten, dass die Landesregierung, die einen sofortigen Ausstieg aus dem saarländischen Bergbau favorisierte, ins Grübeln kam. Die Bergleute zeigten Gesicht. 5000 demonstrierten vor dem Landtag. Fast 10.000 begingen auf dem Bergwerk eine Mettenschicht. Eine Andacht, die zu besonderen Anlässen zu Ehren der Schutzpatronin der Bergleute, der Heiligen Barbara, abgehalten wird.
Der Betriebsratsvorsitzende des Bergwerks Saar, Hans-Jürgen Becker, sprach aus, was alle dachten:
"Wir haben alle Angst und wir fürchten alle um die Existenzen unserer Familien."
Lieder, Gedichte, Gebete wechselten bei der Mettenschicht einander ab.
Am Ende der Feier wurde ein Mahnfeuer entzündet.
"Das Feuer soll jeden und jedermann daran erinnern, dass Zweifelsfreiheit für jeden Industriebetrieb in unserem Land den Untergang bedeutet."
Das Wort zweifelsfrei war zum geflügelten Wort an der Saar geworden. Das Unternehmen hatte schon zu einem recht frühen Zeitpunkt öffentlich darauf hingewiesen, dass es einen zweifelsfreien Nachweis nicht werde erbringen können, dass es durch den Bergbau nicht wieder zu Erschütterungen kommen werde. Allerdings sei das Unternehmen in der Lage, mit Hilfe von Gutachten nachzuweisen, dass in den alternativen Abbaufeldern, in denen die Kohleförderung wieder aufgenommen wurde, keine Gefährdung für Gesundheit und Leben der Menschen bestünde. Mit der Einschätzung der Gutachter gibt sich die Landesregierung zufrieden. Nicht aber die Bergbaugegner. Hunderte haben am vergangen Wochenende erneut im Abbaugebiet demonstriert. Manfred Reiter, Sprecher des Landesverbandes der Bergbaubetroffenen:
"Müller geht offensichtlich davon aus, dass es im Flöz Grangeleisen nicht zu solch schweren Beben kommen wird, wie das in der Primsmulde der Fall gewesen ist. Aber das ist Lesen im Kaffeesatz."
Die Bergbaubetroffenen glaubten den Gutachtern kein einziges Wort mehr, da sie schon so häufig enttäuscht wurden.
"Es ist tatsächlich so, dass viele Leute den Angaben deshalb misstrauen, weil immer wieder Dinge versprochen wurden, die dann doch nicht eingehalten worden sind."
Die politische Forderung der Bergbaubetroffenen bleibt daher die gleiche wie schon seit Jahren, Bergbaustopp sofort. Und dafür - das haben sie am vergangen Wochenende angekündigt – dafür, wollen sie weiter auf die Straße gehen.
"Weil wir gegen den Abbau sind, wir wollen, dass er aufhört, egal wo. Damit das hier ein Ende hat, weil die Situation unerträglich wird. Sofort, überall, es ist nicht mehr nötig der Bergbau. Der Bergbau muss sofort aufhören, darf nicht mehr anfahren. Aber man hat uns belogen, sie sind wieder angefahren und deshalb steh ich hier."
Politisch unterstützt werden die Bergbaugegner von den Grünen und der FDP an der Saar. Christoph Hartmann, der Fraktionsvorsitzende der Liberalen im saarländischen Landtag, verlangt auf Bundesebene neue Verhandlungen darüber, wie der Ausstieg aus dem deutschen Steinkohlebergbau bis zum Jahr 2018 gestaltet werden kann. Ansetzen will Hartmann am Steinkohlefinanzierungsgesetz, das erst im vergangen Jahr beschlossen wurde.
"Bergbau kann nach unserer festen Überzeugung im Saarland nicht mehr durchgeführt werden. Das muss aufgrund der Debatte jeder sehen. Und deshalb sind wir der Auffassung, Berlin muss noch mal ran, wir müssen die Sache noch einmal aufdröseln."
Die Bereitschaft der Koalitionsparteien in Berlin, das Steinkohlefinanzierungsgesetz wieder aufzuschnüren, tendiert jedoch gen Null. Das bedeutet, im Saarland muss ein geordneter Rückzug und kein abruptes Ende des Steinkohlebergbaues organisiert werden. Denn sofort hieße Massenentlassungen. Diese sind jedoch mit den Vereinbarungen die zwischen der Bundesregierung, den Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen und dem Saarland sowie der Gewerkschaft IGBCE und dem Unternehmen getroffen worden sind nicht vereinbar. Der deutsche Steinkohlebergbau soll bis zum Jahr 2018 beendet werden, ohne dass die Beschäftigten auf der Straße stehen. Und trotz aller Stillstandsrhetorik ist auch die saarländische Landesregierung diesem Ziel verpflichtet. Ministerpräsident Peter Müller:
"Es besteht Übereinstimmung im Saarland, dass spätestens bis zum Jahr 2012 der Steinkohlenbergbau endet. Wir wollen diesen Prozess so gestalten, dass es nicht zu betriebsbedingten Kündigungen kommt."
Unter der Voraussetzung, dass bis zum Jahr 2012 weiter Kohle abgebaut wird, können nach Angaben der RAG zwei Drittel der insgesamt 4800 Menschen, die im saarländischen Bergbau arbeiten, zunächst weiterbeschäftigt werden. Der überwiegende Teil davon direkt auf dem Bergwerk, eine zweite Gruppe in den Werkstätten und ein kleiner Teil soll an die Ruhr verlegt werden. Für alle gilt, sie müssen die Altersgrenze von 50 respektive 57 Jahren erreichen, um in den Vorruhestand gehen zu können. Etwa 1000 Beschäftigte werden das Unternehmen verlassen müssen. Bernd Tönies, Vorstandsvorsitzender der RAG:
"Das sind die Jüngeren, die nicht anpassungsfähig sind. Das sind diejenigen, die befristete Arbeitsverträge haben oder gerade aus der Ausbildung kommen und da denke ich, sind die Vermittlungschancen außerordentlich gut."
Ziel und Verpflichtung zugleich ist es, dass die Betroffenen den saarländischen Arbeitsmarkt erst gar nicht belasten. Otto Werner Schade, Leiter der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit:
"Sie werden aus dem Beschäftigungsverhältnis heraus in andere Beschäftigung vermittelt. Das bedeutet, sie werden den Arbeitsmarkt überhaupt nicht belasten. Es ist eine klassische Vermittlung, die nicht zu Arbeitslosigkeit führt."
Für das Unternehmen ist die Arbeitsvermittlung Tagesgeschäft. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre besitzt es eine Lizenz als privater Arbeitsvermittler. Und der Arbeitsmarkt gilt derzeit für gut ausgebildete Leute als aufnahmefähig. Das hängt mit der breiten industriellen Basis zusammen, über die das Saarland verfügt. Anne Otto vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg:
"Sie ist stärker vertreten als in anderen Bundesländern. Und hier hat sich im kurzfristigen Wirtschaftsaufschwung gezeigt, dass die Fertigungsberufe sehr stark zugenommen haben beziehungsweise die Industriebranchen nicht so stark schrumpfen wie anderswo. Hier zeigt sich im Boom der letzten zwei Jahre, dass 4000 neue Voll- und Teilzeitarbeitsplätze entstanden sind."
Unklar ist jedoch, wie viele Beschäftigte aus der Zulieferindustrie ihre Jobs verlieren werden, wenn nach und nach die Aufträge ausbleiben. Bei den Zulieferbetrieben vom Becker über den Spediteur bis hin zum Spezialmaschinenanbieter steht eine Entlassungswelle an. Und damit diese nicht allzu viele Wogen schlägt, soll sich eine vom Land ins Leben gerufene Transferstelle um diese Klientel kümmern. Geleitet wird diese Vermittlungsstelle vom ehemaligen Wirtschaftsminister des Saarlandes Hans-Peter Georgie:
"Da gibt es grundsätzlich zwei Ansätze wie man das angehen kann. Einmal, dass man versucht, die Mannschaft, die freigesetzt wird, in toto zu halten, um ein Unternehmen zu finden dass sie übernehmen kann. Wenn das nicht gelingt, dann kommt der normale Fall der Einzelvermittlung."
Im Moment lässt sich die Zahl der Betroffenen noch nicht quantifizieren. Dafür ist es zu früh. Absehbar ist allerdings, dass die mittelständisch geprägte Bergbauzulieferbranche, die international tätig ist mit der vorzeitigen Beendigung des saarländischen Steinkohlebergbaus ihr Technikum, ihr Experimentierfeld verliert. Weltweit ist deutsche Bergbautechnik gefragt, weil überall auf der Welt die Kohleförderung beständig steigt und die geologischen Verhältnisse immer schwieriger werden. Wer sich daher für sensible Produkte made in Saarland entscheidet, der hätte auch gerne einen Eindruck davon, wie sich die Technik vor Ort bewährt. Vor Ort, zu Hause gibt es bald nicht mehr. Über kurz oder lang wird sich die Zulieferbranche daher weitestgehend in Richtung Ausland aufmachen. Die industrielle Basis des Saarlandes erschüttert diese Entwicklung sicherlich nicht. Das Saarland wird auch nach 2012 ein Industrieland bleiben. Heiko Maas, SPD-Landesvorsitzender.
"Wir wissen, dass, wenn das Saarland auf irgendein Wirtschaftswachstum in den vergangen Jahren zu verzeichnen hatte, dann war das auf die Stahlindustrie, auf die Automobilindustrie, den Maschinenbau zurückzuführen. Deshalb müssen wir uns dazu bekennen, dass wir ein Industrieland bleiben wollen, denn von nichts kommt nichts."
Das sieht auch Ministerpräsident Peter Müller nicht anders. Nur die Frage, wie sehr das Saarland auch weiterhin von den Traditionen des Bergbaues geprägt wird, da gehen die politischen Vorstellungen der Partien wohl auseinander.
"Der Bergbau steht für harte Arbeit, der Bergbau steht für Kameradschaft, der Bergbau steht für industrielle Arbeitsplätze, der Bergbau steht für Solidarität untereinander, der Bergbau steht für Schichtarbeit, all das sind Dinge , die wichtig sind für ein Land wie das Saarland und deshalb gilt es, diese Dinge zu bewahren."
Na dann: "Glück auf!"
"Wenn man das gesagt hätte vor fünf Wochen, dass wir heute wieder anfahren, hätte jeder gesagt, Du bist nicht mehr fix im Kopf. Mulmig, weil man nicht weiß, was weiter kommt, aber ein Anfang war es. Als ich heute wieder ein Schild bewegt habe unter Tage, da waren die alten Geräusche wieder da, es ist das Beste, seiner Arbeit wieder nachgehen zu können."
Die Freude an der ersten Schicht aber ist nicht ungetrübt, denn zunächst geht es auf dem Bergwerk Saar lediglich für einen Teil der Beschäftigten weiter.
"Wir sind natürlich froh, dass hier wieder Kohle gefördert werden kann. Aber das gilt nur für ein Drittel der Belegschaft. Wahlschied muss kommen, damit wir mehr Arbeit für mehr Leute haben. Nur mit Grangeleisen wird das Bergwerk Saar nicht lange überleben. Ich wäre froh, die Leute würden alle schaffen gehen. Jetzt sind wir im Vorteil und dürfen hier arbeiten und die Mitarbeiter haben Angst, weil sie nicht wissen, ob Sie überhaupt wieder in Arbeit kommen."
Wie viele Bergleute in saarländischen Gruben tatsächlich wieder Arbeit finden werden, hängt von den noch ausstehenden Genehmigungen ab. Diese müssen von den Bergbehörden und damit von der saarländischen Landesregierung erst noch erteilt werden. Augenblicklich darf nur im sogenannten Flöz Grangeleisen Kohle abgebaut werden. Die Abbauerlaubnis für das Flöz Wahlschied West steht noch aus und für das Flöz Wahlschied Ost muss sie noch beantragt werden. Jedoch nur wenn aus allen Abbaufeldern Kohle gefördert werden darf, können zwei Drittel der 3500 Beschäftigten, die direkt dem Bergwerk zugeordnet sind, wieder Arbeit finden. Das Flöz Grangeleisen sichert Beschäftigung lediglich für bis zu 1100 Bergarbeiter. Martin Becker, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Bergwerks Saar:
"Es ist ein erster Schritt, um das Bergwerk wieder zum Laufen zu bringen, aber wir brauchen die Genehmigung des gesamten Konzeptes, das vorgelegt ist, weil nur das uns eine mittelfristige Perspektive bis zum Jahr 2012 sichert."
Nachdem am 23. Februar die Erde im saarländischen Abbaugebiet heftig gebebt hatte, war die Kohleförderung bis auf weiteres eingestellt worden. Von mittelfristigen Perspektiven war da nicht mehr die Rede. Im Gegenteil. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller von der CDU redete fortan vom endgültigen Abbaustopp. Er selbst hatte die Latte für die RAG, das bergbautreibende Unternehmen, hoch gelegt:
"Eine Überprüfung des Abbaustopps kann nur in Betracht kommen, wenn zweifelsfrei dargelegt wird, was die Ursachen sind und Gefahren für Leib und Leben sicher ausgeschlossen werden."
Müller glaubte selbst nicht daran, dass die RAG diese Hürde würde überspringen können, um die Kohleförderung im Bergwerk Saar wieder anlaufen zu lassen. Damit seine Botschaft auch verstanden wurde, fügte er hinzu:
"Es muss der zweifelsfreie Nachweis erbracht werden, eine bloße Möglichkeit, eine bloße Chance genügt aus Sicht der Landesregierung nicht."
Die saarländische Landesregierung war zunächst davon überzeugt, der saarländische Arbeitsmarkt würde es verkraften, sollten mehrere Tausend Bergleute ihren Arbeitsplatz in der Kohle verlieren. Ministerpräsident Peter Müller in einer Landtagsdebatte Anfang März:
"Durch die Kombination einer optimalen Nutzung bestehender Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb der RAG, der Ausnutzung und gegebenenfalls der Erweiterung der Instrumente der Personalanpassung und einer Intensivierung der Vermittlung betroffener Beschäftigter in andere Arbeitsplätze, ist es möglich, die mit einem Abbaustopp verbundenen Herausforderungen zu bestehen."
Die Bundesregierung zeigte sich nach Gesprächen mit der saarländischen Landesregierung jedoch zugeknöpft. Sie ist nicht bereit, die Instrumente der Personalanpassung zu erweitern. Konkret: Möglichkeiten zu schaffen, dass Bergbaubeschäftigte noch früher in Vorruhestand gehen können als dies bereits jetzt der Fall ist. Dazu wäre es nötig, das Steinkohlefinanzierungsgesetz wieder aufzuschnüren, das aber will weder der Bundeswirtschafts- noch der Bundesarbeitsminister. Darüber hinaus meldete sich die saarländische Energiewirtschaft zu Wort. Die Anlagen der vier großen saarländischen Kohlekraftwerke sind technisch auf die heimische Kohle angewiesen und können nicht von heute auf morgen umgestellt werden. Tim Hartmann Vorstandsvorsitzender der VSE, der Vereinigten Saar Elektrizitätswerke:
"Wenn wir auf Importkohle umstellen, ist das nicht 1:1 technisch möglich, das heißt wir müssen als erstes prüfen, welche Kohle können wir einsetzen, dafür brauchen wir Zeit."
Die Tests mit kolumbianischer, russischer oder südafrikanischer Kohle sind nicht nur zeitraubend, sie stellen die Kraftwerksbetreiber auch vor logistische Herausforderungen Tim Hartmann:
"Wir müssen in Summe 3,5 Millionen Tonnen an Kohlemengen über alternative Wege, Schifffahrt, Bahn hier her schaffen. Auch das ist schwierig, weil entsprechende Kapazitäten nicht einfach zur Verfügung stehen."
Nachdem der Neubau eines von der Landesregierung vehement unterstützten Großkraftwerkes am Bürgerwillen gescheitert war, wollte die Landesregierung keine Versorgungslücke der Kraftwerke riskieren. Überdies blieben in den zurückliegenden Wochen öffentliche Absichtserklärungen der Wirtschaft aus, sie stünde bereit, Bergarbeiter im großen Stil zu übernehmen.
Der Autobauer Ford, einer der größten Arbeitgeber vor Ort, und von der Politik in diesem Zusammenhang immer wieder genannt, äußerte sich in die entgegengesetzte Richtung. Bernhard Mattes, Vorstandsvorsitzender von Ford Deutschland:
"Wir haben jüngst erst 400 Mitarbeiter aus befristeten Arbeitsverhältnissen in unbefristete Arbeitsverhältnisse übernommen und ihnen damit eine Lebensperspektive geboten, damit sind unsere Kapazitäten derzeit erschöpft. Natürlich, wenn sich Gelegenheiten ergeben, Menschen Arbeit anzubieten, dann werden wird dies tun, derzeit ist es aber nicht der Fall."
Und schließlich waren es die Bergleute selbst, die dafür sorgten, dass die Landesregierung, die einen sofortigen Ausstieg aus dem saarländischen Bergbau favorisierte, ins Grübeln kam. Die Bergleute zeigten Gesicht. 5000 demonstrierten vor dem Landtag. Fast 10.000 begingen auf dem Bergwerk eine Mettenschicht. Eine Andacht, die zu besonderen Anlässen zu Ehren der Schutzpatronin der Bergleute, der Heiligen Barbara, abgehalten wird.
Der Betriebsratsvorsitzende des Bergwerks Saar, Hans-Jürgen Becker, sprach aus, was alle dachten:
"Wir haben alle Angst und wir fürchten alle um die Existenzen unserer Familien."
Lieder, Gedichte, Gebete wechselten bei der Mettenschicht einander ab.
Am Ende der Feier wurde ein Mahnfeuer entzündet.
"Das Feuer soll jeden und jedermann daran erinnern, dass Zweifelsfreiheit für jeden Industriebetrieb in unserem Land den Untergang bedeutet."
Das Wort zweifelsfrei war zum geflügelten Wort an der Saar geworden. Das Unternehmen hatte schon zu einem recht frühen Zeitpunkt öffentlich darauf hingewiesen, dass es einen zweifelsfreien Nachweis nicht werde erbringen können, dass es durch den Bergbau nicht wieder zu Erschütterungen kommen werde. Allerdings sei das Unternehmen in der Lage, mit Hilfe von Gutachten nachzuweisen, dass in den alternativen Abbaufeldern, in denen die Kohleförderung wieder aufgenommen wurde, keine Gefährdung für Gesundheit und Leben der Menschen bestünde. Mit der Einschätzung der Gutachter gibt sich die Landesregierung zufrieden. Nicht aber die Bergbaugegner. Hunderte haben am vergangen Wochenende erneut im Abbaugebiet demonstriert. Manfred Reiter, Sprecher des Landesverbandes der Bergbaubetroffenen:
"Müller geht offensichtlich davon aus, dass es im Flöz Grangeleisen nicht zu solch schweren Beben kommen wird, wie das in der Primsmulde der Fall gewesen ist. Aber das ist Lesen im Kaffeesatz."
Die Bergbaubetroffenen glaubten den Gutachtern kein einziges Wort mehr, da sie schon so häufig enttäuscht wurden.
"Es ist tatsächlich so, dass viele Leute den Angaben deshalb misstrauen, weil immer wieder Dinge versprochen wurden, die dann doch nicht eingehalten worden sind."
Die politische Forderung der Bergbaubetroffenen bleibt daher die gleiche wie schon seit Jahren, Bergbaustopp sofort. Und dafür - das haben sie am vergangen Wochenende angekündigt – dafür, wollen sie weiter auf die Straße gehen.
"Weil wir gegen den Abbau sind, wir wollen, dass er aufhört, egal wo. Damit das hier ein Ende hat, weil die Situation unerträglich wird. Sofort, überall, es ist nicht mehr nötig der Bergbau. Der Bergbau muss sofort aufhören, darf nicht mehr anfahren. Aber man hat uns belogen, sie sind wieder angefahren und deshalb steh ich hier."
Politisch unterstützt werden die Bergbaugegner von den Grünen und der FDP an der Saar. Christoph Hartmann, der Fraktionsvorsitzende der Liberalen im saarländischen Landtag, verlangt auf Bundesebene neue Verhandlungen darüber, wie der Ausstieg aus dem deutschen Steinkohlebergbau bis zum Jahr 2018 gestaltet werden kann. Ansetzen will Hartmann am Steinkohlefinanzierungsgesetz, das erst im vergangen Jahr beschlossen wurde.
"Bergbau kann nach unserer festen Überzeugung im Saarland nicht mehr durchgeführt werden. Das muss aufgrund der Debatte jeder sehen. Und deshalb sind wir der Auffassung, Berlin muss noch mal ran, wir müssen die Sache noch einmal aufdröseln."
Die Bereitschaft der Koalitionsparteien in Berlin, das Steinkohlefinanzierungsgesetz wieder aufzuschnüren, tendiert jedoch gen Null. Das bedeutet, im Saarland muss ein geordneter Rückzug und kein abruptes Ende des Steinkohlebergbaues organisiert werden. Denn sofort hieße Massenentlassungen. Diese sind jedoch mit den Vereinbarungen die zwischen der Bundesregierung, den Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen und dem Saarland sowie der Gewerkschaft IGBCE und dem Unternehmen getroffen worden sind nicht vereinbar. Der deutsche Steinkohlebergbau soll bis zum Jahr 2018 beendet werden, ohne dass die Beschäftigten auf der Straße stehen. Und trotz aller Stillstandsrhetorik ist auch die saarländische Landesregierung diesem Ziel verpflichtet. Ministerpräsident Peter Müller:
"Es besteht Übereinstimmung im Saarland, dass spätestens bis zum Jahr 2012 der Steinkohlenbergbau endet. Wir wollen diesen Prozess so gestalten, dass es nicht zu betriebsbedingten Kündigungen kommt."
Unter der Voraussetzung, dass bis zum Jahr 2012 weiter Kohle abgebaut wird, können nach Angaben der RAG zwei Drittel der insgesamt 4800 Menschen, die im saarländischen Bergbau arbeiten, zunächst weiterbeschäftigt werden. Der überwiegende Teil davon direkt auf dem Bergwerk, eine zweite Gruppe in den Werkstätten und ein kleiner Teil soll an die Ruhr verlegt werden. Für alle gilt, sie müssen die Altersgrenze von 50 respektive 57 Jahren erreichen, um in den Vorruhestand gehen zu können. Etwa 1000 Beschäftigte werden das Unternehmen verlassen müssen. Bernd Tönies, Vorstandsvorsitzender der RAG:
"Das sind die Jüngeren, die nicht anpassungsfähig sind. Das sind diejenigen, die befristete Arbeitsverträge haben oder gerade aus der Ausbildung kommen und da denke ich, sind die Vermittlungschancen außerordentlich gut."
Ziel und Verpflichtung zugleich ist es, dass die Betroffenen den saarländischen Arbeitsmarkt erst gar nicht belasten. Otto Werner Schade, Leiter der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit:
"Sie werden aus dem Beschäftigungsverhältnis heraus in andere Beschäftigung vermittelt. Das bedeutet, sie werden den Arbeitsmarkt überhaupt nicht belasten. Es ist eine klassische Vermittlung, die nicht zu Arbeitslosigkeit führt."
Für das Unternehmen ist die Arbeitsvermittlung Tagesgeschäft. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre besitzt es eine Lizenz als privater Arbeitsvermittler. Und der Arbeitsmarkt gilt derzeit für gut ausgebildete Leute als aufnahmefähig. Das hängt mit der breiten industriellen Basis zusammen, über die das Saarland verfügt. Anne Otto vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg:
"Sie ist stärker vertreten als in anderen Bundesländern. Und hier hat sich im kurzfristigen Wirtschaftsaufschwung gezeigt, dass die Fertigungsberufe sehr stark zugenommen haben beziehungsweise die Industriebranchen nicht so stark schrumpfen wie anderswo. Hier zeigt sich im Boom der letzten zwei Jahre, dass 4000 neue Voll- und Teilzeitarbeitsplätze entstanden sind."
Unklar ist jedoch, wie viele Beschäftigte aus der Zulieferindustrie ihre Jobs verlieren werden, wenn nach und nach die Aufträge ausbleiben. Bei den Zulieferbetrieben vom Becker über den Spediteur bis hin zum Spezialmaschinenanbieter steht eine Entlassungswelle an. Und damit diese nicht allzu viele Wogen schlägt, soll sich eine vom Land ins Leben gerufene Transferstelle um diese Klientel kümmern. Geleitet wird diese Vermittlungsstelle vom ehemaligen Wirtschaftsminister des Saarlandes Hans-Peter Georgie:
"Da gibt es grundsätzlich zwei Ansätze wie man das angehen kann. Einmal, dass man versucht, die Mannschaft, die freigesetzt wird, in toto zu halten, um ein Unternehmen zu finden dass sie übernehmen kann. Wenn das nicht gelingt, dann kommt der normale Fall der Einzelvermittlung."
Im Moment lässt sich die Zahl der Betroffenen noch nicht quantifizieren. Dafür ist es zu früh. Absehbar ist allerdings, dass die mittelständisch geprägte Bergbauzulieferbranche, die international tätig ist mit der vorzeitigen Beendigung des saarländischen Steinkohlebergbaus ihr Technikum, ihr Experimentierfeld verliert. Weltweit ist deutsche Bergbautechnik gefragt, weil überall auf der Welt die Kohleförderung beständig steigt und die geologischen Verhältnisse immer schwieriger werden. Wer sich daher für sensible Produkte made in Saarland entscheidet, der hätte auch gerne einen Eindruck davon, wie sich die Technik vor Ort bewährt. Vor Ort, zu Hause gibt es bald nicht mehr. Über kurz oder lang wird sich die Zulieferbranche daher weitestgehend in Richtung Ausland aufmachen. Die industrielle Basis des Saarlandes erschüttert diese Entwicklung sicherlich nicht. Das Saarland wird auch nach 2012 ein Industrieland bleiben. Heiko Maas, SPD-Landesvorsitzender.
"Wir wissen, dass, wenn das Saarland auf irgendein Wirtschaftswachstum in den vergangen Jahren zu verzeichnen hatte, dann war das auf die Stahlindustrie, auf die Automobilindustrie, den Maschinenbau zurückzuführen. Deshalb müssen wir uns dazu bekennen, dass wir ein Industrieland bleiben wollen, denn von nichts kommt nichts."
Das sieht auch Ministerpräsident Peter Müller nicht anders. Nur die Frage, wie sehr das Saarland auch weiterhin von den Traditionen des Bergbaues geprägt wird, da gehen die politischen Vorstellungen der Partien wohl auseinander.
"Der Bergbau steht für harte Arbeit, der Bergbau steht für Kameradschaft, der Bergbau steht für industrielle Arbeitsplätze, der Bergbau steht für Solidarität untereinander, der Bergbau steht für Schichtarbeit, all das sind Dinge , die wichtig sind für ein Land wie das Saarland und deshalb gilt es, diese Dinge zu bewahren."
Na dann: "Glück auf!"