"Nicht nur etwa Schluss mit lustig, sondern auch Schluss mit ernst"

Das Gespräch führte Dieter Kassel |
Von ein paar hundert Klicks könnten Autoren nicht leben, meint Matthias Politycki, der den Aufruf "Wir sind Urheber" unterschrieben hat. Das bisherige System inklusive einer Buchpreisbindung habe sehr gut funktioniert und eine "wirkliche Kulturnation" ermöglicht.
Dieter Kassel: In der Wochenzeitung "Die Zeit" erschien gestern ein Aufruf, der von über 100 deutschen Schriftstellern und anderen Künstlern unterschrieben wurde und in dem es um die Erhaltung des Urheberrechts in seiner bisherigen Form geht. "Wir sind Urheber – gegen den Diebstahl geistigen Eigentums", das steht als Überschrift über diesem Aufruf, und es geht, wie erwähnt, darum, das Urheberrecht zu erhalten, es auch in der digitalen Welt durchzusetzen. Es geht diesen Schriftstellern – das wird auch im Text so gesagt – darum, zu erklären, dass Verlage, Galerien, Produzenten oder Verwertungsgesellschaften für sie wichtige Partner sind und nicht Gegner, wie gelegentlich behauptet, und es ist die Rede von großen Internetkonzernen, die mit ihren Geschäftsmodellen auch die Enteignung von Schriftstellern und anderen Urhebern in Kauf nehmen.

Starke Worte, die natürlich auch schon Widerspruch gefunden haben, aber wir wollen jetzt gar keinen Widerspruch hören, sondern erst mal mit einem der Schriftsteller reden, die diesen Aufruf unterzeichnet haben. Es ist Matthias Politycki, der mit Romanen wie "In 180 Tagen um die Welt", "Weiberroman" und ganz aktuell mit seinem Buch "London für Helden", in dem es um britisches Bier geht, tatsächlich Geld verdient, und das auch mit diesem Urheberrecht bisher durchsetzen konnte. Schönen guten Tag erst mal, Herr Politycki!

Matthias Politycki: Ja, guten Tag!

Kassel: Warum haben Sie unterschrieben?

Politycki: Na ja, Sie sagen es, die Wahrheit hinter den Kulissen ist einfach: Wir müssen alle auch von dem, was wir tun, leben, da unterscheiden wir uns nicht von anderen Berufen, und das müssen wir auch langfristig. Das heißt, wir können nicht sozusagen tagesaktuell oder klickrelevant produzieren, sondern oft über Jahre nur hinweg. Und da treten unsere, ja, in meinem Fall die Verlage ja auch in eine Vorleistung und sichern uns ein jahrelanges Vorschusszahlen zu, auf dass Romane entstehen können. Und wenn das sich jetzt ändern sollte, dann wäre das nicht nur etwa Schluss mit lustig, sondern auch Schluss mit ernst, das wäre vielleicht doch der übliche Siegeszug des Mainstreams, der dadurch befördert wird, und das könnte man rechtzeitig vielleicht auch durch so einen Aufruf mal zur Sprache bringen und thematisieren.

Kassel: Nun reden Sie von einem möglichen Siegeszug des Mainstreams. Manche sagen natürlich das genaue Gegenteil, denn ein Verlag, vorher vielleicht auch schon Literaturagent, wenn man denn einen hat, aber auch ein Verlag filtert ja. Ein Verlag sagt ja im Prinzip: Du darfst bei uns und du darfst nicht. Im Internet darf ja eigentlich jeder.

Politycki: Das, glaube ich, ist eine Illusion, das ist ja schon vor Jahren als Wüste Internet enttarnt worden. Es kommt ja darauf an, unter welchen Portalen Sie im Internet starten. Einfach nur irgendwo drauf hoffen, gefunden zu werden, erzeugt dann vielleicht im Laufe der Monate ein paar hundert Klickzahlen, aber davon könnten wir nicht leben.

Kassel: Es heißt in diesem Aufruf wörtlich, ich zitiere das mal: "Es gilt, den Schutz des Urheberrechts zu stärken und den heutigen Bedingungen des schnellen und massenhaften Zugangs zu den Produkten geistiger Arbeit anzupassen." Wie soll denn diese Anpassung aussehen?

Politycki: Also als Privatperson bin ich natürlich auch User von Portalen, in denen beispielsweise Musikstücke zum Download angeboten werden, ganz legal, man zahlt 99 Cent dafür und hat sein Vergnügen. Möglicherweise ist das etwas, was die Musikindustrie sehr, sehr spät gelernt hat – sie hat ja eigentlich vorgemacht, sie man vieles falsch machen kann im Umgang mit dem Internet –, aber dass bei Downloads gezahlt werden muss, ich glaube, das ist eine Conditio sine qua non. Einfach nur alles, was dann irgendwann mal digitalisiert wird, freizugeben, wäre fatal.

Kassel: Aber gerade der Vergleich mit der Musikindustrie. Es sind ja bei diesem Aufruf nun im Wesentlichen Schriftsteller, teilweise hauptberufliche, teilweise nebenberufliche, das sind unterschiedliche Leute, Martin Walser ist dabei, Charlotte Roche und viele andere. Wenn wir diesen Vergleich jetzt nehmen von der Musik zum Buch – bei der Musik war es aber auch so, dass die Musikindustrie am Anfang doch deutlich gezeigt hat: Na ja, eigentlich dieses Internet und Musik runterladen, wir wollen das so richtig sowieso nicht. Und erst, als dann Apple mit I-Tunes kam und später auch andere, haben sie gesagt, okay, jetzt müssen wir. Sehen wir nicht genau das jetzt bei Büchern? Im Moment verdienen das Geld, das es mit E-Books schon zu verdienen gibt, in Deutschland ist es noch nicht so viel, Amazon und auch wieder Apple mit I-Books, und die Verlage zögern und wollen es ja am liebsten doch nicht.

Politycki: Das stimmt nicht. Ich habe mich bewusst auch bei meinem Verlag Hoffmann & Campe erkundigt: Da wird es sehr genau nicht nur beobachtet, sondern auch betrieben. Das heißt, es gibt etliche Bücher auch von mir als E-Book, im Übrigen wird am sogenannten Enhanced E-Book gearbeitet, da können Sie also beispielsweise die Originalorte noch mit draufspielen als Film oder auch meinetwegen den Soundtrack oder das Ganze als Lesung, was auch immer. Es gibt dort auch Arbeitsplätze inzwischen, also das heißt, Leute, die im Verlag sitzen und sich darum kümmern.

Im Grunde muss man sich das so vorstellen, dass eigentlich an ein- und derselben Sache, nämlich der Verwertung von Fantasie unter Zuhilfenahme von Sprache – nur in einem anderen Medium – gearbeitet wird. Für mich ist das Internet nichts kategoriell Neues. Wir erzählen, wenn wir uns als Romanciers verstehen, wir erzählen Geschichten, vielleicht früher mal auf dem Marktplatz, und wurden kapitelweise sozusagen bezahlt, wenn es gut genug war, und inzwischen erzählen wir sie nicht nur zwischen zwei Pappdeckeln, sondern natürlich auch im Internet. Es kommt auf die Inhalte drauf an, nicht unbedingt auf das Medium, das sie transportiert.

Kassel: Nun hat sich natürlich – ein letztes Mal noch der Vergleich zur Musikindustrie – es sich die Musikindustrie mit vielen Nutzern auch verscherzt, weil sie relativ schnell diese Leute kriminalisiert hat zu Zeiten, wo es noch nicht so einfach war wie heute, auch legal Musik runterzuladen. In dem Aufruf – er ist, wie gesagt, ja eigentlich gestern in der "Zeit" erschienen, inzwischen natürlich im Internet verfügbar und da unterzeichnen immer mehr –, in dem Aufruf, da steht das nicht wörtlich, aber in dem Begleittext von Adam Soboczynski in der "Zeit" gestern, da heißt es unter anderem, das Urheberrecht müsse gestärkt und auch in den neuen digitalen Gegebenheiten durchgesetzt werden mit, ich zitiere wörtlich, "mit welchen Mitteln auch immer". Würden Sie diesen Zusatz auch unterschreiben?

Politycki: Also ich finde das Urheberrecht, wie es jetzt ist, eigentlich ziemlich prima, vor allen Dingen, weil es auch, weil wir auch von Randparametern, die gar nicht so sehr in der jetzigen Debatte zur Sprache kommen, nämlich wie der Preisbindung, leben, und zwar nicht nur so là là, sondern sehr gut, als wirkliche Kulturnation. Das sieht in anderen Ländern, wenn man in die Buchhandlungen geht, ganz anders aus. Was ein bisschen – "mit allen Mitteln" – mir so zu denken gibt, ist: Wenn ich zum Beispiel an Schulen lese oder auch an Universitäten, dann wird mir gern strahlend versichert, dass auch das spontane Hineinnehmen beispielsweise meiner eigenen Texte in die Lehrpläne überhaupt kein Problem sei, weil man ja sogenannte Reader auch zusammenstellen kann und dies auch fleißig tue. Reader bedeutet: Da hat halt einer noch das Buch gekauft oder sich besorgt vielleicht auch nur, gescannt und dann aber für dutzende und manchmal eben auch hunderte Reader zusammen zum Abruf gestellt ins Internet, es ist ein Intranet, das gebe ich gerne zu, das ist wieder noch ein bisschen anders, aber es brechen da ganz gewichtige Verkaufszahlen schon seit Jahren immer mehr weg für die Verlage, wovon sie leben.

Kassel: Aber Herr Politycki, aber gerade bei dem, was Sie als Beispiel bringen: Sie haben gerade selber gesagt, es ist doch nur eine neue Hülle für alte Inhalte, das hätte man früher mit dem Fotokopierer so gemacht oder mit diesen komischen blauen Matrizen.

Politycki: Hat man aber nicht. Ich habe ja … Ich kann mich noch erinnern, wie es früher war. Man hat sich dort als Student halt dann das Taschenbuch gekauft beziehungsweise natürlich hat man manches kopiert, aber wir haben ja jetzt eine Dimension erreicht durch Einscannen und damit auch gewissermaßen weltweit in die Schülerforen einstellen – das ist eine andere. Ich kriege das manchmal als Google-Alert ja auch mit, was passiert in solchen Schülerforen. Also da werden Texte schon auf ganz andere Weise inzwischen vertrieben und verklappt, als das zu unseren Zeiten möglich war. Das ist ja jetzt nicht schlecht, ich will mich nicht hier als Buhmann hinstellen, der das alles ablehnt, aber wir müssen uns mit offenen Augen und auch gut gelaunt des Themas annehmen.

Kassel: Gut gelaunt ist immer gut, aber bleiben wir mal trotzdem ganz stur, für mich untypisch, bei "mit allen Mitteln". Wenn Sie jetzt diesen Studenten, die Sie da zum Beispiel erlebt haben, die Sie gerade beschrieben haben, sagen, das dürft ihr nicht – das können Sie sagen, denn das ist ja de facto so –, also wenn Sie denen sagen, und weil ihr das trotzdem macht, würde ich es gerne haben, dass man irgendwelche Trojaner auf eure Computer schickt, die das überprüfen, ich möchte, dass notfalls euer Internetanschluss zuhause gesperrt wird, wenn ihr das weiter macht und ich möchte auch, dass ihr richtig hart bestraft werdet – glauben Sie, als Reaktion auf so einen Vorschlag werden die dann freiwillig Ihre Bücher kaufen?

Politycki: Also übrigens würde ich niemals diese Position einnehmen.

Kassel: Ja, "mit allen Mitteln", stand ja in der "Zeit".

Politycki: Ja, aber das stand ja nicht in meinem Artikel, das habe ich nicht geschrieben. Ich habe die Unterzeichnung nur eben für den Aufruf als solchen geleistet und nicht für den Artikel, der in der "Zeit" steht, das muss ich …

Kassel: Das wollte ich wissen zum Beispiel.

Politycki: Ja, ganz sicher. Was mir eigentlich wichtig wäre, den Anlass, der jetzt vielleicht auch wieder in der typischen Empörung von der einen und der anderen Seite richtig hochkocht, jetzt auch mal am Schopf zu packen und Interessensgemeinschaften zu bilden, die eben jenseits einer hitzig geführten öffentlichen Debatte, aber ausgehend von ihr – also insofern ist das gut, dass wir uns jetzt unterhalten und auch alles, was sonst in den Medien passiert –, aber ausgehend von dieser hochschwappenden Welle dann mal eben die Kärrnerdienste im Tal zu erledigen und nach Möglichkeiten zu suchen, wie man auch solche Sachen wieder in den legalen Bereich zurückführt. Es ist ganz klar, dass so was inzwischen Usus ist und im Übrigen sind wir auch stolz auf jeden Leser, den wir haben, auch den, der sich die Sachen illegitim verschafft, denn da sitzen ja zwei Seelen in unserer Brust. Wir sind ja nicht Gegner dieses wilden Lesens, nur wir müssen, wie jeder andere auch, die Überlebensinteressen einfach in dem Fall doch rechtzeitig zum Ausdruck bringen.

Kassel: Herr Politycki, ich würde gerne noch mindestens eine Stunde mit Ihnen darüber reden, das können wir an dieser Stelle nicht tun. Ich denke aber, andere Gelegenheiten wird es geben. Ich möchte eines nicht versäumen: Ich möchte mich bei Ihnen für das Gespräch bedanken aus einem ganz speziellen Grund, das haben wir gesagt: Über 100 Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben das Ding ursprünglich unterschrieben, inzwischen sind es mehr, und wir haben – ich nenne jetzt mal keine Namen – ungefähr ein Dutzend angerufen. Nicht, weil wir Sie nicht wollten, aber man muss ja auf Rückrufe warten. Wir haben viele angerufen und es haben viele gesagt, ich will mit euch nicht darüber reden, weil ich es eigentlich nicht verstehe. Und da es eine komplizierte Materie ist, bin ich Ihnen dankbar, dass Sie es trotzdem gemacht haben und danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Herr Politycki!

Politycki: Danke gleichfalls!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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