Nicht nur Sushi, Mangas und Zen

Der fragwürdige Japan-Boom

Ein junger Japaner zeigt seinen großflächig tätowierten Oberkörper. Er hat sich ein weißes Band mit lila Zeichen um den Kopf gebunden.
Das gewalttätige Japan: Ein Mitglied der Yakuza präsentiert seinen tätowierten Oberkörper. © dpa/ picture alliance/ Zuma Wire/ Raul Ariano
Christoph Peters im Gespräch mit Frank Meyer |
Die Begeisterung für die japanische Kultur hat hierzulande einen neuen Höhepunkt erreicht. Die reaktionären und revanchistischen Traditionen, in denen das Land verhaftet ist, blenden wir dabei völlig aus, meint der Autor Christoph Peters.
Frank Meyer: Die Begeisterung für die japanische Kultur, die gibt es bei uns schon sehr lange und sie tritt in immer neuen Wellen auf. Zurzeit sind wir offenbar auf dem Höhepunkt so einer neuen Welle: Essen aus Japan und Design aus Japan sind sehr gefragt. Man kann überall japanische Teezeremonien erlernen oder sich in Zen-Buddhismus vertiefen, sogar Hunde aus Japan sollen bei uns in Mode gekommen sein. Auch der Buchmarkt schaut gerade sehr aufmerksam nach Japan, bei den Mangas sowieso, aber in diesem Jahr sind auch besonders viele Kriminalromane aus Japan bei uns erschienen.
Über den neuen Japan-Boom reden wir jetzt mit einem Mann, der dafür doppelt begabt ist, der beschäftigt sich seit vielen Jahren höchst intensiv mit Kultur und Religion und Tradition des Landes – und er schreibt Bücher, die immer wieder in Japan spielen. Christoph Peters heißt der Autor und der ist jetzt hier bei uns im Studio. Seien Sie willkommen, Herr Peters!
Christoph Peters: Guten Morgen!
Meyer: "Das Jahr der Katze" heißt Ihr neues Buch, das ist ein philosophischer Yakuza-Thriller hieß es in einer Besprechung – das ist ja so eine Art japanische Mafia, Yakuzas. Es geht um Zen und Gewalt, könnte man das so in aller Kürze sagen zu Ihrem Buch?
Peters: Ja, es geht unter anderem um Zen und Gewalt. Es ist natürlich auch ein Roadmovie, wenn man so will. Ich habe ja zwei Romane geschrieben, die sich sozusagen mit der in Europa sehr beliebten und bekannten schönen Seite der japanischen Kultur beschäftigen, und dann habe ich irgendwann, da Japan ja auch immer diese dunkle Seite auch hatte, eine sehr starke Gewaltaffinität, bis ins Mittelalter hinein waren die japanischen Krieger wegen ihrer Brutalität sehr berüchtigt.
Und diese Krieger waren natürlich auch in derselben geistigen Tradition großgeworden wie die Leute, die Teezeremonie gemacht haben, zum Teil waren es sogar dieselben Leute – die Krieger beschäftigten Teemeister, um sich vor der Schlacht noch mal zu sammeln und dann gegenseitig die Köpfe abzuhacken. Da ich keinen historischen Roman schreiben wollte, habe ich gedacht, nehme ich die Yakuza, die sich als Erben der Samurai und als rechtsreaktionäre Traditionalisten sehen, und die passten dann eigentlich ganz gut, um diese andere Seite Japans mal auszuloten.

Gewalt in der Kultur – skrupellos und monströs

Meyer: Wie haben Sie sich das eigentlich erklärt, wie das zusammenpasst, diese eine Seite Teezeremonie, Zen-Buddhismus, Versenkung, Stille, Besinnlichkeit, Friedlichkeit – und dann aber diese starke Affinität zur Gewalt. Wie hängt das zusammen?
Peters: Ich glaube, der Mensch insgesamt ist, egal ob er religiös ist, spirituell ist, potenziell immer auch gewaltbereit. Ich glaube aber, dass eine bestimmte Art von Gewalttätigkeit durchaus durch bestimmte religiöse, spirituelle Übungen ich will nicht sagen befördert werden kann, aber perfektioniert werden kann. Ich meine, wenn ich als auszubildender Schwertkämpfer oder als Krieger tief lerne, dass das Leben in dieser Welt nur ein Spiel ist, die Kehrseite eines jenseitigen Lebens, was dann wieder zu einem diesseitigen Leben wird, es ist ein ewiger Kreislauf der Wiedergeburten, in dem ich mich bewege – eigentlich ist die eine Seite so gut wie die andere – und dann gleichzeitig spirituelle Techniken erlerne, die mich in die Lage versetzen, ausschließlich im totalen Augenblick zu sein, also Vergangenheit und Zukunft zu vergessen und nur den Moment zu sehen, da sogar zu vergessen, dass ich jetzt siegen will oder zu verlieren drohe, und mich nur noch mit den Bewegungen des Arms und des Schwertes beschäftige, dann hat das zur Folge, dass ich, zumindest diese traditionellen Handwerker des Tötens, das einfach sehr perfekt beherrsche.
Und da Moral dann im Endeffekt im Augenblick keine Rolle spielt, sondern jeder Augenblick nur eine Konstellation ist, ein Aufeinanderprallen von Kräften und nicht die Frage von Ich und Du, sondern die Kräfte, die universalen Kräfte manifestieren sich in diesem Moment, wo ich auf den Gegner treffe, für einen ganz kurzen Augenblick und dann geht es irgendwie wieder weiter, für den einen mit Arm, für den anderen ohne. Da spielt irgendwie keine Skrupellosigkeit eine Rolle, das macht den Krieger frei und natürlich unter Umständen auch monströs.
Zwei traditionelle japanische Schwerter liegen auf einer Holzfläche
Auch die Verherrlichung von Gewalt gehört zur japanischen Tradition.© imago / imagebroker
Meyer: Interessant ist auch an Ihrem Roman, dass Sie da eine junge, emanzipierte Deutsche hineinschicken in die japanische Gesellschaft und speziell in die Gesellschaft der japanischen Kriminellen, eben der Yakuza, die richtige, ausgewachsene Machos sind, zum größten Teil jedenfalls. Ist das auch ein Bild für die japanische Gesellschaft, ist die nach wie vor so stark von Männlichkeit und Machismo geprägt?
Peters: Die Frauenemanzipation tut sich in Japan, glaube ich, trotz aller möglichen Ansätze immer noch sehr schwer, wobei Frauenemanzipation und hierarchisches Denken irgendwie auf eine fatale Weise auch zum Teil gekoppelt sind. In den meisten Hierarchien stehen Männer oben und sorgen dafür, dass eben alles seinen traditionalistischen Gang geht.
Ich glaube tatsächlich, dass wir uns hier, wenn wir uns nicht wirklich intensiv mit Japan beschäftigen, nicht klarmachen, wie sehr das Land auch durch die Politik von Shinzo Abe in reaktionären, revanchistischen politischen Strukturen gerade wieder verhaftet ist, wo sich irgendwie liberale und modern orientierte Japaner zum Teil wirklich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und denken, wir sind eigentlich geistig wieder weiter hinten an als in den 80er-Jahren, als sich das Land stärker geöffnet hat, auch den kritischen Fragen zum Zweiten Weltkrieg, zu japanischen Kriegsverbrechen und zu den verkrusteten Elementen der Gesellschaft.

Exklusiver Touch mit Shiba Inus und Akita Inus

Meyer: Da ist es ja umso erstaunlicher, so wie Sie jetzt die politische, gesellschaftliche Wirklichkeit des heutigen Japans schildern, dass wir bei uns diese große Japan-Begeisterung gerade wieder haben. Ich habe es schon gesagt, da geht es um Design, um Mode, Essen, eben auch Bücher – was denken Sie denn, was sind die Ursachen für diese Begeisterung bei uns?
Peters: Es gibt natürlich Japan-Wellen seit dem 19. Jahrhundert, die großen Weltausstellungen haben die japanische Kunst nach Europa gebracht, die Maler des Impressionismus und Jugendstil haben sich dafür begeistert, es sind gerade zwei große Ausstellungen in Wien und im Bahnhof Rolandseck, die sich wieder mit den Auswirkungen des japanischen Holzschnitts auf die europäische Moderne beschäftigen. Dann hat es in den 30er-Jahren eine Zen-Bewegung gegeben, die auch sehr eng mit dem Faschismus zusammen gewesen ist. Der erste Übersetzer von Zen-Texten, Herr Faust, war nachher, ich glaube, der Verteidiger einer Stadt in Ostpreußen und hat bis zum letzten Mann als überzeugter Nazi gekämpft.
Dann gab es die Zen-Bewegung in den 50er-Jahren, es gab Zen-Bewegungen in den 80er-Jahren. Und ich glaube, was wir zurzeit da haben, ist, wir sind ja selbst in so einer neokonservativen, wertig bürgerlichen Atmosphäre hier, und vielleicht suggeriert uns Japan, dass diese Widersprüche, die wir in Europa oder in Deutschland speziell haben zwischen dem Erhabenen, dem Schönen und Guten, der Tradition, der Wertigkeit und dem Trash, der in unseren Köpfen ist, in Japan irgendwie besser geglückt ist als bei uns. Also man kann sowohl Pokémons suchen, als auch Sushi essen, als auch sich mit Zen beschäftigen – und wenn es unbedingt nötig ist, dann kauft man sich auch noch einen japanischen Hund und gibt sich damit noch so einen ganz exklusiven Touch.
Meyer: Genau, japanische Hunde sind in bestimmten Milieus gerade en vogue. Was sind das denn für Milieus und was für Hunde?
Peters: Ich weiß noch nicht ganz genau, was das für Milieus, ich sehe sie im Prenzlauer Berg und im Friedrichshain, Shiba Inus und Akita Inus…
Meyer: In Berlin?
Peters: In Berlin, genau. Das sind so Hunde, die sehen ein bisschen aus wie eine Mischung aus Spitz und Husky, sind sehr eigenwillig, haben auch so ein bisschen was von einem kleinen Fuchs. Und so, wie irgendwie vor drei, vier Jahren Möpse und dann auch Dackel plötzlich dauernd gezüchtet wurden, hat man im Moment japanische Hunde in rauen Mengen, die ich vorher nie gesehen habe.
Japans Premierminister Shinzo Abe hält einen Akita Inu-Welpen namens Masaru im Arm.
Japans Premierminister Shinzo Abe hält einen Akita Inu-Welpen namens Masaru im Arm.© imago/ITAR-TASS
Meyer: Würden Sie sagen, was uns so begeistert an Japan, hat das überhaupt etwas zu tun mit dem Japan der Gegenwart in einem durchaus weiteren Sinne oder orientiert sich das immer an unseren Klischees von Japan, die wir im Kopf haben?
Peters: Ich glaube tatsächlich, dass das reale Japan in unserer Wahrnehmung ziemlich weit ausgeblendet ist. Ich meine, Shinzo Abe, ich habe es gerade schon gesagt, ist eigentlich jemand, der politisch eher in die Ecke Putin und Trump gehört, neonationalistisch, isolationistisch, potenziell ausschließlich an japanischer Kultur und Identität interessiert. Das taucht aber bei uns eigentlich nicht auf, während wir uns über die ganzen anderen nationalistischen Staatsführer auf der Welt furchtbar echauffieren, ist das in Japan, das wird irgendwie so hingenommen, man versteht sie sowieso nicht, und irgendwie gibt es, glaube ich, so ein bisschen das Klischee, na ja, wirklich verstehen tun wir die Japaner nicht, also picken wir uns das raus, was uns an ihnen gefällt und lassen sie mit dem Rest allein, der geht uns dann irgendwie vielleicht auch gar nichts an.
Und dann kann man sich eben schöne Mangas nehmen, die irgendwie je nach Bedürfnis historisch orientiert sind oder eher kindlich-naiv diese und jene Geschichte erzählen. Ich kann aber auch zu meinem Lieblingsjapaner gehen und mich freuen, dass die da immer noch so ein bisschen sich verbeugen und die Mädchen so ein bisschen schüchtern sind und der Mann an der Sushi Bar so ein schick geknotetes japanisches Tuch um die Stirn hat, und ich fühle mich wie in einer anderen Welt und muss mich aber nicht groß damit beschäftigen.

Das andere Japan

Meyer: Jetzt können wir, um das gegenwärtige Japan vielleicht doch besser zu verstehen, Ihr Buch natürlich lesen, "Das Jahr der Katze". Wenn Sie uns noch ein weiteres Buch empfehlen könnten, um mehr über Japan zu erfahren, was wäre das für ein Buch?
Peters: Wenn man so ein bisschen was von den Problemen und den Dramen des wirklichen, heutigen Japan begreifen will, dann sollte man vielleicht Sayaka Muratas schmalen Roman "Die Ladenhüterin" nehmen. Der spielt in einem Kleinsupermarkt, eine nicht verheiratete junge Frau, die eigentlich auf allen Ebenen nach unseren Vorstellungen gescheitert ist und sich selbst auch irgendwie als gescheitert empfindet, die ist ganz glücklich mit ihrer Rolle als Hilfskraft in so einem 24-Stunden-Kleinsupermarkt, wo es alles gibt. Da sieht man eine ganz andere Seite von Japan als die, die wir sonst so kennen.
Meyer: "Die Ladenhüterin" – schön, dass Sie das Buch empfehlen, weil wir hatten schon eine Kritik zu diesem Buch hier bei uns im Programm. Vielen Dank an Christoph Peters, sein Roman "Das Jahr der Katze" ist im Luchterhand Literaturverlag erschienen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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