Nicht-Sorben pflegen Spreewald-Traditionen
Burg im Spreewald zieht mit seinen stillen Wasserstraßen jedes Jahr unzählige Touristen an. Der Ort ist aber auch die Heimat der Chorgemeinschaft Concordia, die sich dem sorbischen Brauchtum verpflichtet fühlt. Gar nicht so einfach, denn kaum eines der Mitglieder spricht fließend sorbisch.
In der Bauernstube des "Deutschen Hauses" scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: ein runder grüner Kachelofen, alte Bauernmöbel, Zinnkrüge an den Wänden und Holzbalken an der Decke - wie zu Urgroßmutters Zeiten. Fritz Wendig, brustabwärts freundlich gerundet, wie es sich für einen Wirt gehört, steht hinter der Theke und gibt Menüempfehlungen:
"Grützwurst, mit Sauerkraut und Kartoffeln, Gurken ham wa reichlich da, Senfgurken, Gewürzgurken, Salzgurken, alles was so im Spreewald hergestellt wird. Als besondere Spezialität haben wir Kürbiscremesuppe."
Er steht hinter der Theke, zapft Bier, und nickt zwei Gästen zu, die - ohne sich um die Duftschwaden der gutbürgerlichen Küche zu kümmern, hinter einer großen Tür verschwinden, Richtung Festsaal. Es sind Sänger der Chorgemeinschaft Concordia, die jeden Dienstag Abend hier proben - seit Jahrzehnten, aber ohne Wirt:
"Um Gottes...nein, ich kann nicht singen, tut mir leid, gar nicht, das liegt mir gar nicht."
Dafür sorgt er für geölte Kehlen - Bier, Saftschorlen und die eine oder andere Berliner Weiße mit Schuss werden die Sänger während der kommenden Probe bei Stimme und Laune halten. Aber noch ist es früh, und im großen Festsaal haben sich bislang nur zwei Leute eingefunden - Herr Schmidt und seine Frau, Chormitglieder seit Jahrzehnten. Warum er im Chor ist?
"Weil ich singen wollte."
Das muss wohl als Antwort reichen.
"Ja." (Lacht) "Und unter Menschen kommen. Wenn man in die Fremde verschlagen wird, muss man ja erst mal Kontakt suchen."
Aber eigentlich?!
"Das heißt, geworben ham se mich eigentlich damals."
Damals, vor über 30 Jahren, als er und seine Frau als junge Lehrer von Sachsen-Anhalt in den Spreewald zogen. Beide erinnern sich, wie es um den Chor bestellt war, als sie eintraten. Ihr Blick gleitet über die Wände, ein Beweisfoto vom Männerchor müsste da hängen:
"Da hing es zumindestens."
"Das waren bestimmt über 40 Sänger, alles gestandene Geschäftsleute hier von Burg."
"30, 40 Männer. Jetzt sinds zwölfe, mit mir."
Während die Schmidts erzählen, hat sich der Raum gefüllt - mit mehr Sängerinnen als Sängern, man gibt sich die Hand, manche umarmen sich und langsam nehmen alle ihre Plätze ein. Getränke werden unterm Sitz verstaut und die Chorleiterin im roten Jackett gibt den Einsatz.
Alte und neue Lieder, auf deutsch, englisch und: sorbisch. Allerdings - anders als man es vielleicht erwarten könnte, spricht fast keiner der Chormitglieder fließend sorbisch:
"Drei Schimpfwörter, und ansonsten nur einen Liedtext, der hier so gängig ist. Wir sind ja keine Sorben, aber es gibt Leute, die hier geboren sind, die sollten es sprechen, aber die scheuen sich auch."
Einige verstehen es, haben es noch von den Großeltern gelernt, andere noch nicht einmal das und viele sind der Sänger sind eingewandert und haben überhaupt keine sorbischen Wurzeln. Für den Rückgang des sorbischen oder - wie es auch genannt wird - des wendischen, hat Herr Schmidt eine mögliche Erklärung:
"Die besseren, die Gutsherren, das waren Deutsche, durchweg. Die wendisch gesprochen haben, das waren die im Stall, um es mal krass auszudrücken. Und das hat natürlich auch abgefärbt, die Amtssprache ist deutsch, ich hab das zuhause erlebt, in der Altmark mit dem Plattdeutsch: Wenn da mal ein plattdeutsches Wort fiel, das man von der Strasse aufgesammelt hatte - gleich "Junge, sprich hochdeutsch!"
Aber einige Bräuche, wie die großen Oster - oder Hochzeitszüge, werden noch begangen - vor bis zu 500 staunenden Touristen und in den typisch sorbischen Trachten:
"Ich habe an: eine grünen Filzrock, der hat so ein buntes, besticktes Band unten, das ist rosa, mit rosa Blüten. Dann habe ich an eine schwarze Schürze, ein weißes, sehr dünnes Tülltuch, das wird so über der Brust gekreuzt. Und dann habe ich eine große Haube auf, wahlweise eine weiße oder ne beigefarbene, ich habe zweie, dann kann ich dann immer ein bisschen auswählen. Naja, und die Männer schick im Gehrock, im Frack - ah, sehr schön!"
Wer in den Spreewald zieht, der ist gut beraten, einem Chor wie der Chorgemeinschaft Concordia beizutreten - denn die Spreewälder sind ein eher scheuer Menschenschlag. Ein ihnen vorgesetztes Mikrofon beäugen sie ebenso misstrauisch wie schweigsam - reden sollen die Zugezogenen, die sich an den Charakter ihrer Mitmenschen gewöhnt haben:
"Eigentlich mehr zurückhaltend. Wir sind auch erst 30 Jahre hier, und ich muss sagen, durch den Chor habe ich schnell dazu gehört. Ansonsten, wenn man in keinem Verein ist, oder so, braucht man lange, um das Vertrauen der Leute zu erringen."
Hat man es allerdings errungen, werden im Chor Freundschaften gepflegt, Ausflüge unternommen und Feste gefeiert. Bedauerlich aber - man bleibt altersmäßig unter sich. Den meisten jungen Leuten - ausgenommen jene zwei Teenager, die mit gegeelten Haaren und Jim-Morrisson T-Shirt hier wie Paradiesvögel wirken - sei das Liedgut wohl zu altbacken, vermutet eine Sängerin:
"Wir singen auch gern neue, moderne Lieder, und schöne Lieder - aber wir singen auch was anderes, was älteres. "Lieber." Nein nicht lieber. "Ich schon". Wir singen eigentlich alles querbeet, wir geben uns Mühe."
"Jede Generation singt anders, das ist nun mal so."
Noch vor neun stimmen die Sänger das letzte Lied an - eineinhalb Stunden haben sie ein Lied nach dem anderen gesungen, ohne Pause - und ohne dass sich Sänger und Wirtshausgäste in die Quere kommen. Wirt Wendig ist zufrieden:
"Den Gästen freuts. Jeder hat zwar einen anderen Geschmack, aber die meisten sagen: Schön, dass es so was noch gibt. Das soll ja auch so sein, und man hofft, dass es eine Weile noch so bleibt."
Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.
"Grützwurst, mit Sauerkraut und Kartoffeln, Gurken ham wa reichlich da, Senfgurken, Gewürzgurken, Salzgurken, alles was so im Spreewald hergestellt wird. Als besondere Spezialität haben wir Kürbiscremesuppe."
Er steht hinter der Theke, zapft Bier, und nickt zwei Gästen zu, die - ohne sich um die Duftschwaden der gutbürgerlichen Küche zu kümmern, hinter einer großen Tür verschwinden, Richtung Festsaal. Es sind Sänger der Chorgemeinschaft Concordia, die jeden Dienstag Abend hier proben - seit Jahrzehnten, aber ohne Wirt:
"Um Gottes...nein, ich kann nicht singen, tut mir leid, gar nicht, das liegt mir gar nicht."
Dafür sorgt er für geölte Kehlen - Bier, Saftschorlen und die eine oder andere Berliner Weiße mit Schuss werden die Sänger während der kommenden Probe bei Stimme und Laune halten. Aber noch ist es früh, und im großen Festsaal haben sich bislang nur zwei Leute eingefunden - Herr Schmidt und seine Frau, Chormitglieder seit Jahrzehnten. Warum er im Chor ist?
"Weil ich singen wollte."
Das muss wohl als Antwort reichen.
"Ja." (Lacht) "Und unter Menschen kommen. Wenn man in die Fremde verschlagen wird, muss man ja erst mal Kontakt suchen."
Aber eigentlich?!
"Das heißt, geworben ham se mich eigentlich damals."
Damals, vor über 30 Jahren, als er und seine Frau als junge Lehrer von Sachsen-Anhalt in den Spreewald zogen. Beide erinnern sich, wie es um den Chor bestellt war, als sie eintraten. Ihr Blick gleitet über die Wände, ein Beweisfoto vom Männerchor müsste da hängen:
"Da hing es zumindestens."
"Das waren bestimmt über 40 Sänger, alles gestandene Geschäftsleute hier von Burg."
"30, 40 Männer. Jetzt sinds zwölfe, mit mir."
Während die Schmidts erzählen, hat sich der Raum gefüllt - mit mehr Sängerinnen als Sängern, man gibt sich die Hand, manche umarmen sich und langsam nehmen alle ihre Plätze ein. Getränke werden unterm Sitz verstaut und die Chorleiterin im roten Jackett gibt den Einsatz.
Alte und neue Lieder, auf deutsch, englisch und: sorbisch. Allerdings - anders als man es vielleicht erwarten könnte, spricht fast keiner der Chormitglieder fließend sorbisch:
"Drei Schimpfwörter, und ansonsten nur einen Liedtext, der hier so gängig ist. Wir sind ja keine Sorben, aber es gibt Leute, die hier geboren sind, die sollten es sprechen, aber die scheuen sich auch."
Einige verstehen es, haben es noch von den Großeltern gelernt, andere noch nicht einmal das und viele sind der Sänger sind eingewandert und haben überhaupt keine sorbischen Wurzeln. Für den Rückgang des sorbischen oder - wie es auch genannt wird - des wendischen, hat Herr Schmidt eine mögliche Erklärung:
"Die besseren, die Gutsherren, das waren Deutsche, durchweg. Die wendisch gesprochen haben, das waren die im Stall, um es mal krass auszudrücken. Und das hat natürlich auch abgefärbt, die Amtssprache ist deutsch, ich hab das zuhause erlebt, in der Altmark mit dem Plattdeutsch: Wenn da mal ein plattdeutsches Wort fiel, das man von der Strasse aufgesammelt hatte - gleich "Junge, sprich hochdeutsch!"
Aber einige Bräuche, wie die großen Oster - oder Hochzeitszüge, werden noch begangen - vor bis zu 500 staunenden Touristen und in den typisch sorbischen Trachten:
"Ich habe an: eine grünen Filzrock, der hat so ein buntes, besticktes Band unten, das ist rosa, mit rosa Blüten. Dann habe ich an eine schwarze Schürze, ein weißes, sehr dünnes Tülltuch, das wird so über der Brust gekreuzt. Und dann habe ich eine große Haube auf, wahlweise eine weiße oder ne beigefarbene, ich habe zweie, dann kann ich dann immer ein bisschen auswählen. Naja, und die Männer schick im Gehrock, im Frack - ah, sehr schön!"
Wer in den Spreewald zieht, der ist gut beraten, einem Chor wie der Chorgemeinschaft Concordia beizutreten - denn die Spreewälder sind ein eher scheuer Menschenschlag. Ein ihnen vorgesetztes Mikrofon beäugen sie ebenso misstrauisch wie schweigsam - reden sollen die Zugezogenen, die sich an den Charakter ihrer Mitmenschen gewöhnt haben:
"Eigentlich mehr zurückhaltend. Wir sind auch erst 30 Jahre hier, und ich muss sagen, durch den Chor habe ich schnell dazu gehört. Ansonsten, wenn man in keinem Verein ist, oder so, braucht man lange, um das Vertrauen der Leute zu erringen."
Hat man es allerdings errungen, werden im Chor Freundschaften gepflegt, Ausflüge unternommen und Feste gefeiert. Bedauerlich aber - man bleibt altersmäßig unter sich. Den meisten jungen Leuten - ausgenommen jene zwei Teenager, die mit gegeelten Haaren und Jim-Morrisson T-Shirt hier wie Paradiesvögel wirken - sei das Liedgut wohl zu altbacken, vermutet eine Sängerin:
"Wir singen auch gern neue, moderne Lieder, und schöne Lieder - aber wir singen auch was anderes, was älteres. "Lieber." Nein nicht lieber. "Ich schon". Wir singen eigentlich alles querbeet, wir geben uns Mühe."
"Jede Generation singt anders, das ist nun mal so."
Noch vor neun stimmen die Sänger das letzte Lied an - eineinhalb Stunden haben sie ein Lied nach dem anderen gesungen, ohne Pause - und ohne dass sich Sänger und Wirtshausgäste in die Quere kommen. Wirt Wendig ist zufrieden:
"Den Gästen freuts. Jeder hat zwar einen anderen Geschmack, aber die meisten sagen: Schön, dass es so was noch gibt. Das soll ja auch so sein, und man hofft, dass es eine Weile noch so bleibt."
Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.