Alltäglicher Rassismus im Dienst
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Rassistische Pöbeleien von Passanten, subtile Anspielungen von Kollegen, das N-Wort: Welche Erfahrungen machen Polizistinnen und Polizisten, die nicht weiß sind, sondern BPoC - „Black and People of Color“? Eine Beamtin und ein Beamter erzählen.
Vanessa Pasquariello und Julian Sessoms haben eine dunklere Hautfarbe als die Mehrheit der Leute hierzulande.
"Meine Mutter ist gebürtige Frankfurterin und mein Vater ist aus New York und hat schwarze Hautfarbe", sagt Julian Sessoms. Der 32-Jährige hat einen amerikanischen und einen deutschen Pass und arbeitet seit sieben Jahren als Polizist im Frankfurter Bahnhofsviertel - dem Drogenbrennpunkt des Rhein-Main-Gebietes.
"Man kennt eigentlich die meisten, die da wirklich unterwegs sind. Den einen mehr, den anderen weniger. Viele sieht man auch zum ersten Mal. Die sieht man aber nicht zum letzten Mal."
"Mir ist es wichtig zu helfen"
"Ich glaube, ich war damals nach meinem Abitur an so einem Punkt. Ich habe überlegt, welcher Beruf passt gut zu mir. Und ich bin selber ein Mensch, der gern sozial tätig ist, der sich gern mit Menschen auseinandersetzt in jeglicher Form", sagt die ebenfalls 32 Jahre alte Vanessa Pasquariello.
Ihre Mutter ist Italienerin, ihr Vater ist ein Schwarzer aus Britisch-Guayana. Sie bezeichnet sich selbst als Teil der BPoC–Gemeinde hierzulande. BPoC steht für "Black and People of Color".
Warum Vanessa Pasquariello Polizistin in Frankfurt am Main wurde, begründet sie so: "Mir ist es wichtig, auch zu helfen. Ich habe vielleicht auch ein kleines Helfersyndrom. Und dementsprechend - man fertigt innerlich so eine kleine Liste an und der Polizeiberuf war das, was am Ende unterm Strich herauskam. Und ich muss sagen, ich bin jetzt zwölf Jahre dabei. Und es gibt keinen Tag, an dem ich es bereue."
Auch deswegen nicht, weil sie innerhalb der Frankfurter Polizei bisher keine nennenswerten Erfahrungen mit rassistischen oder rechtsextremen Einstellungen gemacht habe, betont Vanessa Pasquariello.
"Wenn es so wäre, wäre ich nicht mehr Polizistin", sagt sie. "Weil ich glaube, wenn es so wäre, würde ich nicht stolz darauf sein, die gleiche Uniform zu tragen. Ich hätte auch ein Problem, weil es kein gesundes Umfeld für mich wäre. Und dementsprechend wäre das für mich einfach keine Option mehr, Teil dieser Polizei zu sein, weil ich stolze Polizistin bin. Stolz darauf bin, welchen Beruf ich habe. Und ich könnte mich, glaube ich, dann nicht mehr damit identifizieren, wenn es so wäre."
Rassistische und rechtsextreme Pöbeleien von Passanten
Beim Streifendienst auf der Straße häufen sich allerdings in letzter Zeit rassistische und rechtsextreme Pöbeleien von Passanten. Diese Erfahrung macht Julian Sessoms im Bahnhofsviertel von Frankfurt am Main.
"Ja, das passiert meistens, wenn man in Personenkontrollen ist. Es sind dann aber auch meistens Leute, die gar nicht Teil der Kontrolle sind", erzählt er. "Also die schalten sich dann von außen ein und mischen sich ein. Und dann drehe ich mich um und frage sie: Was wollen Sie denn jetzt? Ja, zurück aufs Boot und zurück nach Afrika! So werde ich dann angesprochen. Ja. Und zum Beispiel ist man auf der Straße, läuft einfach durch die Gegend. Dann steht einer vor mir, weil ihm mein Aussehen nicht passt, und sagt: 'Sieg Heil ' - und hebt den rechten Arm zum Hitlergruß. Das sind dann auch Sachen, wo ich sage: Okay, hier läuft gerade irgendetwas schief."
Vanessa Pasquariello berichtet von ähnlich extremen Erfahrungen.
"Ja, im Dienst habe ich auch schon rassistische Erfahrungen gemacht, das N-Wort schon mal von Leuten gehört. Ich kann jetzt nicht sagen, wo die herkamen, auch politisch: Habe ich nicht gesehen. Aber definitiv kamen rassistische Beleidigungen. Und privat, muss ich auch sagen, habe ich auch rassistische Erfahrungen gemacht. Ich wurde sogar auch schon mal mit CGS-Gas – also mit Tränengas – angegriffen, das war eine krasse Erfahrung, die ich gemacht habe."
"Im Dienst geht es subtiler zu"
Rafael Behr hat vor langer Zeit selbst einmal Dienst als Polizist auf einer Innenstadtwache in Frankfurt am Main geleistet. Heute ist er Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg. Er bestätigt die Beschreibung der jüngeren Frankfurter Beamten, dass Rassismus-Erfahrungen im Einsatz ganz andere sind als auf der Polizeiwache mit Kolleginnen und Kollegen.
"Im Dienst geht es subtiler zu, es gibt keine krassen Diskriminierungsberichte", sagt er. "Aber es geht subtiler zu über Witze, über geläufige Worte wie zum Beispiel ‚Ölauge‘. Das meinen dann die deutschen Kollegen nicht unbedingt böse, aber durch die Anhäufung und die Selbstverständlichkeit, wie das genannt wird und gesagt wird, und mit der Selbstverständlichkeit, wie auch über ethnisch fremde Klienten gesprochen wird, die möglicherweise der gleichen Ethnie angehören wie der Beamte. Das schmerzt auf Dauer doch, und so bekommen wir in der Tat in letzter Zeit mehr Berichte davon, dass die Binnenstruktur der Polizei oder das Innenverhältnis in der Polizei auch nicht frei von Rassismus und Diskriminierung ist."
Mehr Menschen mit Migrationshintergrund in der Polizei sind für Rafael Behr kein Allheilmittel gegen ethnische Diskriminierung in den Sicherheitsorganen – zumal es ja auch zwischen Migrantengruppen bisweilen starke Ressentiments gäbe.
Es gäbe "kein Naturgesetz", so Behr, "dass Beamte mit Migrationshintergrund selbst nicht auch rassistisch sein können. Wir haben das insbesondere bei solchen Auseinandersetzungen, beispielsweise zwischen Kurden und Türken oder zwischen türkischen und griechischen Bevölkerungsgruppen, dass da auch rassistische Momente durchaus vorkommen."
Rassismus als Thema bei der Ausbildung
Solche Ressentiments können auch in der Polizeiausbildung angesprochen und aufgearbeitet werden. Die Frankfurter Polizeibeamtin Vanessa Pasquariello bildet inzwischen nebenbei auch an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung – kurz HfPV – angehende Polizistinnen und Polizisten aus.
Die Zusammensetzung der Kurse sei heute deutlich ethnisch gemischter als früher, stellt sie fest: "Definitiv. Ich habe diese Erfahrung gemacht. Ich habe letztes Jahr an der HfPV in Wiesbaden unterrichtet und ich hatte eine Studiengruppe. Und ich muss sagen, es bildet sich auf jeden Fall in den Klassen ab, man sieht es. Im Gegensatz zu der Zeit, in der ich angefangen habe, das ist jetzt zwölf Jahre her, hat sich das auf jeden Fall gewandelt. Das kann ich auf jeden Fall unterschreiben. Und auch auf den Revieren, wo ich jetzt tätig bin und in den Dienstgruppen, sieht man das auch."
Polizeiarbeit mit Respekt
Respekt vor kulturellen oder religiösen Gepflogenheiten, die einem zunächst fremd sind. Dies ist für Julian Sessoms ein weiterer Baustein für gute Polizeiarbeit gerade in Multi-Kulti-Quartieren wie dem Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main.
"Gerade auch hier: Schuhe ausziehen, wenn man reinkommt in die Wohnung, aber auch wieder gesunder Menschenverstand. Natürlich also, das mache ich zu Hause auch. Ich ziehe meine Schuhe aus. Denn Schuhe sind dreckig, und viele Kulturkreise sind halt eben so, die laufen barfuß herum. Und … in aller Regel, wenn alles friedlich läuft, warum nicht also den Respekt, den sollte man dann schon aufbringen. Ich finde das nicht falsch."
Aktuell stehe der Streifendienst in der Mainmetropole noch einmal unter besonderen Vorzeichen, sagt Julian Sessoms. Nach dem Tod des US-Amerikaners George Floyd am 25. Mai und den bis heute anhaltenden Protesten gegen rassistische Übergriffe der US-Polizei reagierten auch in Frankfurt viele gereizt auf die Polizei.
"Ich wurde auch schon als Nazi bezeichnet", erzählt Julian Sessoms. "Ich sehe nun wirklich nicht aus wie ein Nazi und von Afrikanern werde ich da als Nazi bezeichnet, weil sie einfach nur meine Uniform sehen. Dabei habe ich diese Hautfarbe wie die. Diskutieren - das ist dann vorbei. Das geht nicht, da ist nichts mehr mit Diskutieren. Man verweist sie des Platzes und hoffentlich gehen die dann auch."