Hitlers Täuschungsmanöver
Vor dem Zweiten Weltkrieg unterhielten Polen und Deutschland einige Jahre freundschaftliche Beziehungen. Ausgangspunkt war der deutsch-polnische Nichtangriffsvertrag.
Nach dem Ersten Weltkrieg war die Feindschaft zwischen Deutschland und Polen eine feste Größe der internationalen Diplomatie. Deutschland hatte im Versailler Friedensvertrag den Verlust Danzigs sowie Teile Westpreußens, Posens und Oberschlesiens hinnehmen müssen, Ostpreußen besaß keine Landverbindung zum übrigen Reichsgebiet mehr. Alle Regierungen der Weimarer Republik forderten die Revision der als ungerecht empfundenen Ostgrenze, was die unabhängige Existenz der jungen polnischen Republik langfristig in Frage stellte.
Als der Nationalsozialist Adolf Hitler Reichskanzler wurde, sprach nichts für eine Entspannung der Beziehungen zu Polen. Außenminister Constantin von Neurath skizzierte im April 1933 im Reichskabinett die Leitlinien der deutschen Außenpolitik:
"Unser Hauptziel bleibt die Umgestaltung der Ostgrenze. Es kommt nur eine totale Lösung in Frage, Zwischen- und Teillösungen sind abzulehnen ... Eine Verständigung mit Polen ist weder möglich noch erwünscht."
Das entsprach genau der Vorstellungswelt der deutschen Generalität. Und auch Hitler folgte dieser Linie zunächst. Doch schon bald traten Differenzen zwischen Hitler und seinen konservativen Bündnispartnern in der Ostpolitik zutage. Zum Entsetzen der Beamten im Auswärtigen Amt bot der Kanzler Polen einen beiderseitigen Gewaltverzicht an, um aus der außenpolitischen Isolierung herauszukommen, in die er Deutschland im Oktober 1933 durch den überstürzten Austritt aus dem Völkerbund und den Rückzug von der Genfer Abrüstungskonferenz geführt hatte.
Der polnische Regierungschef, Marschall Jόzef Piłsudski, der auf ein Ende des für sein Land desaströsen Zollkonflikts mit Deutschland hoffte, nahm das Angebot an. Zum Erstaunen der Weltöffentlichkeit schlossen beide Regierungen am 26. Januar 1934 einen auf zehn Jahre befristeten Nichtangriffsvertrag, den Hitler wenige Tage später vor dem Reichstag begründete:
"Im Übrigen mögen in der Zukunft die Differenzen zwischen den beiden Ländern sein wie sie wollen. Der Versuch, sie durch kriegerische Aktionen zu beheben, würde in seinen katastrophalen Auswirkungen in keinem Verhältnis stehen zu den irgendwie möglichen Gewinnen. Die deutsche Regierung war daher glücklich, bei dem Führer des heutigen polnischen Staates, Marschall Pilsudski, dieselbe großzügige Auffassung zu finden und diese beiderseitige Erkenntnis in einem Vertrage niederzulegen, der nicht nur dem polnischen und dem deutschen Volke gleichermaßen nützlich sein wird, sondern auch einen hohen Beitrag zur Erhaltung des allgemeinen Friedens darstellt. "
Herzlichkeit nicht von Dauer
Tatsächlich hob der Vertrag das internationale Ansehen des deutschen Diktators enorm: Hitlers Abkehr von der populären deutschen Polenfeindschaft schien seinen oft beteuerten Friedenswillen erstmals unter Beweis zu stellen. Mit dem Pfund der "herzlichen Freundschaft" zu Polen wucherte Hitler in den nächsten Jahren gern, um von der aggressiven deutschen Aufrüstung abzulenken.
Der polnische Regierungschef Marschall Piłsudski, der 1920 die Rote Armee besiegt und 1926 den Parlamentarismus ausgeschaltet hatte, stand in Berlin in besonders hohem Ansehen. Als er 1935 starb, ließ es sich Hitlers Polen-Beauftragter, Reichstagspräsident Hermann Göring, nicht nehmen, ein Totengedenken der deutschen Volksvertreter für Piłsudski zu inszenieren:
"Meine Herren Abgeordneten, ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben und mit mir eines Großen zu gedenken, der vor wenigen Tagen abberufen worden ist. Das deutsche Volk und mit ihm vor allem auch der deutsche Reichstag als berufener Vertreter des deutschen Volkes steht in tiefer Teilnahme am Grabe des großen Marschalls der uns befreundeten polnischen Nation."
Doch die Herzlichkeit der Beziehungen blieb Episode. Denn die Polen waren nicht bereit, sich als Juniorpartner Deutschlands in einem antisowjetischen Bündnis zur Verfügung zu stellen und der Rückkehr Danzigs ins Reich sowie einer exterritorialen Autobahnverbindung nach Ostpreußen zuzustimmen.
Als Warschau sich 1939 den immer drängenderen Forderungen Berlins entzog und stattdessen seine Unabhängigkeit und territoriale Integrität durch Großbritannien garantieren ließ, stellte Hitler dies als Bruch des Nichtangriffspaktes von 1934 dar und befahl in einer neuerlichen Kehrtwende den militärischen Überfall auf Polen.