Nichts als Ärger?

Von Stephan Laack |
Eigentlich beginnt an diesem Freitag ein großes Sportfest, die Fußball-EM. Doch die Probleme der Ukraine haben die Debatten über Mannschaftsaufstellungen längst eingeholt. Boykott - ja oder nein - fragen Politiker im Westen. Profit - ja oder nein - fragen dagegen Politiker in der Ukraine.
Es ist ein warmer Frühsommernachmittag im Kiewer Dniprowski Viertel. Kinder toben auf dem Spielplatz herum - die Erwachsenen haben es sich auf den Bänken einer kleinen Grünanlage bequem gemacht. In dieser Kiewer Vorstadt mit ihren Hochhäuser aus den 80er-Jahren wohnt auch Juri mit seiner Frau und zwei Kindern. Als Angestellter einer Sicherheitsfirma verdient er ein paar hundert Euro im Monat. Juri freut sich auf die kommende Fußball-Europameisterschaft, auch wenn er sich keine Karten leisten kann.

Doch eines ärgert Juri kolossal: dass dieses Fußballfest, auf das er sich so lange gefreut hat, längst von der Inhaftierung der ehemaligen Regierungschefin Timoschenko überschattet wird. Für Juri ist klar, dass der jetzige Präsident Janukowitsch seine politische Widersacherin ins Gefängnis gebracht habe, wie auch viele andere Mitglieder ihrer Regierung. Janukowitsch gehe eindeutig zu weit - meint Juri. Es sei daher gut, wenn europäische Politiker nicht zu EM fahren würden. Einen sportlichen Boykott dürfe es aber nicht geben:

"Unsere Machthaber übertreiben es ein wenig mit ihrem Eifer. Die machen keine Scherze. Wenn Politiker wegen Timoschenko der EURO fernbleiben, ist das richtig. Aber mich betrifft das nicht. Das ist Sache der Politiker. Ich kenne mich mit Fußball aus. Die Sportler sollen spielen."

Der Kiewer Politologe Karassjow erinnert daran, zu welcher Zeit das Turnier an Polen und die Ukraine vergeben wurde: nämlich zu der Phase als der damalige Präsident Juschtschenko und Timoschenko trotz aller Schwierigkeiten miteinander für einen demokratischen Aufbruch des Landes standen. Und ganz gleich, ob europäische Politiker aus Protest gegen den Umgang der ukrainischen Regierung mit Timoschenko der Euro fernblieben oder nicht: Präsident Janukowitsch werde zumindest versuchen, das Turnier für seine politischen Zwecke zu nutzen:

"Große Sportveranstaltungen liegen logischerweise im Interesse autoritärer Regimes. Sie betrachten solche Veranstaltungen als eine geopolitische Prestigefrage. Die Euro 2012 ist eine gute Gelegenheit, Fußballnationalismus zu demonstrieren. Janukowitsch redet jetzt schon von den Winterspielen 2022 in den Karpaten und begründet das mit steigendem Interesse an unserem Land."

Doch viele bezweifeln, ob Janukowitsch wirklich langfristig von der EURO profitieren kann. Für den Kiewer Sportreporter Margijew war der Preis für dieses Turnier einfach zu hoch.

"Es ist eine Riesensumme investiert worden. Und alle Gewinne bekommt im Grunde genommen die UEFA. Die Ukraine hat nichts davon, wir alle wissen das doch. Außer irgendeiner imaginären Nutzung von Infrastruktur-Objekten, wird die Europameisterschaft das investierte Geld nie zurückbringen.

Im Land wird es dann ernsthafte Kritik daran geben, dass die Machthaber Geld verschwendet haben - dass es nichts Konkretes für das Land gebracht hat. Bei diesen politischen Kontroversen wird der Stolz auf die EM in den Hintergrund treten."
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