Nichts als Worthülsen und alle spielen mit
Syrien-Einsatz, Euro-Krise, NSA-Affäre. Es gäbe immens wichtige Themen in diesem Wahlkampf. Der aber dreht sich um eine Pkw-Maut für Ausländer, die nie kommen wird, und um die Halskette von Angela Merkel. Hier läuft etwas falsch, sagt der Journalist Stephan Hebel.
Hat jemand den Wahlkampf gesehen? Natürlich nicht. Die Klage, es gehe mal wieder langweilig zu, ist in aller Munde und in allen Medien. Allerdings: Sie fällt auf die Kläger zurück. Vor allem auf diejenigen in den Medien.
Es ist schon richtig: Auf den ersten Blick bestätigen die Plakate und Fernsehspots den Befund von der Entpolitisierung der Politik durch die Politik. Die meisten Parteien haben ihre Inhalte so lange durch den Slogan-Generator gejagt, bis praktisch keine erkennbaren Unterschiede übrig blieben. Alle wollen gute Arbeit, schöne Löhne, Sicherheit für alle, und zwar für Jung wie Alt. Hinter all den Allgemeinplätzen verschwinden die Unterschiede. Aber müssen deshalb auch Journalisten so tun, als gäbe es diese Unterschiede nicht?
Es ist zwar nicht die Schuld der Medien, dass Politiker ihre Konzepte und Ideologien mit Hilfe von Worthülsen vor dem Souverän verbergen. Aber es wäre Aufgabe der Medien, hinter die mit Plakaten vollgeklebte Fassade zu schauen, statt ihre langweilige Gestaltung zu beklagen.
Da verbirgt sich nämlich Interessantes: Entgegen dem ersten Eindruck gibt es in diesem Wahljahr tatsächlich eine Konkurrenz der politischen Konzepte, die die Wählerschaft weit über die Minderheit der eingefleischten Politikfreaks hinaus interessieren könnte. Man müsste nur dafür sorgen, dass die Leute davon erfahren. Man müsste die Strategie der Parteien hinterfragen, statt sie medial zu transportieren.
Das Fernsehduell zwischen der Kanzlerin und dem Kandidaten hat dazu einige Ansätze geliefert, von der Steuerpolitik über Europa bis zum Datenskandal. Aber manch ein Sender, manch eine Zeitung befasste sich lieber mit den Sprüchen des Moderators Stefan Raab als mit dem Kampf der politischen Ideen.
Dass die Favoritin und Kanzlerin uns ihren ideologischen Kompass nicht zeigen mag, ist unschön, aber machtpolitisch logisch. Von der Entpolitisierung des Wahlkampfs profitiert niemand so sehr wie sie. Angela Merkel hat es zu ihrem Markenzeichen gemacht, so zu tun, als seien bei ihr alle Wünsche am besten aufgehoben, von rechts bis links. Sie redet von Bankenregulierung, und kaum einer merkt, dass sie bei der europäischen Wirtschaftseinheit in Wahrheit bremst, wo sie nur kann. Sie besetzt das Thema Mindestlohn, obwohl sie alles andere anstrebt als eine gesetzliche Untergrenze. Sie steigt aus der Atomkraft aus und setzt zugleich durch ungerechte Kostenverteilung die Akzeptanz der Energiewende aufs Spiel. Und vieles andere mehr.
Dass die Merkel'sche Camouflage Erfolg zu haben scheint, hängt allerdings entscheidend damit zusammen, dass große Teile der Opposition ihr auf den Leim gegangen sind. Zwar haben SPD, Grüne und Linke dem schwarz-gelben Tun durchaus etwas entgegenzusetzen. Jedenfalls in ihren Programmen. Wäre nicht der Wahlkampf die große Gelegenheit, das Wichtigste aus diesen Programmen – Steuergerechtigkeit, echter Mindestlohn und vieles mehr – laut und deutlich als Alternative zur herrschenden Lehre zu präsentieren? Sie tun es, wenn überhaupt, eher zaghaft. Zu groß ist die Angst, unter Merkels Popularität noch zusätzlich zu leiden, wenn man sie wirklich angreifen wollte.
Das ist der große Irrtum der Opposition: Sie begeht gerade Selbstmord aus Angst vor dem Tode.
Und die Medien? Viele von ihnen tun genau das, was sie beklagen: Sie betreiben die Entpolitisierung des Politischen mit. Sie setzen der Inhaltsleere der Wahlkampfbotschaften oft nicht einmal den Versuch entgegen, die großen Auseinandersetzungen um Verteilung und Solidarität erkennbar zu machen, die die Parteien so nicht führen mögen.
So steht Deutschland im Jahr 2013 vor einer paradoxen Situation: Wir haben, programmatisch betrachtet, einen großen Wahlkampf. Aber keiner hat ihn gesehen.
Stephan Hebel, Journalist, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik und Romanistik, bevor er 1986 Redakteur der "Frankfurter Rundschau" wurde. Er arbeitete im Nachrichtenressort, als Korrespondent in Berlin, im Ressort Politik und als Mitglied der Chefredaktion. Seit 2011 ist er als politischer Autor tätig. Zum Bundestagswahlkampf 2013 schrieb er das Buch: "Mutter Blamage. Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht" (Westend Verlag).
Es ist schon richtig: Auf den ersten Blick bestätigen die Plakate und Fernsehspots den Befund von der Entpolitisierung der Politik durch die Politik. Die meisten Parteien haben ihre Inhalte so lange durch den Slogan-Generator gejagt, bis praktisch keine erkennbaren Unterschiede übrig blieben. Alle wollen gute Arbeit, schöne Löhne, Sicherheit für alle, und zwar für Jung wie Alt. Hinter all den Allgemeinplätzen verschwinden die Unterschiede. Aber müssen deshalb auch Journalisten so tun, als gäbe es diese Unterschiede nicht?
Es ist zwar nicht die Schuld der Medien, dass Politiker ihre Konzepte und Ideologien mit Hilfe von Worthülsen vor dem Souverän verbergen. Aber es wäre Aufgabe der Medien, hinter die mit Plakaten vollgeklebte Fassade zu schauen, statt ihre langweilige Gestaltung zu beklagen.
Da verbirgt sich nämlich Interessantes: Entgegen dem ersten Eindruck gibt es in diesem Wahljahr tatsächlich eine Konkurrenz der politischen Konzepte, die die Wählerschaft weit über die Minderheit der eingefleischten Politikfreaks hinaus interessieren könnte. Man müsste nur dafür sorgen, dass die Leute davon erfahren. Man müsste die Strategie der Parteien hinterfragen, statt sie medial zu transportieren.
Das Fernsehduell zwischen der Kanzlerin und dem Kandidaten hat dazu einige Ansätze geliefert, von der Steuerpolitik über Europa bis zum Datenskandal. Aber manch ein Sender, manch eine Zeitung befasste sich lieber mit den Sprüchen des Moderators Stefan Raab als mit dem Kampf der politischen Ideen.
Dass die Favoritin und Kanzlerin uns ihren ideologischen Kompass nicht zeigen mag, ist unschön, aber machtpolitisch logisch. Von der Entpolitisierung des Wahlkampfs profitiert niemand so sehr wie sie. Angela Merkel hat es zu ihrem Markenzeichen gemacht, so zu tun, als seien bei ihr alle Wünsche am besten aufgehoben, von rechts bis links. Sie redet von Bankenregulierung, und kaum einer merkt, dass sie bei der europäischen Wirtschaftseinheit in Wahrheit bremst, wo sie nur kann. Sie besetzt das Thema Mindestlohn, obwohl sie alles andere anstrebt als eine gesetzliche Untergrenze. Sie steigt aus der Atomkraft aus und setzt zugleich durch ungerechte Kostenverteilung die Akzeptanz der Energiewende aufs Spiel. Und vieles andere mehr.
Dass die Merkel'sche Camouflage Erfolg zu haben scheint, hängt allerdings entscheidend damit zusammen, dass große Teile der Opposition ihr auf den Leim gegangen sind. Zwar haben SPD, Grüne und Linke dem schwarz-gelben Tun durchaus etwas entgegenzusetzen. Jedenfalls in ihren Programmen. Wäre nicht der Wahlkampf die große Gelegenheit, das Wichtigste aus diesen Programmen – Steuergerechtigkeit, echter Mindestlohn und vieles mehr – laut und deutlich als Alternative zur herrschenden Lehre zu präsentieren? Sie tun es, wenn überhaupt, eher zaghaft. Zu groß ist die Angst, unter Merkels Popularität noch zusätzlich zu leiden, wenn man sie wirklich angreifen wollte.
Das ist der große Irrtum der Opposition: Sie begeht gerade Selbstmord aus Angst vor dem Tode.
Und die Medien? Viele von ihnen tun genau das, was sie beklagen: Sie betreiben die Entpolitisierung des Politischen mit. Sie setzen der Inhaltsleere der Wahlkampfbotschaften oft nicht einmal den Versuch entgegen, die großen Auseinandersetzungen um Verteilung und Solidarität erkennbar zu machen, die die Parteien so nicht führen mögen.
So steht Deutschland im Jahr 2013 vor einer paradoxen Situation: Wir haben, programmatisch betrachtet, einen großen Wahlkampf. Aber keiner hat ihn gesehen.
Stephan Hebel, Journalist, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik und Romanistik, bevor er 1986 Redakteur der "Frankfurter Rundschau" wurde. Er arbeitete im Nachrichtenressort, als Korrespondent in Berlin, im Ressort Politik und als Mitglied der Chefredaktion. Seit 2011 ist er als politischer Autor tätig. Zum Bundestagswahlkampf 2013 schrieb er das Buch: "Mutter Blamage. Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht" (Westend Verlag).