Nichts geschönt, nichts verteufelt
Mit seiner Studie "Die rätselhafte Stabilität der DDR" vermittelt der US-Historiker Andrew I. Port einen plastischen Eindruck vom Leben in der DDR-Provinz. Manche Tatsache wird selbst Ostdeutsche überraschen. Das "Rätsel DDR" wird trotzdem nicht vollkommen gelöst und wird uns wohl weiter beschäftigen.
Woran ist die DDR zerbrochen? Der Historiker Andrew I. Port findet die Frage nicht so spannend. Viel mehr interessiert ihn: Warum gab es das Land überhaupt so lange? Der kleinere deutsche Staat existierte immerhin vierzig Jahre, länger als die Weimarer Republik und das Dritte Reich zusammen.
Port, geboren 1967 in New York, erlebte den 9. November 1989 in Berlin. Nach der Wende wohnte der Amerikaner zwei Jahre in Thüringen. Das "Rätsel DDR" bewegt ihn seither, in einer Monografie erkundet er nun ihre eigentümliche Stabilität. "Was war es, das die DDR trotz allgemeiner Unzufriedenheit zusammenhielt?" Mit Blick auf Arbeit und Alltag untersucht Port das Verhältnis zwischen Oben und Unten, vor allem aber die "horizontalen Beziehungen", die zwischen den Bürgern. Er beschreibt die Lebensverhältnisse nach dem Krieg, eine große Bandbreite an Konflikten sowie die Art und Weise, wie diese Konflikte an der Basis ausgetragen wurden. Port untersucht die DDR "von unten", ein dankenswerter Ansatz. Im Fokus steht eine Region, der thüringische Kreis Saalfeld bis 1971. Die Welt im Wassertropfen. Das Wirtschaftszentrum hatte zwei Großbetriebe – den Uranförderer Wismut sowie das Stahlwerk Maxhütte – und eine Historie heftiger Arbeitskämpfe.
Dies sind einige Thesen des Autors: Die DDR war kein totalitärer Staat, die Führung konnte ihren Machtanspruch nicht durchsetzen. Der Mythos vom allzeit regimetreuen Duckmäuser ist falsch. Natürlich gab es Loyalität gegenüber einem "fürsorglichen" System, und es gab Angst (vor den Sowjets, vor der Stasi). Anderseits zeigten sich die Saalfelder durchgehend renitent, behördlichen Druck konterten sie mit "weitgefächerter Phantasie". Port berichtet von Verweigerung, Sturheit, Eigensinn. In der Maxhütte fanden sich deftige Losungen: "Heil Hitler, DDR sind Lumpen / Pieck muss an den Galgen / Hammer und Sichel regieren den deutschen Michel". Und Gerade in der Phase der schlimmsten Repression gab es zwei Aufstände – eine Rebellion Tausender Wismutarbeiter im August 1951 sowie die Erhebung vom Juni 1953.
Andererseits: Bis zum Mauerfall sah man keine bedeutenden Proteste mehr. Die Leute blieben ruhig. Warum? Andrew I. Port liefert drei interessante Erklärungen. Eins: Die Ostdeutschen bildeten eine "Mecker-Gesellschaft"; wer meckert, muss nicht rebellieren. Zwei: Kleine Funktionäre, die Vertreter der Macht, gaben sich versöhnlich, kompromissbereit, sobald die Harmonie gefährdet schien. Drei: Das DDR-Volk war tief gespalten. Neid herrschte – zwischen Generationen und Geschlechtern, zwischen Klassen und Schichten, auch in einem Betrieb, einer Brigade. Aus dem Neid erwuchs eine Art Selbstjustiz: Arbeiter wurden von Arbeitern gemaßregelt oder angeschwärzt; die oben sahen's gern. Wenn es wirklich einen latenten Bürgerkrieg gegeben habe, schreibt der Verfasser, dann war es einer, in dem die Saalfelder gegen sich selbst kämpften.
Ports Studie überzeugt durch schlüssige Gedanken, eine Vielzahl an Quellen und die unaufgeregte Art der Darstellung. Nichts wird geschönt und nichts verteufelt. Der Leser erhält einen plastischen Eindruck vom Leben in der DDR-Provinz; so mancher Fakt wird selbst Ostdeutsche überraschen. Aufbau und Stil des Werks sind ebenfalls zu loben, allerdings mit Abstrichen: Der aufmerksame Rezipient findet reichlich Wiederholungen wie auch Missgriffe in Wortwahl und Satzbau. Und distanzieren mag man sich am Ende vom Anspruch des Autors: Ist die Langlebigkeit des ostdeutschen Systems endlich hinreichend erklärt? Sicher nicht. Das "Rätsel DDR" wird uns weiter beschäftigen.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Andrew I. Port: "Die rätselhafte Stabilität der DDR - Arbeit und Alltag im sozialistischen Deutschland."
Aus dem Amerikanischen von Sylvia Taschka
Ch. Links Verlag, Berlin 2010
392 Seiten, 39,90 Euro
Port, geboren 1967 in New York, erlebte den 9. November 1989 in Berlin. Nach der Wende wohnte der Amerikaner zwei Jahre in Thüringen. Das "Rätsel DDR" bewegt ihn seither, in einer Monografie erkundet er nun ihre eigentümliche Stabilität. "Was war es, das die DDR trotz allgemeiner Unzufriedenheit zusammenhielt?" Mit Blick auf Arbeit und Alltag untersucht Port das Verhältnis zwischen Oben und Unten, vor allem aber die "horizontalen Beziehungen", die zwischen den Bürgern. Er beschreibt die Lebensverhältnisse nach dem Krieg, eine große Bandbreite an Konflikten sowie die Art und Weise, wie diese Konflikte an der Basis ausgetragen wurden. Port untersucht die DDR "von unten", ein dankenswerter Ansatz. Im Fokus steht eine Region, der thüringische Kreis Saalfeld bis 1971. Die Welt im Wassertropfen. Das Wirtschaftszentrum hatte zwei Großbetriebe – den Uranförderer Wismut sowie das Stahlwerk Maxhütte – und eine Historie heftiger Arbeitskämpfe.
Dies sind einige Thesen des Autors: Die DDR war kein totalitärer Staat, die Führung konnte ihren Machtanspruch nicht durchsetzen. Der Mythos vom allzeit regimetreuen Duckmäuser ist falsch. Natürlich gab es Loyalität gegenüber einem "fürsorglichen" System, und es gab Angst (vor den Sowjets, vor der Stasi). Anderseits zeigten sich die Saalfelder durchgehend renitent, behördlichen Druck konterten sie mit "weitgefächerter Phantasie". Port berichtet von Verweigerung, Sturheit, Eigensinn. In der Maxhütte fanden sich deftige Losungen: "Heil Hitler, DDR sind Lumpen / Pieck muss an den Galgen / Hammer und Sichel regieren den deutschen Michel". Und Gerade in der Phase der schlimmsten Repression gab es zwei Aufstände – eine Rebellion Tausender Wismutarbeiter im August 1951 sowie die Erhebung vom Juni 1953.
Andererseits: Bis zum Mauerfall sah man keine bedeutenden Proteste mehr. Die Leute blieben ruhig. Warum? Andrew I. Port liefert drei interessante Erklärungen. Eins: Die Ostdeutschen bildeten eine "Mecker-Gesellschaft"; wer meckert, muss nicht rebellieren. Zwei: Kleine Funktionäre, die Vertreter der Macht, gaben sich versöhnlich, kompromissbereit, sobald die Harmonie gefährdet schien. Drei: Das DDR-Volk war tief gespalten. Neid herrschte – zwischen Generationen und Geschlechtern, zwischen Klassen und Schichten, auch in einem Betrieb, einer Brigade. Aus dem Neid erwuchs eine Art Selbstjustiz: Arbeiter wurden von Arbeitern gemaßregelt oder angeschwärzt; die oben sahen's gern. Wenn es wirklich einen latenten Bürgerkrieg gegeben habe, schreibt der Verfasser, dann war es einer, in dem die Saalfelder gegen sich selbst kämpften.
Ports Studie überzeugt durch schlüssige Gedanken, eine Vielzahl an Quellen und die unaufgeregte Art der Darstellung. Nichts wird geschönt und nichts verteufelt. Der Leser erhält einen plastischen Eindruck vom Leben in der DDR-Provinz; so mancher Fakt wird selbst Ostdeutsche überraschen. Aufbau und Stil des Werks sind ebenfalls zu loben, allerdings mit Abstrichen: Der aufmerksame Rezipient findet reichlich Wiederholungen wie auch Missgriffe in Wortwahl und Satzbau. Und distanzieren mag man sich am Ende vom Anspruch des Autors: Ist die Langlebigkeit des ostdeutschen Systems endlich hinreichend erklärt? Sicher nicht. Das "Rätsel DDR" wird uns weiter beschäftigen.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Andrew I. Port: "Die rätselhafte Stabilität der DDR - Arbeit und Alltag im sozialistischen Deutschland."
Aus dem Amerikanischen von Sylvia Taschka
Ch. Links Verlag, Berlin 2010
392 Seiten, 39,90 Euro