"Nichts ist ansteckender als die Freiheit"

Von Peter B. Schumann · 08.05.2013
Fidel Castro nannte sie einst eine "Agentin dunkler Mächte", heute zählt die Bloggerin Yoani Sánchez zu einer der wichtigsten Stimmen der Opposition im Land. Vor allem junge Kubaner folgen ihrem Beispiel und starten Projekte über Demokratie und Freiheit.
Sie ist heute die bekannteste Frau Kubas, denn mit ihrem Blog erreicht sie inzwischen ein Millionenpublikum. Aber sie agitiert nicht, sondern informiert auf unspektakuläre Weise über die Zustände in ihrem Land, vor allem über die Alltagsprobleme der Menschen. Damit unterläuft sie ständig das staatliche Informationsmonopol. Der Regierung fiel lange nichts Besseres ein, als sie zu diffamieren: Sie wurde von Fidel Castro persönlich als "Agentin dunkler Mächte" abgestempelt. Seither steht sie unter ständiger Beobachtung der Staatssicherheitsorgane. Auslandsreisen wurden ihr jahrelang verwehrt. Im Januar hat sie endlich einen Pass erhalten. Und sie ist nicht die einzige Dissidentin. Mittlerweile konnten sich fast zwei Dutzend namhafte Vertreter auf Reisen begeben. Ist das ein Zeichen der politischen Öffnung des als versteinert geltenden Castro-Regimes?

Yoani Sánchez: "Es ist weniger ein Zeichen der Öffnung als der Schwäche. Die Regierung von Raúl Castro konnte nicht länger den politischen Preis dafür zahlen, dass sie vielen Vertretern der Opposition die Reiseerlaubnis verweigerte. Im Januar hat sie deshalb auf großen Druck von innen und außen eine Reform des Reisegesetzes durchgeführt. Wenn wir Aktivisten jetzt keine Erlaubnis erhalten hätten, dann wäre aller Welt klar geworden, dass diese Reform eine große Lüge war. Wir Dissidenten dienen sozusagen als Gradmesser der Reform. Es ist ein Sieg für uns, nicht für die Regierung. Wir haben ihr wenigstens die Reiseerlaubnis entrissen."

Aber nach wie vor gibt es viele Beschränkungen: Anderen Dissidenten wird der Reisepass ver-wehrt, und viele Kubaner können die erheblichen Kosten nicht aufbringen, die die Regierung heute für die Ausfertigung des Dokuments verlangt. Andererseits bietet sich den Dissidenten auf ihren Auslandsreisen die einzigartige Möglichkeit, sich unbeschränkt über die Situation in Kuba zu äußern. Wie hat sich beispielsweise die neue Regelung ausgewirkt, dass Kubaner endlich eigene Geschäfte betreiben?

Sánchez: "Die kleinen Arbeitserleichterungen haben dazu geführt, dass heute in Kuba Leute gut leben können. Aber vor allem der schwarzen Bevölkerung, die kaum Zugang zu Dollarüberweisungen von Verwandten besitzt, geht es viel schlechter. Durch den jetzt möglichen Kauf und Verkauf von Immobilien wurden viele von ihnen an den Rand der Städte gedrängt, denn Neureiche kaufen sich überall Häuser und werfen die alten Mieter raus. Täglich wird die soziale Verwerfung dramatischer. Und an der Spitze der Pyramide des gesellschaftlichen Umbruchs steht die olivgrüne Hierarchie."'"

Das ist die das Land regierende Oberschicht aus Partei- und Armeeangehörigen. Aber wie ist möglich, dass es heute in Kuba Millionäre gibt? Fidel Castro hatte einst die Bauernmärkte und die Arbeit auf eigene Rechnung wieder abgeschafft, weil sich Kubaner angeblich bereichert hatten.

Sánchez: ""Zum einen regiert Fidel Castro nicht mehr das Land. Er hat zwar noch Einfluss, aber seine Macht ist begrenzt. Und diese Entscheidungen hat sein Bruder getroffen, der das chinesische Modell zu kopieren scheint: wirtschaftliche Autonomie unter Beibehaltung der politischen Kontrolle. Aber ich glaube nicht, dass das System bei uns Erfolg haben wird, denn gerade diese Millionäre fordern ständig mehr: Sie wollen nicht nur besser leben, sondern auch Zugang zum Internet haben oder darüber bestimmen, welche Ausbildung für ihre Kinder die beste ist. Das chinesische Modell wird hier nicht funktionieren, weil wir keine Chinesen sind."

Ist eigentlich das kritische Potenzial unter den Kubanern in den letzten Jahren gewachsen, durch die neuen elektronischen Möglichkeiten, derer sich Yoani Sánchez so erfolgreich bedient: Handy, Blog, Twitter, Videos?

Sánchez: "Diese neuen Instrumente haben unsere Stimmen vervielfältigt und andere Kubaner dazu ermutigt, Gleiches zu versuchen. Denn nichts ist ansteckender als die Freiheit. Wer sieht, wie ein anderer freizügig damit umgeht, dem fällt es schwer, sich feige zu verhalten. Und so entstehen heute viele Projekte gerade unter Jugendlichen über Demokratie und Freiheit. Und auch wir, mein Mann und ich, haben ein kleines alternatives Videoprogramm geschaffen, das wir bei uns zu Hause aufnehmen und auf DVD verbreiten, denn die Kubaner der Insel sind sehr audiovisuell orientiert, lesen weniger, wollen sich aber auf diesem Weg informieren."

Mehr zum Thema:

"Viele Diktatoren müssen da sehr aufpassen"
Blogger aus Kenia über die digitale Revolution in Afrika

"Wir leben im Netz"
Gespräch mit Blogger Markus Beckedahl

Die Überwachungsmaßnahmen werden "immer stärker"
Journalisten diskutieren über Informantenschutz im Internet