Nichts mehr fragen, nichts mehr suchen

Das zweite Buch des Gewinners des Deutschen Buchpreises, Eugen Ruge, erzählt die Geschichte einer Lebenskrise. In "Cabo de Gata" flieht ein Möchtegernschriftsteller vor seiner Schreibblockade nach Spanien. In der stummen Anwesenheit einer Katze erkennt er die Antwort auf seine Fragen.
Wie würde das zweite Buch ausfallen? Würde man ihm den Druck anmerken, der unvermeidlich auf dem Nachfolger eines Weltbestsellers lastet, zumal es sich bei diesem um ein Debüt handelte? Diese Fragen begleiten die Lektüre von Eugen Ruges Roman "Cabo de Gata". Mit dem DDR-Familienepos "In Zeiten des abnehmenden Lichts" feierte Ruge 2011 bei Publikum und Kritik einen Erfolg, wie er sich in der deutschen Nachkriegsliteratur nicht oft ereignet hat. Er erhielt den Deutschen Buchpreis, der Roman stand vierzig Wochen auf der Bestsellerliste. Ein solcher Erfolg kann eine Bürde sein, er weckt enorme, vielleicht unerfüllbare Erwartungen. Eben diese unterläuft Eugen Ruge nun auf sehr kluge Weise mit einem schmalen, meditierenden Romanessay, der äußerlich - nur auf den ersten Blick auch inhaltlich - nicht das Geringste mit seinem stofflich weit ausgreifenden Debüt zu tun hat.

"Cabo de Gata" erzählt die Erinnerung an eine Lebenskrise. Ein Mann, knapp über vierzig, der allein am Prenzlauer Berg lebt, einen Roman verfassen möchte, aber an einer veritablen Schreibblockade leidet, steigt Anfang der neunziger Jahre aus seinem Lebens aus, und zwar radikal. Er kündigt alles, die Wohnung, seine raren Kontakte, seine Versicherungspolicen. Er besitzt nur noch einen Rucksack und ein paar Ersparnisse. An einem Neujahrstag steigt er in den Zug und fährt aufs Geratewohl nach Barcelona. Der mediterrane Süden scheint ihm das ideale Ziel zu sein, um wieder zu sich und endlich ins Schreiben zu finden. Der Süden: Seit Jahrhunderten das Traumziel vieler deutscher Künstler.

Aber der Traum prallt zunächst an der ernüchternden Realität des andalusischen Dorfes namens "Cabo de Gata" ab, in dem der Möchtegernschriftsteller schließlich hängenbleibt. Er wohnt in einem schäbigen Zimmer, nimmt sein Mittagessen bei einer ruppigen Restaurantbesitzerin ein und füllt die Zeit dazwischen mit Ritualen des Nichtstuns. Bis ihm eines Tages eine rotgetigerte Katze zuläuft, die sich von ihm füttern lässt, schließlich in seinem Zimmer Quartier nimmt und ihm Gesellschaft leistet. Unversehens wird sie zur Muse und, ja zum Medium des Sinnsuchers, der in ihrer stummen Anwesenheit die Antwort auf seine Fragen und seine Suche erkennt: Nichts mehr zu fragen, nichts mehr zu suchen. Auge in Auge mit dem Tier erlebt der Ich-Erzähler einen nahezu mystischen Moment: "Und eines Abends, als die Welt nur noch ein großes, schwarzes Schnurren ist, habe ich das Gefühl, dass die Zeit - endlich - stillsteht".

In dieser parlandohaft, zugleich still und nüchtern verfassten Künstlernovelle erzählt Eugen Ruge die Geschichte eines literarischen Scheiterns. Wir, seine Leser, wissen, dass der Mann, der mit dem Verfasser einige autobiografische Übereinstimmungen besitzt, am Ende keineswegs scheiterte, sondern einen Weltbestseller landete. Ohne es konkret zu benennen, greift "Cabo de Gata" die Vorgeschichte dieses Bestsellers auf, die lange Etappe vor dem leeren Papier, die Etappe der Selbstzweifel und der Ohnmacht. Dass sich Eugen Ruge in seinem zweiten Buch vom Erfolgsmuster des ersten abwendet und ein vollkommen anderes literarisches Genre zueigen macht, macht "Cabo de Gata" über die hohe poetische Qualität hinaus auch sympathisch.

Besprochen von Ursula März

Eugen Ruge: Cabo de Gata. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2013
202 Seiten, 19,95 Euro



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