Nichts zu lachen

Von Michael Laages · 23.09.2011
Der Regisseur und Medienkünstler Herbert Fritsch ist für seine bunten, heiteren Aufführungen bekannt. Den Klassiker "Emilia Galotti" von Gotthold Ephraim Lessing inszeniert er mit ungewohntem Ernst, aber furios. Es wurde ein starkes Stück.
Das wird all die erstaunen (und vielleicht auch enttäuschen), die vom früheren Schauspieler und derzeitigen Erfolgsregisseur Herbert Fritsch immer nur Ulknummern erwarten – Lessings "Emilia Galotti", wie er sie zum Saisonauftakt am Theater Oberhausen auf die Bühne gebracht hat, ist mal wieder ganz anders, ganz "unfritschisch", wenn die Wortschöpfung erlaubt ist. Zwar sind die bewährt überkandidelten Kostüme geblieben, wie sie Victoria Behr seit geraumer Zeit immer wieder kreiert für den Regisseur und Bühnenbildner Fritsch: sehr bunt in allen erdenklichen Pastell- oder Bonbonfarben. Und der oder das Böse trägt Zebra. Auch mit den turmhohen Frisuren und wüsten Perücken stürzt sich Fritsch wieder tief in eine Art Klassiker-Travestie – aber das ist auch schon alles.

Lessings Fabel von Missbrauch, Macht und Mord in fundamental finsterer Feudal-Zeit, in der ein Provinz-Prinz einer Liebeslaune wegen über Leichen geht und erst verstummt vor der notfalls auch selbstmörderischen Fundamental—Moral der Familie Galotti, vor dem Bürgerstolz der neuen Zeit, lässt Fritsch ganz unangetastet. Er erzählt sie geradeaus und unverändert, verzichtet zudem auf jede Form von inhaltlicher "Deutung"; die ja ohnehin und generell nicht die prägende Stärke dieses sehr speziellen Regie-Sonderlings ist. Der Zaubertrick dieses Abends liegt fast ausschließlich in Tempo und Timing des klassischen Krimis.

Der spielt bekanntermaßen an nur einem Tag – morgens bekommt der Prinz vom Hofmaler Conti mitten in den Amtsgeschäften zwei Bilder gebracht (übrigens demonstrativ und ausnehmend hässlich bei Fritsch!): das der abgelegten Geliebten und das der Bürgertochter Emilia, die zwar noch eine Art "No Name" ist, aber immerhin schon so sehr Teil der Gesellschaft, dass sie einem Maler Modell sitzt. Der Prinz ist vom Eindruck, den das Mädchen macht, schier paralysiert; und eilt schnurstracks in die Kirche, um ihr (während sie betet) Liebliches ins Ohr zu säuseln. Dann geht alles ganz schnell: Mord an Emilias Verlobtem, Entführung von Tochter und Mutter aufs prinzliche Schloss; Ankunft von der Ex-Geliebten Orsina und Vater Galotti, der mit Orsinas Dolch (der für den Prinzen vorgesehen war) nun die eigene Tochter ersticht; mit deren Willen, weil sie weiß, wie verführbar sie wäre für Lust und Macht, wenn sie nur erst des Prinzen Lieblingsmätresse wäre.

So schnell wie die Geschichte ist, so schnell lässt Fritsch sie auch spielen – verpasst dem Ablauf aber immer wieder stille Momente, ja geradezu quälend lange Minuten-Blackouts. Die Story stoppt, das Arsenal der zuweilen leicht marionett choreographierten Figuren gerät strukturell ins Stocken; und da der Oberhausener Haus-Musiker Otto Beatus als "Wolfgang M." am Klavier auch noch Mozart-Musik zwischen die Handlung legt, vom Ensemble chorisch begleitet, gerät die Handlung in einen ziemlich faszinierend dynamischen Wechselschritt. Darüber hinaus gestattet Fritsch sich und dem Ensemble ganz wenig Ironie und überhaupt keinen Jux und keine Dollerei, nur ab und an ein bisschen Übertreibung und Hysterie – denn es ist halt einfach gar nichts wirklich komisch bei Lessings Emilia! Hier gibt's nichts zu lachen; und Fritsch hat sich zum Glück auch nicht darüber erhoben, hat dem Text kein ulkiges Hütchen aufgesetzt.

Da fehlt nun zwar ein wenig die Reibung zwischen falschen und echten Tönen; und der von Fritsch selber vehement verfochtenen Theorie vom neo-komischen Theater wird diesmal auch keinen Beleg hinzugefügt. Aber mit dem furios auf Fritschs Ideen und Haltungen eingeschworenen Ensemble (das ihm ja schon zum fünften Mal zur Seite stand) wird doch ein starkes Stück daraus.

Und für die "Fritschianer" gibt's ja immer noch die Applausordnung zum Schluss – die ist vergnüglich wie immer und wie immer eine Sache für sich: typisch Fritsch, auch wenn zuvor fast gar nichts typisch war.