Immer mehr Nichtwähler – Wie steigern wir die Wahlbeteiligung?
Darüber diskutiert Vladimir Balzer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit der Journalistin Ferda Ataman und dem Politikwissenschaftler Armin Schäfer. Hörerinnen und Hörer können sich unter der Telefonnummer 0800 2254 2254 sowie per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de beteiligen. Besuchen Sie uns auch auf Facebook, Instagram und Twitter!
Wie steigern wir die Wahlbeteiligung?
92:41 Minuten
Am Sonntag ist es wieder soweit: Rund 60,4 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, einen neuen Bundestag zu wählen. Doch viele Menschen nehmen ihr Recht nicht wahr. Wie sinnvoll ist eine Wahlpflicht? Ein Wahlrecht für alle?
Geht wählen! Diese Aufforderung ist in diesen Tagen überall zu hören. Was aber, wenn immer weniger einen Sinn darin sehen, ihre Stimme abzugeben?
Die Wahlbeteiligung in Deutschland dümpelt seit Langem dahin: 2009 lag die Quote bei 70,8 Prozent – ein Negativrekord. Bei der letzten Bundestagswahl 2017 stieg sie dann zwar auf 76,2 Prozent. Dennoch gaben fast 15 Millionen Menschen nicht ihre Stimme ab.
Woran liegt das, welche politischen Folgen hat das Nichtwählen? Und wie kann die Wahlbeteiligung gesteigert werden?
Wählen ist ansteckend, Nichtwählen auch
"Die Gründe für die Nichtwahl liegen in einer geringen Bindung an die Parteien, geringerem politischen Interesse, politischer Unzufriedenheit sowie in mangelndem Zutrauen, dass die eigene Stimme etwas ändern kann", sagt Armin Schäfer, Professor für Vergleichende Politikwissenschaft in Münster.
Seine Analyse: "Eine niedrige Wahlbeteiligung ist eine sozial ungleiche Wahlbeteiligung." In wohlhabenden Stadtteilen gingen 90 Prozent der Wählerinnen und Wähler zur Urne, in ärmeren Stadtteilen seien es weniger als 50 Prozent. Studien aus den USA zeigten: "Wählen ist ansteckend, aber Nichtwählen ist eben auch ansteckend."
Schäfer beschäftigt sich auch mit der Forderung nach einer Wahlpflicht: "Eine gesetzliche Wahlpflicht sorgt verlässlich für eine hohe und damit auch sozial gleiche Wahlbeteiligung." Das zeige sich in Ländern wie Belgien, Luxemburg oder Australien.
Doch in Ländern, die keine Wahlpflicht kennen, stoße sie eher auf Ablehnung. Auch in Deutschland: "Ein Wahlzwang widerspricht der Auffassung, dass Wählen ein Recht, aber eben keine Pflicht ist. Zur Wahl gezwungen zu werden, wird als undemokratisch angesehen und gerade von denen abgelehnt, die ein negatives Bild von Politikern und Parteien haben."
Zehn Millionen Ausländer dürfen nicht wählen
"Wählen ist für mich eine Bürger*innen-Pflicht, aber eine gefühlte", sagt die Journalistin und Publizistin Ferda Ataman. "Zum einen, weil ich glaube, dass es einen Unterschied macht. Und weil es ein Feedback ist an die Regierenden."
Für viele Menschen sei Wählen jedoch eine Hürde: "Wählen heißt, man muss sich informieren." Aber was solle eine alleinerziehende berufstätige Mutter von zwei Kindern tun? Zeitung lesen, Nachrichten gucken? Der Wahlakt müsse niedrigschwelliger organisiert werden. "Wir brauchen einen kompletten politischen Kulturwandel."
Ferda Ataman setzt sich für ein Wahlrecht für alle ein: "Wir brauchen ein Ausländerwahlrecht", betont sie. "Wir haben mehr als zehn Millionen Ausländer, die in Deutschland leben. Diese dauerhaft hier lebenden Menschen an Wahlen zu beteiligen und Nichtwähler*innen fürs Wählen (zurück)gewinnen - das sind elementare demokratische Fragen."
Ihre Überzeugung: "Man muss den Menschen bewusst machen: Wählen hat einen Effekt. Es bringt etwas – und das muss man erfahrbar machen."
(sus)