Nick Cave in Concert

Der Meister der düsteren Balladen

Der australische Musiker Nick Cave 2014 während der 64. Internationalen Filmfestspiele in Berlin auf einer Pressekonferenz zum Film "20.000 days on earth".
2014 stellte Nick Cave seine filmische Biografie auf der Berlinale vor. © picture alliance / dpa / Tim Brakemeier
Von Martin Risel |
Nick Cave inszeniert sich gerne als morbider, dem Düsteren zugewandter Hohepriester des Avantgarde-Pop. Bei seinem Auftritt im Berliner Friedrichstadt-Palast hat er jedenfalls kräftig daran gearbeitet, mit großen Gesten seinen eigenen Mythos zu pflegen.
Musik: "From her to eternity" (live)
Dieser Song aus Wim Wenders Film "Der Himmel über Berlin" war auch jetzt einer der Höhepunkte eines denkwürdigen Konzertabends mit Geschichten von Schuld und Sühne, Leid und Gewalt, Tod und Teufel. Zelebriert vom australischen Fürsten der Finsternis auf der Bühne wie ein Hohepriester des Pop, offensichtlich voller Genuss:
Nick Cave: "Viele Dinge sind für mich inzwischen anders: Ich genieße es jetzt mehr, auf Tour zu gehen. Vor allem, weil das letzte Album von vielen jungen Leuten gekauft wurde. Und die wollen jetzt mehr die neuen Songs hören. Das hat mich und die Bad Seeds tiefgreifend verändert."
Vielleicht deshalb jetzt eine Solo-Tour. Obwohl: Vier Musiker von The Bad Seeds hat Nick Cave dann doch dabei, im Zentrum der Multiinstrumentalist Warren Ellis. Mit einem Programm vor allem aus sehr alten – und sehr neuen Stücken vom Album "Push the sky away", 2013 von Kritik und Fans gleichermaßen gefeiert. Das Titelstück am Konzertende nach fast zweieinhalb Stunden driftet dann in Dimensionen des Jenseits ab.
Mystische Verklärung
Intensität nicht durch Lautstärke, sondern durch Tiefe der Songs, so berührt Nick Cave seine treuen Berliner Fans. Es ist dieses Dämonische, etwas Abgedrehte, zwischen Genie und Wahnsinn hin und her Driftende, das er so glaubwürdig auf die Bühne bringt, das zu dieser fast schon mystischen Verklärung seiner Person geführt hat.
Dieser morbide Charakter eines dem Tod zugeneigten Düsterkünstlers symbolisierte die Atmosphäre im alten West-Berlin, wo er in den 80ern gelebt, seine Bad Seeds gegründet und von Wim Wenders verewigt wurde. Grundlage des Mythos eines der immer noch bedeutendsten Avantgardekünstler unserer Zeit.
Nick Cave: "Das Wort Mythos suggeriert, das alles wäre nicht echt. Aber wenn man genug Zeit und Aufmerksamkeit investiert, dann wird man auch so und es gibt kein zurück. Für viele Leute in meinem Beruf kommt die Maske nie herunter. Denn da ist nichts hinter der Maske."
Im Konzert gibt er sich offen, genießt die große Bühne, pflegt die großen Gesten, sucht die Nähe zum Publikum, füllt den Raum mit seiner sonoren Stimme im klagenden, manchmal wispernden Ton.
Mehr gediegen-getragene Atmosphäre als krachender Bandkontext. Und wenn Nick Cave zur nächsten langsamen Piano-Ballade ansetzt, dann schunkelt auch das schrille Punk-Pärchen neben mir romantisch verklärt mit.
Kein Stillstand
Mit dieser Tour wirkt Nick Cave mehr denn je als Getriebener seiner Künste. Im Herbst kam seine autobiografische Film-Doku "20.000 Days on Earth" heraus, gerade das neue Buch "The sick bag song", geschrieben auf Flugzeug-Brechtüten. Nächste Woche erscheint der Soundtrack zum französischen Film "Den Menschen so fern".
Und dann ist da ja noch die Fortsetzung seines Lebenswerkes in menschlicher Gestalt: Sohn Luke war erst neun, als er seinen ersten Song komponierte.
"Er spielt ihn auf der Ukulele, nur auf einer Saite: So in der Tradition großer Blueskünstler wie etwa John Lee Hooker. Und dann singt er: Mami ist tot, Daddy ist tot ... ein schöner Song. Er geht halt in Vaters Fußstapfen."
Nick Cave bastelt auch mit dieser Tour durch europäische Hochkultur-Tempel weiter an der eigenen Musealisierung: Dafür sorgt der immer ausgeprägtere Personenkult in seinen Soloshows und im Herbst dann die Wiederveröffentlichung der allerersten Alben, mitsamt dem ebenfalls in Berlin entstandenen "Ship Song".
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