Nick Drnasos Comic „Sabrina“

Alleine in einer Welt voller Gewalt

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Der Comicautor Nick Drnaso steht, gekleidert mit schwarzer Hose, Pullover und Mütze, vor einer Wand und blick nach rechts unten.
Ästhetisch zurückhaltend, wie in seinem Auftreten: Der US-Zeichner Nick Drnaso wurde für den Booker Prize nominiert.^ © Kevin Penczak
Von Jule Hoffmann |
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Mit realistischem und effektarmen Horror ist er unverhofft zum Star unter den Comicautoren geworden: Nick Drnasos "Sabrina" wurde als erste Graphic Novel für den renommierten Booker Prize nominiert – und damit weltweit bekannt.
Mehr als ein Jahr nach der Erstveröffentlichung von "Sabrina" in den USA ist der Comicautor Nick Drnaso noch immer ratlos angesichts seines Erfolgs. Die Hände im Schoß sitzt er in seinem Hamburger Hotelzimmer: ein schmaler Typ, blass, mit Käppi und Brille. Er spricht leise und nachdenklich, ist bemüht um ehrliche Antworten.
"Ich dachte, der Comic würde nur ein paar nihilistische Leser ansprechen", erzählt Drnaso. "Ich meine, die Figuren sind völlig beziehungslos, sie sind wie Puppen, die eine zwar komplett fiktive Geschichte erzählen, aber allein die Idee einer ermordeten Frau – das Ganze hat einfach etwas sehr Verstörendes, ich hatte Alpträume, als ich daran gearbeitet habe."

Eine düstere Thematik

Das zentrale Ereignis im Comic ist das Verschwinden von Sabrina und schließlich das Auftauchen eines Videos, das ihre brutale Ermordung zeigt. Wie er zu so einer düsteren Thematik kam?
"Ich habe einen Hang zu dieser Art von Weltsicht", erläutert Drnaso. "Aber ich versuche, dagegen zu halten. Du kannst den ganzen Tag alleine vorm PC damit verbringen, jedes Gewaltverbrechen oder entsetzliche Ereignisse nachzulesen. In den USA haben wir zum Beispiel ein Register über Sexualstraftäter, da sind alle Sexualstraftäter auf einer Karte verzeichnet, die in deiner Nachbarschaft leben. Ich habe mir das einmal angeschaut und sie sind einfach überall."
Grafik aus dem Comic "Sabrina" von Nick Drnaso.
Einfachheit der Gewalt: Der Stil von Nick Drnaso in seinem Comic "Sabrina" ist reduziert auf mechanische Linien.© Blumenbar Verlag / Deutschlandradio
Schon mit zwölf sah Drnaso im Internet Enthauptungsvideos, Aufnahmen von schlimmen Autounfällen, Dinge die er lieber nicht gesehen hätte. Daneben verarbeitet er Elemente aus Horrorfilmen im Comic: Teils sieht man die Figuren von hinten, als ob jemand sie beobachten würde; mehrfach sieht man große leere Parkplätze und lange verlassene Korridore.

Realistisch und effektarm

Ein Horrorcomic, der seinen Horror vor allem daraus schöpft, dass er realistisch und effektarm ist, reduziert auf mechanische Linien. In dieser ästhetischen Zurückhaltung spiegelt sich auch Drnasos überaus höfliches, fast hypersensibles Wesen.
"Wenn Leute fragen, warum ich die Charaktere so ausdruckslos gezeichnet habe – ich denke, das resultiert aus der Einsicht, dass ich dieses Leid nicht von innen kenne, und das für jemanden, der es tut, beleidigend sein könnte. In den ersten Skizzen habe ich detaillierter gezeichnet, wenn jemand geweint hat. Aber irgendwie saß das nicht richtig. Also habe ich es überarbeitet, und stattdessen zum Beispiel eine Figur alleine in einem leeren Raum gezeichnet, wo sie sich zusammenkauert und ihr Gesicht versteckt, um den Leser ein bisschen abzurücken vom Geschehen."

Kaum erträgliche Internettristesse

In dieser Pose sieht man Sabrinas zurückgelassenen Freund Teddy, der so etwas wie Erleichterung einzig in einer Radiosendung findet, die klar an "Infowars" des US-amerikanischen rechten Verschwörungstheoretikers Alex Jones angelehnt ist.
Fast zeitgleich mit dem Auftauchen des Videos von Sabrinas Ermordung machen sich im Comic Verschwörungstheorien und Paranoia breit: Das Video sei ein Fake, Opfer und Täter seien Schauspieler, die Angehörigen nicht die, die sie vorgeben zu sein. Calvin Wrobel, ein Freund der sich um Teddy kümmert, erhält Morddrohungen.
Neben dieser Brutalität entfaltet der Comic eine nur schwer erträgliche Internettristesse. Wenn beispielsweise Calvin versucht, mit seiner im entfernten Florida lebenden kleinen Tochter zu skypen, aber auf dem Computerbildschirm kein wirkliches Gespräch zustande kommt. Oder wenn er spätnachts vom Bett aus ein Online-Shooter-Game mit einem Kollegen spielt und sie sich am Ende im Chat Gute Nacht sagen.

Freundschaft mit anderen Comicgrößen

Fast ist man nach all dem froh zu erfahren, dass Nick Drnaso kürzlich seine Freundin geheiratet hat, die in Chicago einen Blumenladen betreibt. Dort ist Drnaso auch Teil der florierenden Szene und befreundet mit Comicgrößen wie Chris Ware und Emil Ferris. Der Booker Prize drang wie aus einer anderen Welt in diese Sphäre und bescherte dem Comic eine völlig neue Aufmerksamkeit.
"Viele denken, dass Comics eine Art zweite Wahl sind – nach dem Motto, wenn du keine Lust hast, einen Roman zu lesen, liest du halt eine Graphic Novel", sagt Drnaso. "Das ist dieses uralte Ding von Comics als Literatur für Ungebildete. Wenn Comics als eigenes Medium anerkannt wären, wie Filme zum Beispiel – da fragt ja auch keiner, warum einen Film gucken, wenn du auch einen Roman lesen kannst."
Vielleicht ist das ein Grund, warum "Sabrina" als Meisterwerk gefeiert wird, weil sich hier die Frage, warum einen Comic lesen, offenbar einmal von selbst beantwortet.
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