Lieder, die aus Träumen sind
Vor drei Jahren wurde Nick Hakim mit zwei fesselnden Soul-Balladen bekannt. Kritiker überschütteten ihn mit Lob. Nun erscheint sein Debütalbum "Green Twins", auf dem Hakim eigene Träume verarbeitet hat – etwa den von den zwei Wackelpudding-Männchen, mit denen es ein schlimmes Ende nimmt.
Es begann alles wie ein Traum und hört sich über weite Strecken auch wie einer an: das Debütalbum "Green Twins" von Nick Hakim. Vernebelt, gedankenversunken und entrückt, inszeniert der Musiker aus Brooklyn seinen Neo-Soul.
Vor drei Jahren hat Nick Hakim zwei roh wirkende, aber unglaublich fesselnden Soul-Balladen veröffentlicht. Über die Musikplattform Soundcloud machten sie zunächst in den USA die Runde, große Tageszeitungen, Radiosender und zahlreiche Musikblogs überhäuften den heute 26-jährigen Musiker mit Lob.
Auf "Green Twins" verfeinert Nick Hakim seinen unkonventionellen, experimentellen Sound, dem man sich nur schwer entziehen kann. In der "Tonart" haben wir mit Nick Hakim gesprochen.
Carsten Rochow: Dem Album liegt ein Traum von grünen Zwillingen – "Green Twins" - zugrunde. Was für ein Traum war das denn?
Nick Hakim: Das war tatsächlich ein wiederkehrender Traum, ich hatte ihn drei Mal. Es war wirklich einer der schrägsten Träume, die ich je hatte, und ganz schön gruselig. In dem Traum bin ich mit meiner Partnerin spazieren gegangen, und dann waren da diese kleinen grünen Zwillinge, sie waren aus so einer Art Wackelpudding geformt. Und in allen diesen Träumen sind sie vor uns her gerannt, sie kamen nicht an uns vorbei, haben uns nicht berührt, und am Ende des Traumes sind sie auf die Straße gerannt und wurden überfahren.
Es gibt mehrere Songs auf dem Album, die von Träumen handeln. Ich habe meinem Freund von meinen Träumen erzählt, und er meinte, ich sollte sie alle aufschreiben. Inzwischen habe ich ein ganzes Notizbuch voll damit und ein paar Voice-Memos. Und das war eine Menge Stoff, um Musik darüber zu machen, über diese surreale Welt in meinem Kopf.
Rochow: Hat dieser Traum letztendlich irgendeinen Sinn für Sie ergeben?
Hakim: Ja, absolut.
Rochow: Auf welche Weise?
Hakim: Es ist eine sehr persönliche Sache, und ich würde es lieber dem Hörer selbst überlassen, sich seinen Reim darauf zu machen.
Rochow: Sie werden in der Presse und in Musikblogs als aufstrebender Soul-Act gepriesen. Aber Sie machen ja nicht nur Soul. In Ihrer Musik kommen auch Hip-Hop und psychedelische Elemente vor. Woher kommt das, was sind Ihre Einflüsse?
Hakim: Sehr unterschiedliche Musik. Ich interessiere mich sehr für Musik aus den 50ern bis zu den 80er-Jahren, alles Mögliche. Und ich liebe Vinyl, das ist mir sehr wichtig, das klingt einfach satter. Aber meine Einflüsse sind sehr vielfältig, und ich kann da eigentlich keine einzelnen Namen nennen.
Rochow: Ihre Songs haben auf mich eine ganz bestimmte Wirkung: Sie entschleunigen mich, machen mich nachdenklich, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite nehme ich sie als unglaublich intensiv wahr. In welcher Stimmung sind Sie eigentlich, wenn diese Songs entstehen?
"Ich schlüpfe in verschiedene Rollen, boshafte, traurige"
Hakim: Manchmal bin ich einer ähnlichen Stimmung, manchmal kommen diese Songs aber auch einfach so heraus. Entscheidend ist, dass ich einen Raum habe, physisch, aber auch mental, in dem ich es zulassen kann, verletzbar zu sein. Ich war viel unterwegs für das Album, vor allem in den USA, habe in verschiedenen Studios gearbeitet – ja, der richtige Ort ist entscheidend, und manchmal heißt das einfach, dass man weg muss von zu Hause.
Viele der Aufnahmen haben bei mir zu Hause begonnen. Vieles ist im Haus meines Freundes entstanden, das an einem See liegt im Norden des Staates New York. Anderes ist in Montreal entstanden, wieder Sachen in London. Aber Sie haben ja eher nach den geistigen Entstehungsbedingungen gefragt. Ich schlüpfe in verschiedene Rollen, mit meiner Stimme, erschaffe unterschiedliche Charaktere: boshafte, traurige, hoffnungsvolle ... Dieses Album ist auf jeden Fall fröhlicher ... nein, nicht fröhlicher, aber es hat mehr Energie als meine früheren Sachen. Ja, es ist weniger traurig.
Rochow: Vor allem hört man ganz viel Liebe aus Ihren Songs heraus, Ihre Texte sind oft Liebeserklärungen. Welchen Einfluss haben denn andere äußere Umstände auf Ihre Musik? Dinge wie Politik, Gesellschaft, die Gegend, in der Sie wohnen? Spielt so etwas auch eine Rolle?
Hakim: Auf jeden Fall! Ob es uns gefällt oder nicht, diese Dinge spielen eine Rolle. Meine Songs drehen sich zwar um Liebe, aber ich schreibe ja nicht nur "Baby, Baby, I love you". Es geht darin ja auch nicht nur um meinen jetzigen Partner. Es geht auch um Lust, um Verwirrung, oder nur darum, eine Stimmung zu erzeugen.
Manchmal möchte ich mit einem Song auch nur einen Ort erschaffen, an dem wir etwas Abstand gewinnen können zu all dem Mist, mit dem wir zu tun haben. Das politische Klima ist ja auf der ganzen Welt nicht gerade angenehm, und in den USA besonders. Aber während andere Musiker explizit darauf Bezug nehmen, möchte ich mit meiner Musik wirklich eher so einen Raum schaffen, in dem wir uns an die Liebe erinnern. Aber manchmal schreie und brülle ich auch, wenn ich auf der Bühne stehe, um all diesen Scheiß loszuwerden, diese Seite habe ich auch.
"Ich bin mit jeder Menge Musik aufgewachsen"
Rochow: Dass Sie Stimmungen kreieren können, das hört man Ihrem neuen Album "Green Twins" wirklich in jeder Sekunde an. Welche Vorstellungen hatten Sie eigentlich für Ihr Debüt, was die Produktion angeht? Und konnten Sie alle Ihre Ideen umsetzen?
Hakim: Vieles ist während der Produktion erst entstanden, wir haben viel experimentiert, mit Instrumenten und Sounds. Ich hatte die Songs ja alle vorher geschrieben und ganz einfache Demos aufgenommen mit Gitarre und Gesang. Und manche Songs habe ich dann verlangsamt, bei einem habe ich Klavier gespielt und im Hintergrund hat man Geräusche von der Heizung gehört, so etwas ist auch in die Aufnahmen eingeflossen. Die Drums habe ich alle in Montreal programmiert, davon ist nichts live eingespielt worden.
Rochow: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Sie sind in Washington D.C. aufgewachsen, einer Stadt mit einer sehr lebendigen Punkrock- und Hardcoreszene. Ihre Eltern stammen aus Chile und Peru und musizieren selbst, spielen aber vor allem Volkslieder aus Ihren Heimatländern. Wie konnten Sie unter diesen Umständen nur auf Soul-Musik kommen?
Hakim: Washington D.C. hat sehr viel Soul! Die Musikszene ist unglaublich. Sie ist sehr klein und gut vernetzt. Ich glaube schon, dass das aus der Kultur kommt, in der ich aufgewachsen bin. Meine Freunde, meine Lehrer, meine Eltern, das passt schon alles. Mein Vater hat viele Soul-Platten. Wir haben viel Al Green gehört, Babyface – mein Vater ist ein Musiknerd, er hatte eigentlich von allem etwas. Und ich bin natürlich mit Hip-Hop aufgewachsen, das hat jeder gehört, und das ist ja sehr nah an Soul. Auch zeitgenössischer R'n'B war sehr wichtig für mich, das lief ja im Radio. Und ich hatte viele Kassetten und CDs – also, ich bin mit jeder Menge Musik aufgewachsen.
Rochow: Und all das hört man auch auf Ihrem neuen Album. Vielen Dank für das Gespräch!