Hören Sie hier auch einen Beitrag über Diversität im Film in Großbritannien von Christian Berndt.
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"Daran führt kein Weg mehr vorbei"
11:30 Minuten
Als erstes deutsches Unterhaltungsunternehmen hat sich die UFA zu Diversität vor und hinter der Kamera verpflichtet. Endlich müsse sich die Vielfalt der deutschen Gesellschaft auch in Film- und TV-Produktionen wiederfinden, sagt UFA-Chef Nico Hofmann.
Susanne Burg: Das neue Jahr hat begonnen, und die Hoffnung ist groß, dass es 2021 bald wieder so etwas wie Normalität geben wird – auch in der Filmbranche. Wie optimistisch der Chef des größten deutschen Produktionsunternehmens für Film und Fernsehen in die Zukunft schaut und wie das Unternehmen die Selbstverpflichtung zur Diversität umsetzt, das bespreche ich mit dem Geschäftsführer der UFA, mit Nico Hofmann.
Bevor wir in die Zukunft schauen, würde ich gern kurz zurückschauen: 2020 war für viele Wirtschaftszweige, auch für die Filmbranche, ein sehr hartes Jahr. Kinobetreiber mussten ihre Kinos lange schließen, Verleiher konnten ihre Filme nicht herausbringen, Produktionsfirmen hatten Corona-bedingt mit schwierigen Drehbedingungen zu kämpfen. Wie ist die UFA durchs Jahr 2020 gekommen?
Nico Hofmann: Ich würde sagen, wir sind relativ gut durch das Jahr gekommen, weil wir natürlich sehr, sehr stark im Fernsehbereich zu Hause sind. Wir haben sehr schnell die sogenannten Studioproduktionen wieder hochgefahren, bereits im März, vor allen Dingen die großen Shows und auch die Dailys, die sogenannten Soaps, weil Sie da natürlich an einem geschlossenen Set arbeiten. Aber was den Kinobereich anbetrifft, haben wir große, große Verschiebungen, auch große Verluste einstecken müssen.
Kollegen von mir, die jetzt quasi "nur" im Kinobereich unterwegs sind, haben natürlich dieses Jahr wirklich einen Albtraum erlebt, die konnten gar nicht produzieren. Wir konnten teilweise übrigens auch im Ausland ganz, ganz schwer nur produzieren. Wir haben im Kinobereich jetzt natürlich einen Rattenschwanz an nicht herausgebrachten Filmen, auch aus Amerika, die Kinos sind nicht geöffnet. Da ist jetzt die Pandemie noch deutlich stärker spürbar als im Fernsehbereich, weil wir natürlich durch das Streaming-Angebot, durch die hohe Fernsehnutzung eher einen Vorteil gehabt haben.
Burg: Es wurde ja auch sehr viel darüber geredet, inwieweit Corona die Filmbranche vielleicht auch nachhaltig verändert hat. Wie würden Sie das beschreiben, welchen Einfluss haben Streamingdienste, was hat sich verändert in der Kinobranche, was vielleicht auch bleibt?
Hofmann: Ich habe das am Anfang nicht so ganz ernst genommen, aber mittlerweile glaube ich schon, dass es eine erhebliche Beeinflussung geben wird. Wenn ich nach Amerika schaue, vor allen Dingen die letzten Ankündigungen bei Disney und bei Warner, einen großen Teil ihres Kinoangebots direkt in ihre eigenen Streamingportale zu setzen, sind das natürlich alarmierende Botschaften, weil man sich dann ausrechnen kann, wie stark der amerikanische Markt jetzt reagieren wird. Streaming ist absolut der Gewinner dieser Pandemie.
Ich muss auch dazusagen, das ist was, was wir seit Jahren beobachten: Die Zuschauer und Zuschauerinnen kaufen sich immer größere Fernseher. Ich habe die Befürchtung, dass wirklich nur noch die großen, großen Blockbuster dann auf die Leinwand kommen, die natürlich auch ein entsprechendes Investment immer sind, und dass viele kleinere Firmen, auch im Arthouse-Bereich, es wesentlich schwerer haben werden. Das ist natürlich gerade für ein Land wie Deutschland besonders bedrückend und auch besonders gefährlich.
"Gibt keinen Bereich, der nicht betroffen wäre"
Burg: Was wünschen Sie sich für das Jahr 2021 nach diesem katastrophalen oder anstrengenden, schwierigen 2020?
Hofmann: Vielleicht wirklich eine Besinnung, wo wir eigentlich hinwollen. Die Fragen, die Sie jetzt stellen, gehen ja genau in die Richtung, also zu sagen, wie sehen wir die Zukunft im Streaming. Auch bei der UFA setzen wir jetzt quasi auch alle kleineren Kinoprojekte von vornherein jetzt mit Streamingpartnern auf oder gehen wir trotzdem noch in komplexe Finanzierungen, auch im Nachwuchsbereich. Die UFA hat ja immer doch auch große Erfolge gehabt, "Der Junge muss an die frische Luft" war ein Riesenerfolg, und der Erfolg war auch eben im Kino möglich, weil es auch ein gemeinschaftliches Erlebnis war. Das sind viele Fragestellungen, die uns begleiten werden.
Offen stand noch das ganze Thema Homeoffice – wir haben natürlich jetzt auch gelernt, wie alle anderen Firmen auch, mit dem Homeoffice umzugehen, wir vermieten wahrscheinlich ein Drittel unserer Büroflächen jetzt an junge Start-ups, also alles das. Es gibt eigentlich überhaupt keinen Bereich, der nicht betroffen wäre. Aber man muss immer wieder sehen, andere Bereiche wie die Gastronomie sind noch mal ganz anders betroffen, ganz zu schweigen von den freischaffenden Künstlern. Da ist im Moment wirklich eine Existenzbedrohlichkeit da, die wir im Fernsehbereich nur bedingt erlebt haben.
"Identität spielt eine immer größere Rolle"
Burg: Sprechen wir über das, was Sie seit einiger Zeit auch sehr beschäftigt: Diversität. Die UFA hat sich Ende November als erstes deutsches Unterhaltungsunternehmen zu Diversität vor und hinter der Kamera verpflichtet. Warum dieser Schritt?
Hofmann: Das hat ja bei mir sehr stark mit meiner Professur in Ludwigsburg zu tun. Ich erlebe seit über 25 Jahren, wie sich die Studiengänge dort einfach verändern. Ich gebe jetzt mal einen momentanen Stand: Wir haben zum ersten Mal fifty-fifty Männer/Frauen im Regie-Studiengang, und wenn ich mir die letzten Jahre anschaue, habe ich über 40 Prozent Studierende mit Migrationshintergrund – das ist Irak, das ist Afghanistan, das sind arabische Länder. Dazu kommt natürlich jetzt auch der ganze Bereich der Sexualität.
Wenn ich mir die letzten zehn Jahre anschaue – wir haben in Ludwigsburg zwei Studierende mit Transgender-Prozessen begleitet –, der ganze Bereich der Herkunft, der Sexualität, der Identität spielt eine immer größere Rolle. Ich bin der Meinung, dass Gesellschaft sich auch in Deutschland verändert, verändert hat und dass das einen Ausdruck in der Art und Weise finden muss, a) wie wir produzieren und b) was wir produzieren. Da führt gar kein Weg mehr für mich dran vorbei, ist also eine reine Frage jetzt, wie man das macht und wann es kommt, aber das ist der Hintergrund der Selbstverpflichtung der UFA.
Burg: Es gab auch einige kritische Stimmen zu Ihrer Selbstverpflichtung. Dominik Graf beispielsweise hat im Interview gesagt, ich zitiere mal: "Solche Selbstverständlichkeiten groß hinauszuposaunen, das irritiert dann schon wieder, einfach machen würde auch reichen." Was ist Ihre Antwort darauf?
Hofmann: Na ja, ich schätze ja Dominik sehr. Zunächst mal, es posaunt erst mal gar niemand raus, sondern es wird erst mal ernst genommen. Das Papier, das wir veröffentlicht haben, ist ein Resultat von vier Arbeitsgruppen über ein Dreivierteljahr bei uns im Haus, und ich würde mal entgegnen, es haben in der Tat sehr viel jetzt schon dauernd rausposaunt, aber nichts gemacht. Sie müssen ja schon irgendwo eine Art von Gerüst im Hintergrund haben. Es geht in der Tat um die Selbstverständlichkeit, wie wir mit Stoffen umgehen und wie wir Stoffe und Besetzungen betrachten, und Dominik weiß das ganz genau. Wenn Sie das deutsche Fernsehprogramm der letzten 15 Jahre nehmen, ist diese Selbstverständlichkeit weit, weit entfernt.
Burg: Was er ja selber auch sagt.
Hofmann: Ja, ja, das Interview ist auch sehr klug, wenn Sie das ganze Interview lesen, ist es auch eine sehr kluge Betrachtung über deutsches Fernsehen, wo ich mich in vielen Bereichen anschließe. Aber Sie kommen dann in der Tat nicht darum herum, das dann auch wirklich an Maßgaben und Maßnahmen dingfest zu machen. Wir müssen uns daran messen lassen – ich rede jetzt über die UFA –, ob wir bis Ende nächsten Jahres diese von uns gesetzten Ziele auch einhalten.
"Zuständig sind zunächst mal alle Beteiligten"
Burg: Es geht bei Ihnen ja um vier Bereiche: Gender, LGBTIQ, People of Color, Menschen mit Beeinträchtigung. Nach diesen vier Gruppen fragen Sie bei jeder Produktion nach Protagonistenfiguren, Drehbuchhandlungen, Besetzungen vor und hinter der Kamera. Was heißt es denn konkret, wenn Sie ein neues Projekt andenken? Wie stellen Sie sicher, dass diese Ansprüche erfüllt werden, wer ist dafür zuständig?
Hofmann: Zuständig sind zunächst mal alle Beteiligten. Das sind die Producerinnen und Producer, das sind die Menschen auf der kreativen Seite wie Regie und Kamera. Man muss erst einmal sehen, dass in den letzten Jahren ganz oft auch mit einer bestimmten Selbstverständlichkeit gewisse Rollenklischees immer wieder weiter bedient worden sind. Das ist ja ganz selten gewesen, dass wir uns wirklich mal damit beschäftigt haben, warum besetzen wir beispielsweise einen Schauspieler, der People of Color ist, für eine bestimmte Rolle nicht, oder wie kommen wir auf bestimmte Besetzungen. Das muss sich jeder fragen lassen.
Es muss eben auch eine Selbstverständlichkeit sein, diese Unterschiede in der Gesellschaft, die mittlerweile evident sind, die auch wirklich selbstverständlich abzubilden. Das hat zu tun mit einer Souveränität, wie Sie Figuren zeigen, und es geht eben auch in den sexuellen Bereich. Nataly Kudiabor ist Produzentin von "All you need". Es gab viele schwule Serien, auch in der ARD, auch beim RBB, aber das ist die allererste Serie, die zunächst mal schwule Lebensweisen, schwules Miteinanderleben komplett ernst nimmt und auch mit einer gewissen Souveränität Figuren behandelt. Darum geht’s mir. Es geht jetzt nicht darum, zu sagen, ganz toll, wir haben jetzt auch eine schwule Besetzung im Cast, sondern es geht wirklich darum, Lebenswelten mit einer großen Souveränität abzubilden.
"Ich habe kein Interesse daran, Stoffe zu zensieren"
Burg: Was ist aber, wenn ein bestimmtes Projekt eine Lebenswelt abbildet, die einfach nicht divers ist? Wenn Sie jetzt einen Stoff haben, der historisch ist, sagen wir Kaiserreich, wo sich abzeichnet, es ist schwierig, eine diverse Geschichte zu erzählen, wäre das denn etwas, wo Sie dann noch trotzdem nach suchen, oder sagen Sie, okay, dann machen wir dieses Projekt so und schauen bei einem anderen Projekt, dass wir es divers anlegen?
Hofmann: Bei gewissen solchen Projekten, an denen ich natürlich auch hänge, wird es in der Tat gar nicht möglich sein, das ist ganz klar. Aber ich drehe das noch mal rum: Wir haben auch eine deutsche Kolonialgeschichte in sehr, sehr weit weg liegenden Ländern mit ihrer eigenen Geschichte, ich kann mir gut vorstellen, das auch zu verquicken. Das ist kein Ausschlusskriterium, zu sagen, wenn wir es historisch spielen, kann es nicht divers sein.
Aber noch mal, das geht zurück auf das, was Dominik zu Recht sagt: Ich habe kein Interesse daran, Stoffe jetzt quasi zu zensieren, sie zu verbiegen oder sie in eine bestimmte Richtung zu rutschen, wo es gar nicht geht, aber ich bin der Meinung – und da rede ich jetzt über ein großes Portfolio, was die UFA macht –, wir haben so viele Möglichkeiten, wir produzieren auch "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", wo wir das Diversitätsthema offen gestanden schon vor vier Jahren begonnen haben. Es gibt so viele Produktionen von uns, wo das geht, und mein Hauptaugenmerk liegt wirklich im Gesamtportfolio.
Großbritannien und die USA sind Jahre voraus
Burg: Wir haben vorhin auch schon über die Veränderungen der Filmbranche gesprochen, die zunehmende Macht der Streamingdienste. Da gibt es ja immer wieder Filme und Serien, die sehr selbstverständlich zum Beispiel auch in anderen Sprachen gedreht werden, mit einem sehr diversen Cast. Wie verändern Streamingdienste vielleicht auch ganz selbstverständlich die Branche?
Hofmann: Ich glaube, dass sie das bereits tun, weil Streamingdienste ja eines erkannt haben: Dass der sogenannte lokale Stoff, egal woher er kommt, weltweit eine Faszination ausübt. Da gehört auch die wunderbare Serie von Anna Winger "Unorthodox" dazu, wo auch die ganzen Parts in New York beispielsweise in Jiddisch gedreht sind. Oder ich nenne jetzt auch mal die Ferrante-Verfilmung "My Brilliant Friend", die quasi in Neapel spielt und wo die beiden jungen Hauptdarstellerinnen teilweise im Originaldialekt des Südens von Italien sprechen.
Auch da sind sie untertitelt, aber nicht synchronisiert worden, auch in Italien ist es im Original gelaufen. Und das ist eine Erfahrung, die wir auch in der UFA machen: Je stärker und authentischer der lokale Stoff ist, je besser funktioniert er interessanterweise weltweit. Das ist etwas, das durch Streaming eine ganz neue Rolle spielt. Eine jüngere Generation schaut eben die Originalsprache und dort oft auch wirklich im Dialekt und auch in der richtigen Originalsprachlichkeit der Region, wo es gedreht ist.
Burg: In Großbritannien haben sich mehrere Einrichtungen im Filmbereich der Selbstverpflichtung zu mehr Diversität schon vor einigen Jahren verschrieben, darunter die BBC und das British Film Institute. Was können wir Ihrer Meinung nach in dieser Hinsicht von Großbritannien lernen?
Hofmann: Zunächst mal eine ganz Menge, weil der Blick nach England, den könnte man jetzt auch noch ergänzen durch den Blick nach Amerika. Die UFA gehört ja einem britischen, in London sitzenden Unternehmen an, also Fremantle, meine Mutter, wenn Sie so wollen, sitzt in London. Das sind Einwanderungsländer, die mit ihrer eigenen Geschichte, mit ihrer eigenen Diversität seit Jahrzehnten – bei allen Schwierigkeiten, die es gibt, siehe Black Lives Matter in Amerika – aber doch sehr, sehr bewusst umgehen. Salopp gesagt können wir uns davon eine große Scheibe abschneiden. Die sind in vielen Bereichen fünf, sechs Jahre voraus.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.