Mal lustig, mal ernst – aber immer politisch
Die Brüder Nico und Arne Semsrott sind beide politisch aktiv. Der eine macht Kabarett, der andere arbeitet für Transparency International. Zwei grundsätzlich verschiedene Perspektiven - doch die beiden eint, was sie antreibt.
Die Brüder Arne und Nico Semsrott sind denkbar unterschiedlich, aber sie teilen eine Leidenschaft: die Politik. Die haben sie auf ihre jeweils eigene Weise in ihr Leben integriert. Arne, Jahrgang 1988, arbeitet für Transparency International und leitet das Projekt "Frag den Staat" bei dem Verein "Open Knowledge Foundation", der sich für offenes Wissen im Netz einsetzt. Nico, Jahrgang 1986, ist Kabarettist und wurde mit einem bitterbösen Auftritt zur AfD zunächst im Internet bekannt.
Inzwischen steht Nico auf vielen Bühnen und hat im vergangenen Jahr den Deutschen Kleinkunstpreis gewonnen. Er gibt den depressiven Anti-Kabarettisten, redet langsam, versteckt sich unter einer schwarzen Kapuze und nennt sich "Demotivationscoach". Unter dieser Berufsbezeichnung kandidiert er auch als Berliner Spitzenkandidat für "Die Partei" bei der Bundestagswahl. "So Mottos wie 'Inhalte überwinden' oder 'Ja zur Politik – nein zur Politik', das deckt sich doch sehr mit meinen Ansichten. Ich denke, wer sich für Politik interessiert, der kann eigentlich weder CDU, SPD oder noch eine andere etablierte Partei wählen."
Ihre Schülerzeitung wurde an der Schule verboten
Sein Bruder Arne bleibt dagegen lieber im Hintergrund und setzt sich für mehr Informationsfreiheit im Internet ein, zum Beispiel, dass Gesetzesentwürfe und Haushaltsdaten frei zugänglich werden. "Das sind jetzt keine Themen, die automatisch ganz groß in der Tagesschau kommen würden, aber ich glaube – oder ich hoffe –, dass über die Jahre so einigen Menschen geholfen wird – und die Demokratie so ein bisschen besser wird."
Ihr erstes politisches Projekt haben die Brüder gemeinsam verwirklicht: Eine subversive Schülerzeitung, die letztlich an ihrer katholischen Schule verboten wurde. Was sie aber nicht davon abhielt, sie dennoch zu verkaufen. "Für die dritte Ausgabe haben wir vor der Schule ein Dixie-Klo organisiert; und zwar hatte Nico sogar alle rechtlichen Unwägbarkeiten schon angeguckt und hatte das dafür sogar offiziell beim Grünflächenamt, glaube ich, der Stadt Hamburg angemeldet. Wir hatten also sogar die Genehmigung dafür, ein Dixie-Klo aufzustellen und haben dann unter dem Motto 'Schülerzeitungsverbot – da scheißen wir drauf' aus diesem Dixie-Klo die Schülerzeitung verkauft." Die Zeitung gewann letztlich sogar einen Preis für Zivilcourage.
In der Jugend unter Depressionen gelitten
Bis heute entstehen manche Ideen für Nicos Programm aus gemeinsamen Ideen: "In einem Telefongespräch vor ein paar Jahren ist aus meiner Sicht meiner bester Gag entstanden. Da haben wir darüber geredet, ob im Grundgesetz das Wort Liebe wohl vorkommt. Und dann haben wir beide gelacht, weil wir nicht gedacht haben, dass im Deutschen Grundgesetz das Wort Liebe vorkommt. Und dann habe ich danach gegoogelt und festgestellt: es gibt das Wort Liebe im Grundgesetz einmal – und zwar im Wort Kriegshinterbliebenen."
Bei allem Humor: Der abgrundtiefe Touch des Kabarett-Programms von Nico Semsrott hat einen ernsten Hintergrund: Nico litt als Jugendlicher unter Depressionen. "Ich find' ja auch, Depression ist eine sehr nachvollziehbare Haltung zu dieser Welt. Also, überfordert sein und ohnmächtig sein, finde ich immer noch sehr, sehr nachvollziehbare Gefühle. Ich hab' die auch immer noch jeden Tag, wenn ich über irgendetwas nachdenke."
So entstand letztlich auch die Figur des "Demotivationscoaches": "Ich hab' dann wirklich auch Witze darüber gemacht; das war dann schon Absicht, als Form, damit umzugehen. Und so ist aus meiner Selbsttherapie immer mehr eine Gruppentherapie geworden. Also ich bin mit meiner Gruppentherapiesitzung auf Deutschlandtournee."