Hommage an die Koryphäen der Architektur
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Schwelgerisch-verträumter Elektropop ist das Markenzeichen des französischen Duos Air. Einer der Musiker, Nicolas Godin, ist mittlerweile auch solo erfolgreich. Sein Album "Concrete and Glass" widmet er der Architektur.
"Wir reden hier über charismatische Gebäude, die Teil der Architekturgeschichte sind. Als ich sie besucht habe, hat das bei mir für einen regelrechten Fluss an Ideen gesorgt. Es hat mich in Stimmungen versetzt, die ich in diesen Songs umgesetzt habe. Ein Ansatz, wie ich ihn auch bei Film-Soundtracks verfolge: Du schaust dir an, was auf dem Bildschirm passiert und beschreibst es. Aber statt Worte verwendest du halt Sounds", sagt Nicolas Godin.
Klänge wie Le Corbusier, Mies van der Rohe, Niemeyer
Seine Kompositionen bezeichnet Godin als "Architect Tunes" – Stücke über das Schaffen von bedeutenden Architekten, die ihn während seines Studiums geprägt haben und deren Kreationen er auf der ganzen Welt besucht hat. Wie Lautner, Niemeyer, Le Corbusier. Koryphäen ihres Fachs, die sich völlig unterschiedlicher Ansätze bedient haben und auf ihre Art einzigartig waren. Wobei Godin vor allem auf den Deutschen Mies van der Rohe schwört:
"Er war ein Revolutionär. 2000 Jahre lang herrschten strikte Prinzipien, was die Architektur betrifft – und dann sagte er: 'Lasst uns das in den Müll werfen und mit etwas Neuem aufwarten.' Im Song 'The Border' geht es um den Pavillon, den Mies van der Rohe in den 1920er-Jahren in Barcelona gebaut hat und der lediglich aus drei oder vier Mauern besteht. Er ist sehr linear, weitläufig und karg. Das ist es, was mich beeinflusst hat. Mies van der Rohe zeigt, welchen Zen-Effekt ein Gebäude ausüben kann."
Wie die Gebäude, so die Songs. Godin inszeniert sie mal minimalistisch und experimentell. Mal elegant und verspielt – mit Disco-, Funk-, Soul- und Jazz-Einflüssen. "Concrete And Glass" bedient sich bei Air, Kraftwerk, Chic und Burt Bacharach. Nostalgie, Futurismus, Romantik und Avantgarde. Die zehn Stücke basieren wahlweise auf Klavier oder selbstgebautem Modular-Synthesizer – und wirken sehr stringent und konzeptionell. Aus gutem Grund, wie Godin erläutert:
"Ich sollte eigentlich Architekt werden – wie mein Vater. Aber in letzter Minute entschied ich mich für die Musik. Wobei das für mich dasselbe ist: In der Architektur hast du Mauern, in der Musik Noten. Und es geht nur um den Raum dazwischen. Deshalb war der erste Song von Air, "Modular Mix", auch eine Hommage an Le Corbusier. Es war mehr Klangdesign als alles andere. Denn schon damals dachte ich: Welche Musik wurde man in einem seiner Häuser hören?"
Frisches Blut durch junge Künstler
Auch wenn sie wie Soundtracks angelegt sind: Godins Stücke sind nie rein instrumental, sondern weisen immer Gesang auf. Greift er selbst zum Mikro, jagt er seine Stimme durch einen Verfremdungseffekt. Ansonsten fährt er Gäste wie Alexis Taylor von Hot Chip, den amerikanischen Aktivisten Cola Boyy oder die Soul-Sängerin Kadhja Bonet auf – Hipster- und Underground-Künstler, die eigentlich wenig mit Godin zu tun haben. Doch auch das, so der 50-Jährige, ist Teil des Konzepts.
"Ich wollte nicht mit Musikern meiner Generation arbeiten, sondern mir ging es um junge Leute. Ich wollte wie ein Vampir sein, der sich mit frischem Blut versorgt, nicht mit altem."
"Concrete And Glass" ist eher anspruchsvolle Klangkunst als ein kommerzielles Pop-Album. Kein Werk für die Charts und erst recht nicht für die Clubs, sondern für Liebhaber von elektronischer Musik – wie Godin selbst, der mit seinen Stücken richtige kleine Monumente erschaffen will. Am liebsten mit derselben Halbwertszeit wie seine architektonischen Helden – nämlich für die Ewigkeit.
"Keine Ahnung, was in Hundert Jahren sein wird. Vielleicht sind meine Stücke dann längst vergessen. Aber mein Ziel ist es, zeitlos zu sein."