Nicolas Mathieu: "Rose Royal"
Aus dem Französischen von Lena Müller und André Hansen
Hanser Berlin 2020
95 Seiten,18 Euro
Coole Frau mit Revolver
06:49 Minuten
Eine Frau will sich zur Wehr setzen. Die Sekretärin Rose in "Rose Royal" von Nicolas Mathieu ist um die 50, hat genug von gescheiterten Beziehungen. Sie macht sich auf die Suche nach einem selbstbestimmten Leben. Und sie kauft sich eine Waffe.
Rose ist die Heldin dieses hinreißenden, melancholischen Romans von Nicolas Mathieu, der erneut in Lothringen spielt. In der Nähe von Nancy ist der Schriftsteller aufgewachsen, dort lebt er bis heute. Schon in seinem vorherigen Buch "Wie später ihre Kinder", für das Mathieu 2018 den wichtigen Prix Goncourt bekam, leuchtete der neue Meister des Provinzromans die Atmosphäre in diesem überwiegend ländlich geprägten Ostfrankreich aus.
Er zeigte die Lethargie der Jugendlichen, die sich aus ihren durch die Familie vorgestanzten Lebensbahnen kaum herausbewegen können oder wollen. Die genaue Skizzierung der Gefühlswelten der Jungen, aber gerade auch der Mädchen, war ein herausragendes Merkmal seiner Schreibweise.
In die Psychologie einer Frau um die 50 eingefühlt
In "Rose Royal" nun beweist der 42 Jahre alte Schriftsteller, dass er nicht nur das beschreiben kann, was er als Heranwachsender selbst erlebt hat. Sondern dass es ihm auch gelingt, sich in die Psychologie einer Frau um die 50 einzufühlen.
Rose könnte man als "royale" Erscheinung bezeichnen, auch wenn das "Royal", das dem Roman den Titel gibt, eine Kneipe ist. An deren Tresen verbringt die Sekretärin regelmäßig ihre Feierabende. Man muss sie sich als attraktive, etwas unnahbare, selbstbewusste und coole Frau vorstellen. Avancen weist sie in der Regel ab, denn von den Kerlen hat sie genug.
Nach der Scheidung hat sie sich ein paar Mal auf neue Beziehungen eingelassen, die aber nach kurzer Zeit immer zerbrachen. Auch weil oft häusliche Gewalt ins Spiel kam. Und so hat sich Rose im Internet einen Revolver bestellt. Seitdem fühlt sie sich sicherer.
Schonungslose Studie über scheiternde Beziehungen
Der knappe Text, der auch formal durch das Leitmotiv der Waffe eher eine Novelle ist, erzeugt eine anhaltende untergründige Spannung. Wenige Andeutungen reichen, um zu erspüren, wie das (Liebes-)Leben der Protagonistin bisher aussah: von sexuellen Übergriffen in der Pubertät über die gescheiterte Ehe bis zu frustrierenden Männererfahrungen danach.
"Rose Royal" ist eine schonungslose Studie über scheiternde Beziehungen, die psychische und physische Gewalt, mit der manche Männer sich Frauen gefügig machen, über materielle Abhängigkeit und die Angst vor dem Alleinsein, die Melancholie des Alltags und der Gleichförmigkeit.
"Eine große Traurigkeit überkam sie", ist der Schlüsselsatz des Buchs, das fast vollständig aus der Perspektive der Frau geschrieben ist. Rose will kein wehrloses Opfer sein, sondern ein selbstbestimmtes Leben führen. Das misslingt, denn sie lässt sich letztlich doch treiben und von den Konventionen lenken.
Männer wirken wie arme Würstchen
Nicolas Mathieu schafft es mit leichter Hand, das Porträt dieser Frau aus ihrer Perspektive zu zeichnen. Die Männer kommen nur indirekt vor. Sie wirken wie bedauernswerte arme Würstchen, die sich an ihre dicken SUVs und teure Weinflaschen klammern. Mit seiner lakonischen Sprache kommt der Schriftsteller seinen Figuren sehr nahe. Die Melancholie des Daseins - nicht nur in der Provinz – fließt aus jeder Zeile.
Das Einzige, was man diesem herausragenden Buch – eines der schönsten dieses Sommers - vorwerfen könnte, ist seine Kürze: Mit seinen 95 Seiten ist es eher eine Novelle. In der zweiten Hälfte wirkt es ein bisschen, als hätte der Autor nicht mehr weitergewusst und daher ein schnelles, effektvolles Ende gesucht. Dabei könnte man über diese Frau mit dem Revolver durchaus einen umfangreichen Roman schreiben - und nicht nur ein flottes Romänchen.
Das Einzige, was man diesem herausragenden Buch – eines der schönsten dieses Sommers - vorwerfen könnte, ist seine Kürze: Mit seinen 95 Seiten ist es eher eine Novelle. In der zweiten Hälfte wirkt es ein bisschen, als hätte der Autor nicht mehr weitergewusst und daher ein schnelles, effektvolles Ende gesucht. Dabei könnte man über diese Frau mit dem Revolver durchaus einen umfangreichen Roman schreiben - und nicht nur ein flottes Romänchen.