Nicole Flattery: "Zeig ihnen, wie man Spaß hat". Erzählungen
Übersetzt aus dem Englischen von Tanja Handels
Hanser Berlin, Berlin 2020
256 Seiten, 20 Euro
Der feuchte Geruch bevorstehender Katastrophen
05:32 Minuten
Nicole Flattery erzählt in ihrem Debüt "Zeig ihnen, wie man Spaß hat" von Frauen, die durch deprimierende Verhältnisse stolpern. Erstaunlich, dass man diese Verzweifelten bei ihrem seltsamen Treiben mit Vergnügen begleitet.
Als "weiblicher Beckett" wurde die 1990 geborene Irin Nicole Flattery in ihrem Heimatland gelobt und für eine ihrer Erzählungen ("Die Auflage") mit dem White Review Prize ausgezeichnet. Tatsächlich gelingt es Flattery, in jeder der acht Geschichten, die der Hanser Verlag unter dem Titel "Zeig ihnen, wie man Spaß hat" nun auf Deutsch herausgebracht hat, eine ganz eigenwillige, irritierende Atmosphäre zu schaffen, die meist etwas Surreal-Absurdes hat.
Etwa, wenn in "Süßholz" die 13-jährige Erzählerin versucht, einen Wanderarbeiter zu verführen und sich am Ende "einen Strang toter Fliegen" aus dem Mund zieht. Oder wenn einer weiteren Protagonistin, der Beerdigung ihres Vaters auffällt, dass "der ganze Raum voller falscher Trauer" ist, ein merkwürdiger Buckel wächst.
In der titelgebenden Erzählung nimmt eine junge Frau einen Job an einer Tankstelle an, die sich jedoch als Sozialprojekt herausstellt, bei dem die Mitarbeiter fit gemacht werden sollen für die Arbeitswelt. Die desolaten Verhältnisse, aus denen die Heldin kommt, lässt Flattery nur durchscheinen, wenn sie beiläufig erwähnt, dass die Erzählerin in in Pornofilmen mitgespielt und ihr Liebhaber sie im Schlaf geschlagen hat. An der wie ein gestrandetes Raumschiff wirkenden Tankstelle trifft sie den ebenfalls ziemlich verloren wirkenden Kevin. Flattery zeigt die beiden in herrlich absurden Situationen.
Fühllos, wie betäubt
So gibt es in der Tankstelle, in der eine "Atmosphäre ewiger Melancholie" herrscht, kaum Dekoration, nur drei Suppenkonserven und eine Pflanze, "die im Sommer als neue Verantwortlichkeit eingeführt worden war. Sie war das einzig Lebendige in unserem sortimentslosen Elend", heißt es. Kein Wunder, dass die Erzählerin sich an der Pflanze festhält, weil sie sich mit ihr "irgendwie verwandt fühlte".
Das könnte auf alle Frauenfiguren in diesen acht Erzählungen zutreffen, die seltsam fühllos, wie betäubt durch eigentlich unhaltbare und deprimierende Verhältnisse (auch jene, die sie mit Männern unterhalten) stolpern: "Ich hatte nicht darum gebeten, diese Sorte Frau zu werden, aber so war es eben gekommen," stellt die Erzählerin von "Zeig ihnen, wie man Spaß hat" scheinbar ungerührt fest.
Auch wenn die eine oder andere Formulierung in Flatterys Erzählungen etwas bemüht daherkommt ("ein ruppiges, nervöses Gespräch über Geld", "erfüllt von meiner unverfrorenen Hässlichkeit" etc.), sind die Texte originell gebaut und von einer intensiven Atmosphäre bestimmt. Wenn die knapp 40-jährige Lehrerin Angela, die in einem vermüllten Honda durch die Gegend fährt, reihenweise Männer trifft, führt Flattery die Begegnungen immer mit demselben Satz ein: "Das Restaurant war eigentlich ein Keller, erfüllt vom feuchten Geruch bevorstehender Katastrophen und dem Gefühl der Verwahrlosung." Davon scheinen auch die Figuren erfüllt zu sein, wobei die Katastrophen offenbar schon hinter ihnen liegen.
Aufgewachsen mit mürrischen Müttern
So deprimiert (und deprimierend) diese sich selbst fremden, eigenartig somnambulen Frauen einerseits wirken, so amüsant und komisch sind ihre Geschichten durch all die kleinen Boshaftigkeiten und intelligenten Beobachtungen, mit denen Flatterys Texte durchwoben sind. Etwa wenn sich die Erzählerin mit einigen Freundinnen trifft und konstatiert: "Aufgewachsen mit Müttern, die mit mürrischer Miene vor ihrem jährlichen Glas Wein hockten, tranken wir alle wie unsere Väter. Das war eine der großen Entscheidungen unserer Generation."
Wie man Spaß hat, scheint in Nicole Flatterys Erzählungen eigentlich niemand mehr zu wissen. Umso erstaunlicher, wie viel Spaß es macht, diesen früh Verzweifelten bei ihrem seltsamen Treiben zuzusehen und sich von den merkwürdigen Bildern und Stimmungen, die Flattery zeichnet, einnehmen zu lassen.