Julian Nida-Rümelin, Mattias Kumm, Antje Vollmer, u.a.: "Perspektiven nach dem Ukrainekrieg. Europa auf dem Weg zu einer neuen Friedensordnung?"
Herder Verlag, Freiburg 2022
144 Seiten, 16 Euro
Nida-Rümelin über die Ukraine
Auf der Suche nach einer neuen Friedensordnung: der Philosoph Julian Nida-Rümelin © imago / Future Image / Christoph Hardt
Warnung vor einem neuen Kalten Krieg
08:13 Minuten
![Julian Nida-Rümelin blickt ernst und spricht in ein Ansteckmikrofon. Julian Nida-Rümelin blickt ernst und spricht in ein Ansteckmikrofon.](https://bilder.deutschlandfunk.de/bb/44/0f/94/bb440f94-1cfd-4878-bbff-6ab7b50e2c9e/nida-ruemelin-blickt-ernst-100-1920x1080.jpg)
Wie kann eine neue Friedensordnung nach dem Ukrainekrieg aussehen? Der Philosoph Julian Nida-Rümelin warnt vor dem völligen Rückzug aus globalen Abhängigkeiten: Damit drohe eine neue Blockbildung wie im Kalten Krieg.
Der Philosoph und ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin warnt vor einem neuen Kalten Krieg. Einer "De-Globalisierung", also dem Abbau internationaler ökonomischer Beziehungen, als Reaktion auf den Ukrainekrieg steht Nida-Rümelin sehr skeptisch gegenüber: Infolge des Krieges werde die in den letzten Jahrzehnten gewachsene enge wirtschaftliche Verflechtung mit Russland derzeit viel kritisiert, Nida-Rümelin hält dem entgegen:
"Viele denken nicht darüber nach, wie wir in Zukunft Sanktionen machen, wenn es keine Interdependenz mehr gibt." Schon der frühere US-Präsident Roosevelt habe in kluger Voraussicht nach der Devise gehandelt: "Wir brauchen Interdependenz, damit die Kosten eines Krieges höher werden."
Globalisierung neu gestalten
Der völlige Rückzug aus wirtschaftlicher Zusammenarbeit etwa mit autokratischen Staaten, um sich von diesen nicht abhängig zu machen, wäre aus Nida-Rümelins Sicht daher die falsche Konsequenz aus dem Ukrainekrieg:
"Ich bin dafür, die Globalisierung neu zu gestalten. Es kann nicht einfach so weiterlaufen wie bisher – aber doch bitte nicht generell nur noch mit demokratischen Staaten Handel und Wandel treiben! Dann bekommen wir genau diese Blockbildung, die wir mühsam genug überwunden haben."
Gemeinsam mit fünf weiteren Autorinnen und Autoren sucht Nida-Rümelin in einem neuen Buch nach Perspektiven für eine neue Friedensordnung nach dem Ukrainekrieg. In der öffentlichen Debatte vermisst er eine realistische Einordnung des Kriegs in den zeitgeschichtlichen Kontext:
"Es geht ja nicht nur um einen lokalen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, sondern es geht um eine globalstrategische Auseinandersetzung mit einer jahrzehntelangen Vorgeschichte."
Stabilität in einer Welt mit Nuklearwaffen
Zu dieser Vorgeschichte gehört für Nida-Rümelin auch eine Warnung im Hinblick auf die Osterweiterung der NATO, die er von vielen Militärstrategen vernommen habe: "Osterweiterung: ja, aber nicht bis an die Grenzen Russlands!" Nach dem Ende der Sowjetunion sei eine wichtige historische Lehre aus der Kubakrise 1962 aus dem Blick geraten, sagt Nida-Rümelin: "Wir müssen uns um Stabilität bemühen in einer Welt mit Nuklearwaffen."
Diese Erkenntnis, die den Weg zu einer Entspannungspolitik "auf der Basis von Parität" und zu Abrüstungsverhandlungen erst eröffnet habe, sei heute nicht mehr präsent genug, meint Nida-Rümelin. Nach dem Ende der Sowjetunion hätten sich die Staaten des Westens zu lange der Illusion hingegeben, die Weltpolitik allein nach ihrem Willen gestalten zu können.