Nie mehr verletzen lassen
Jennas Leben ist jäh zerrissen worden durch ein Unglück, ab jetzt gibt es nur noch ein Vorher und ein Nachher. Die Fünfzehnjährige hat bei einem schrecklichen Verkehrsunfall auf einer Brücke ihre Mutter verloren, sie selbst überlebte nur knapp, körperlich und seelisch schwer verletzt. Verbittert kämpft Jenna im Krankenhaus und in der Reha darum, wieder auf die Beine zu kommen und zieht, da ihre Eltern getrennt lebten, zur Familie der Tante.
Doch Jenna wird nicht fertig mit ihrem neuen Leben, mit dem Verlust der Mutter und dem Unfalltrauma. Sie schottet sich immer mehr ab und will nie wieder einen Menschen lieben, aus Angst, ihn zu verlieren. Immer häufiger flüchtet sie in die Gesellschaft von Junkies, dröhnt sich mit Drogen und Alkohol zu, um zu vergessen, und gerät schließlich sogar in Lebensgefahr. Nur einer kann sie jetzt noch retten, und das ist Crow, der umschwärmte Star unter den Bikern ...
Ein junges Mädchen gerät durch eine Katastrophe in eine tiefe Krise und lernt am Schluss mit Hilfe eines jungen Mannes, ihr Leben wieder zu lieben. Unzählige gute und noch viel mehr schlechte Romane erzählen von ähnlichen Schicksalen. Doch Joyce Carol Oates' neuer Roman ragt aus der Flut der Entwicklungs- und Identitätsfindungsgeschichten für Jugendliche heraus. Aus Jennas Sicht erzählt er über ein Jahr hinweg ungeheuer eindringlich von Angst und Verzweiflung, Depression und Einsamkeit. Jenna ist dem Leser fast schmerzhaft nah; dadurch, dass in der Ich-Form und im Präsens erzählt wird, erlebt er alles hautnah mit.
Der Roman beginnt "Im Blauen", einer Art Wachkoma, aus dem Jenna sich ganz langsam löst hinein in einen Schwebezustand zwischen Tag und Traum. Bis sie jäh aufwacht in einem Alltag, der weh tut "wie Schmirgelpapier". Joyce Carol Oates hat ausdrucksstarke Metaphern und luzide Bilder für Jennas Schmerzen und ihre verzweifelte Trauer gefunden, für ihre Ungeduld mit dem eigenen Körper und ihr zerstörtes Ich-Gefühl.
Zugleicht beobachtet das Mädchen sich selbst und die Menschen um sich herum wie aus der Vogelperspektive, mit einem scharfem, fast sezierenden Blick. Schonungslos klar schildert sie, wie sie in die Drogenszene abdriftet und sich selbst immer fremder wird. Und staunend erzählt sie von dem wunderbaren Leicht-Sinn der Verliebtheit, der sie sogar die Angst vor dem Überqueren einer Brücke überwinden lässt.
Was an diesem Roman fasziniert, ist die Wucht seiner Bilder, seine analytische Genauigkeit und seine glasklare Sprache. Jennas Erzählung wirkt dadurch sehr erwachsen aber nicht unglaubwürdig. Durch die Trennung der Eltern, den Tod der Mutter und die eigenen Verletzungen ist sie hochsensibel geworden; ihr geht alles, was sie erlebt, direkt unter die Haut. Und der Leser wird unmittelbar berührt von dieser ebenso spannenden wie subtilen Geschichte eines jungen Mädchens, das fast aus dem Leben davongeflogen und später beinahe abgestürzt wäre. Und das dann doch noch sicher landet auf dem Boden der Tatsachen.
Rezensiert von Sylvia Schwab
Joyce Carol Oates: Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon
Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann.
Carl Hanser Verlag 2008
268 S., Klappenbroschur, 16,90 Euro
Ein junges Mädchen gerät durch eine Katastrophe in eine tiefe Krise und lernt am Schluss mit Hilfe eines jungen Mannes, ihr Leben wieder zu lieben. Unzählige gute und noch viel mehr schlechte Romane erzählen von ähnlichen Schicksalen. Doch Joyce Carol Oates' neuer Roman ragt aus der Flut der Entwicklungs- und Identitätsfindungsgeschichten für Jugendliche heraus. Aus Jennas Sicht erzählt er über ein Jahr hinweg ungeheuer eindringlich von Angst und Verzweiflung, Depression und Einsamkeit. Jenna ist dem Leser fast schmerzhaft nah; dadurch, dass in der Ich-Form und im Präsens erzählt wird, erlebt er alles hautnah mit.
Der Roman beginnt "Im Blauen", einer Art Wachkoma, aus dem Jenna sich ganz langsam löst hinein in einen Schwebezustand zwischen Tag und Traum. Bis sie jäh aufwacht in einem Alltag, der weh tut "wie Schmirgelpapier". Joyce Carol Oates hat ausdrucksstarke Metaphern und luzide Bilder für Jennas Schmerzen und ihre verzweifelte Trauer gefunden, für ihre Ungeduld mit dem eigenen Körper und ihr zerstörtes Ich-Gefühl.
Zugleicht beobachtet das Mädchen sich selbst und die Menschen um sich herum wie aus der Vogelperspektive, mit einem scharfem, fast sezierenden Blick. Schonungslos klar schildert sie, wie sie in die Drogenszene abdriftet und sich selbst immer fremder wird. Und staunend erzählt sie von dem wunderbaren Leicht-Sinn der Verliebtheit, der sie sogar die Angst vor dem Überqueren einer Brücke überwinden lässt.
Was an diesem Roman fasziniert, ist die Wucht seiner Bilder, seine analytische Genauigkeit und seine glasklare Sprache. Jennas Erzählung wirkt dadurch sehr erwachsen aber nicht unglaubwürdig. Durch die Trennung der Eltern, den Tod der Mutter und die eigenen Verletzungen ist sie hochsensibel geworden; ihr geht alles, was sie erlebt, direkt unter die Haut. Und der Leser wird unmittelbar berührt von dieser ebenso spannenden wie subtilen Geschichte eines jungen Mädchens, das fast aus dem Leben davongeflogen und später beinahe abgestürzt wäre. Und das dann doch noch sicher landet auf dem Boden der Tatsachen.
Rezensiert von Sylvia Schwab
Joyce Carol Oates: Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon
Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann.
Carl Hanser Verlag 2008
268 S., Klappenbroschur, 16,90 Euro